Schwerter zu Spaten

Schwerter zu Spaten
50 Jahre Bausoldaten in der DDR
01.05.2015 - 07:05
02.04.2015
Pfarrer Johannes Meier

Für die meisten ist er einfach ein schöner, freier Frühlingstag, der heutige erste Mai. Ausflüge, Angrillen, Maifeiertag eben. Gewerkschaftlich und politisch organisierte Menschen machen sich vielleicht auch auf zu einer der traditionellen Kundgebungen: Der erste Mai als Tag der Arbeit oder, etwas martialischer ausge­drückt, als „Kampftag der Arbeiterbewegung“. In der DDR erklärte das SED-Regime den ersten Mai zu einem der höchsten Feiertage: Jahr für Jahr standen dort riesige Maidemonstrationen an, Pflichtveranstaltungen der Regierungspropaganda des sogenannten Arbeiter- und Bauernstaates. Zahlreiche „Helden der Arbeit“ wurden Jahr für Jahr mit Orden behängt. In dieser Sendung sollen heute ebenfalls Arbeitshelden der ehemaligen DDR zu Wort kommen – auch wenn sie für ihre Schufterei niemals einen Orden erhielten. Ganz im Gegenteil.

Die Rede ist von den Bau- oder Spatensoldaten, so nannte man die Angehörigen einer speziellen Truppe der Nationalen Volksarmee. Nachdem im Januar 1962, knapp ein halbes Jahr nach dem Mauerbau, eine allgemeine Wehrpflicht in der DDR eingeführt worden war, erfolgte am 7. September 1964 eine Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates der Deutschen Demokratischen Republik, in der die Aufstellung von sogenannten Baueinheiten befohlen wurde. Darin hieß es: „Zum Dienst in den Baueinheiten werden solche Wehrpflichtigen herangezogen, die aus religiösen Anschauungen oder aus ähnlichen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen.“

 

Eppelmann: Die haben natürlich mitgekriegt, es brodelte in diesem Volk. Zähneknirschend haben sie zur Kenntnis genommen, jetzt gibt es gar keine Möglichkeit mehr, zu entkommen, wir sind alle eingesperrt. Und mit der Einführung der Wehrpflicht gab es eine von ihnen zuvor jedenfalls nicht gesehene Zahl von Menschen, die gesagt haben, wir nehmen keine Waffe in die Hand. Es gab keinen anderen Staat im Bereich des Warschauer Vertrages, der eine vergleichbare Lösung hatte, sondern in allen anderen Ländern, selbst im so katholischen Polen, gab es eine Möglichkeit der Waffenverweigerung aus religiösen Gründen nicht. Das einzige Land ist die DDR gewesen. Sie hat zwar nie einen Zivildienst gehabt, aber eben diese, ja, Mischform, ein Kompromiss, den dann auch hunderte oder so insgesamt, über die Jahre dann auch tausende von jungen Männern genutzt haben, um keine Waffe in die Hand nehmen zu müssen. Aber auch um nicht zwangsläufig dann ins Gefängnis zu müssen, wegen Total-Verweigerung. Ich hab mich für diesen Weg dann auch entschieden, und hab gesagt, bei der Musterungsüberprüfung, ich nehme keine Waffe in die Hand.

 

 

Niemand ahnte, dass dieser Mann 24 Jahre später Minister für Abrüstung und Verteidigung werden würde, der einzige, den die DDR jemals haben sollte. Aus dem ehemaligen Wehrdienstverweigerer und Bausoldaten Rainer Eppelmann war so vom 12. April bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 für knapp sechs Monate der Oberbefehlshaber über die NVA geworden. Eine Karriere, die sich der Pazifist, Pfarrer und Bürgerrechtler wohl selbst nie erträumt hätte. 1966 stand für den damals Dreiundzwanzig­jährigen die Zukunft auf dem Spiel:

 

Eppelmann: Die allermeisten derer, die sich bereit erklärt hatten, Bausoldat zu werden, oder auch Totalverweigerer zu werden, und dann ins Gefängnis kamen, haben nicht studieren können. Das heißt, obwohl es ein Gesetz der DDR war, wenn Du es in Anspruch genommen hast, bist Du dafür bestraft worden durch Karriereverzicht. Das heißt, das haben Leute trotzdem gemacht. Sie sind also bereit gewesen, ein Risiko einzugehen. Haben Zivilcourage gezeigt, haben aufgehört zu flüstern, und haben laut formuliert, und sei es am Anfang nur an einer bestimmten Stelle. Nicht generell und grundsätzlich. Aber an einer bestimmten Stelle gesagt, da mach ich nicht mehr mit.

 

 

Wie Rainer Eppelmann nicht mehr einfach alles mitmachen wollte auch Andreas von Maltzahn. Der heutige Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland erinnert sich:

 

von Maltzahn: Als Jugendliche haben wir einen Gottesdienst gefeiert, der sich mit dem Leben und dem Werk von Martin Luther King beschäftigt hat. Und mich hat das unheimlich beeindruckt, dass Leute für ihre Überzeugung gewaltlos eingestanden haben. Und wirklich ja erhebliche Nachteile und Leiden auf sich genommen haben. Und das hat dann zu näherer Beschäftigung mit dieser Thematik geführt Und dazu kommt, dass damals eine Militarisierung der Gesellschaft im Gange war. Also der Wehrkundeunterricht wurde eingeführt. Die Gesellschaft für Sport und Technik war Pflichtteil der Schulausbildung, wo auch schon an kleinkalibrigen Waffen geschossen wurde. Leute bekamen Probleme mit der Lehrstelle, wenn sie an diesem GST-Lagern nicht teilnahmen. In der Universitätszeit, in der Studienzeit musste man ins Reservistenlager, und, und, und. Und dazu begann dann die Nachrüstungsdebatte, Pershings als Antwort auf die SS20. Und wir hatten das Gefühl, wir müssen ein Stück Verantwortung übernehmen für den bedrohten Frieden.

 

 

Ganz ähnlich erinnert sich auch Friedrich Kramer an seine letzten Schuljahre in der damaligen DDR. Der heute 51jährige leitet als Direktor die Evangelische Akademie in Wittenberg.

 

Kramer: Die Luft wurde schlechter, die Raketen standen sich gegenüber, Atomtod jeden Tag war realistisch. Das haben wir auch so empfunden. Das war teilweise sehr bedrückend. Und das hat uns natürlich auch eine Stringenz und eine Kraft gegeben, dass wir gesagt haben, "Es ist jetzt auch egal. Wir müssen uns jetzt klar dazu positionieren." Da gab's nicht viel abwägen.

 

von Maltzahn: Also es gab zwei Musterungen. Die erste in der elften Klasse. Da sind meine Klassen­kameraden getriezt worden, dass sie doch drei Jahre zur Armee gehen, um den Friedensdienst an der Waffe zu leisten. Und das war für mich so eine Zeit, wo ich noch nicht so ganz sicher war. Eigentlich wollte ich damals schon zu den Bausoldaten gehen. War mir aber nicht so ganz sicher, ob ich dann zum Beispiel den Verlust eines Studienplatzes verkraften würde. Und dann ist es so gewesen, dass ich dann gesagt habe, ich gehe anderthalb Jahre normal, und mir hat dann doch ein bisschen einen Stich gegeben, dass die Offiziere sichtlich erleichtert waren. Das hab ich wahrgenommen, und da war ich von mir enttäuscht.

 

Und ein Jahr später gab es die Nachmusterung, und dann hab erklärt, dass ich zu den Bausoldaten gehen wollte. Und da gab es natürlich ziemliches Zeter und Mordio.

 

 

Eine folgenschwere Entscheidung, die genauso auch Akademiedirektor Friedrich Kramer als junger Mann seinem Gewissen folgend getroffen hatte. Ein Abschied vom elterlichen Pfarrhaus für 18 Monate.

 

Kramer: Ich hab noch in Erinnerung, wie mein Vater mich gesegnet hat, weil er auch Angst hatte. Weil das war auch so eine Sache, wo man nicht wusste, wie geht das aus? Kann auch gefährlich sein, kommt man auch schnell mal unter die Räder irgendwo. Armee war ja nicht feinfühlig und es ging ja auch nicht irgendwie, das war ein brachialer, brachialer Stil, ja, auch für die Seele und so war ja eine heftige Geschichte.

 

 

„Ich gelobe: Der Deutschen Demokratischen Republik, meinem Vaterland, allzeit treu zu dienen und meine Kraft für die Erhöhung ihrer Verteidigungsbereitschaft einzusetzen. Ich gelobe: Als Angehöriger der Baueinheiten durch gute Arbeitsleistungen aktiv dazu beizutragen, daß die Nationale Volksarmee an der Seite der Sowjetarmee und der Armeen der mit uns verbündeten sozialistischen Länder den sozialistischen Staat gegen alle Feinde verteidigen und den Sieg erringen kann. (...)“ – Mit diesen Worten mussten die neuen Bausoldaten zum Beginn ihres Dienstes ein Gelöbnis ablegen. Kaum einer tat dies aus Überzeugung, erinnert sich Andreas von Maltzahn:

 

von Maltzahn: Wir wollten kein Gelöbnis ablegen. Eid sowieso nicht. Aber damit nicht das Schweigen zu sehr dröhnte, hat die NVA sicherheitshalber einige Unteroffiziere unter uns aufgepflanzt, die dann also das Gelöbnis der Bausoldaten ablegten. So dass es aus Sicht der Offiziere keine peinliche Situation war.

 

 

Nicht nur geschwiegen, sondern aktiv das Gelöbnis verweigert hatte Bausoldat Rainer Eppelmann. Die absehbare Konsequenz einer Zuchthausstrafe nahm der überzeugte Regimegegner in Kauf. Acht Monate im Militärknast.

 

Eppelmann: Du bist in Deinem Raum, in dem die Tür wenn Du drinne bist abgeschlossen wird. Und Du hast keinerlei Einfluss darauf, ob die wieder aufgemacht wird, oder nicht aufgemacht wird. Sondern das bestimmen ausschließlich andere. Das war für mich ein sehr nachdrückliches Gefühl, was mir die Tränen in die Augen trieb.

 

 

Möglichst weit weg von zu Hause wurden die Bausoldaten der DDR in eher kleinen Einheiten stationiert. Für Friedrich Kramer ging’s 1983 nach Prora auf Rügen.

 

Kramer: Normalerweise gab es in der NVA ein brutales, so'n System, wo die Älteren die Jüngeren drangsaliert haben, aber wir fanden den Zettel, "Könnt uns fragen, wenn was ist. Wir können euch alles erklären." War ein Blümchen auf dem Tisch. Also man wurde sozusagen von den andern Bausoldaten freundlich empfangen.

 

 

Die besondere Form der Kameradschaft unter den Bausoldaten wurde von den übrigen Wehrpflichtigen beargwöhnt. Und das sollte so sein. Feindbilder wurden bewusst geschürt, erzählt Andreas von Maltzahn:

 

von Maltzahn: Also die Offiziere hatten denen gesagt, als wir Bausoldaten ins Objekt kamen, mit denen redet man nicht, das sind Kriminelle oder Intellektuelle. Fand ich auch eine ganz interessante Zusam­menstellung so, wovor man Angst haben sollte.

 

Eppelmann: Wir sind ja von denen nicht ernst genommen worden. Schon gar nicht wichtig, schon gar nicht achtungsvoll, wegen der Gewissensentscheidung. Und haben ja fleißig als Bauarbeiter gearbeitet, oder in der Kombüse gearbeitet, oder im Krankenhaus gearbeitet, das alles sind ja wichtig, notwendige Arbeiten gewesen. Auch dafür gab es im Grunde kaum eine Anerkennung. Wir waren eben Flaschen, außerdem eben eigentlich Feinde der DDR.

 

 

Doch die „Staatsfeinde“ in steingrauer Uniform mit dem kleinen, symbolischen Spaten auf den Schulter­klappen wurden dringend gebraucht. Friedrich Kramer:

 

Kramer: Wir waren billige Arbeitssklaven da auf dem Bau in, in dem Hafen Mukran. Wir mussten da schuften, zwölf, zehn, zwölf, vierzehn Stunden am Tag. Weil Polen unsicher wurde, hat die Sowjetunion mit der DDR verabredet, einen Hafen zu bauen, den der gesamte Güterverkehr, sozusagen um Polen rum, von Klaipeda nach Rügen, also nach Mukran geschafft wurde, und dann mussten wir den Hafen bauen. Sprich, wir haben uns, ein Großteil von uns, in den Caisson eingesetzt, sozusagen ein Fundament, was versenkt wird, wo man unter Luftdruck arbeitet unter der Erde. Und dann immer raus muss und dann wird das Fundament weiter versenkt, dann muss man es wieder ausgraben. Das ist eine Technik, die nur noch mit Menschen in der DDR gemacht wurde, sonst überall mit Robotern. Und die auch zu schweren körperlichen Schäden geführt hat bei manchen Bausoldaten. Weil das, man kriegt dann die Caissonsche Krankheit, also eine Taucherkrankheit, eben so Stickstoffanreicherung und so. Es war schon brachial.

 

 

Belastender noch als jeder Arbeitseinsatz aber waren für Friedrich Kramer und Andreas von Maltzahn die ungewohnten, schwierigen Lebensumstände / Bedingungen, denen sie als Bausoldaten in der NVA-Kaserne ausgesetzt waren:

 

von Maltzahn: Das was das Leben wesentlich ausgemacht hat aus meiner Perspektive, war dieses einge­sperrt sein. Ich hab zwischendurch dann auch mal für mich so gedacht, wenigstens den Himmel können sie nicht mit Stacheldraht zu machen.

 

Kramer: Es war auch; teilweise gab's richtig heftige Konflikte und, ja das waren ja auch keine besseren Menschen, also die Bausoldaten, sondern das waren ganz normale, und diese Brutalität, anderthalb Jahre eingesperrt zu sein, das hat viele, glaube ich, auch existentiell auch, das war für viele 'ne ganz schreckliche Zeit in ihrem Leben. Die du als junger Mensch wahrscheinlich teilweise besser wegsteckst auch eher so Abenteuerfeeling hast oder so, aber das ist natürlich... war für manche richtig heftig zu wissen, zu Hause, weiß ich was, werden sie gebraucht, die Ehe geht kaputt, die Kinder haben irgendwas und Sie können nicht raus. Und da gab's also richtig schwere, auch seelische Konflikte für viele Leute.

 

von Maltzahn: Aber wir hatten auch unseren Ehrgeiz darin, uns nicht unterkriegen zu lassen. Und haben dieses System auch konterkariert. Also wenn ich mal ein Beispiel erzählen darf, jemand von uns hatte die Begabung, Drachen zu bauen. Aber nicht so normale Drachen, sondern mit einer Flügelspannweite von zwei bis drei Metern. Und dann haben wir also Drachen gebaut. Und die, weil wir nicht raus durften, im Objekt steigen lassen. Und nichts passierte. Zu unserem Erstaunen reagierten die Offiziere nicht, außer dass sie sich ärgerten, das kriegten wir mit. Aber es gab keine Dienstvorschriften für Drachen im Objekt.

 

Kramer: Also wir haben sehr schnell begriffen, was nicht verboten ist, ist erlaubt. Das heißt, wir haben alles gemacht, was uns nicht ausdrücklich erst mal verboten war. Da haben wir uns immer doof gestellt. Also ein Beispiel zum Beispiel: Wir haben, sind gern rhythmisch marschiert, um unsere Offizieren zu ärgern. Also das heißt, man marschierte rum, rum, rum, dann diese, das waren diese Höfe. Das sind diese Kd, Kraft durch Freude-Heim da, in Prora, diesen Riesenteil, was da über wieviel Kilometer an der Küste lang geht, bei Binz. Und das schallt natürlich immer herrlich. Und dann fing einer an, im Tangorhythmus da reinzutanzen. Und dann machten die andern mit. (marschiert auf dem Boden) Oder so. Da hörten Sie plötzlich überhaupt nicht bumm, bumm, bumm, sondern das machte eben was ganz anderes. Und dann brüllte der Offizier: "Ruhe! Nochmal!" Und dann fing das wieder an. Und dann haben sie manchmal stundenlang hin und her marschiert, hat uns ja nicht gestört, die Zeit war eh hin.

 

von Maltzahn: Wir haben auch gelernt, uns auseinanderzusetzen mit einem politischen System, dass hochgradig nervös auf, auf Alternativen reagiert hat. Und das war etwas, was nachher die zweite Hälfte der Bausoldatenzeit sehr bestimmt hat.

Wir haben trotzdem nicht locker gelassen, sondern eine Initiative entwickelt, die deutlich machen sollte, dass wir mit diesem Kompromiss-Charakter des Bausoldatendaseins eigentlich sehr unglücklich waren. Und haben deshalb gesagt, wir machen einen Monat länger, aber so wie wir es gut finden. Wir haben eine Aktion ausgerufen, 19. Monat, wo wir in Bereichen, in denen es in der Gesellschaft an Arbeits­kräften mangelt, nämlich im sozialen Bereich, Altersheim, im ökologischen Bereich, in der Forstwirtschaft, im Küstenschutz, haben wir uns versucht, im zivilen Bereich Verträge zu besorgen. Wir haben dann gemerkt, dass die Stasi uns manche Verträge dann auch wieder kaputt gemacht hat. Aber haben dann Kontakt aufgenommen zu den Bausoldateneinheiten, die es in der Zeit gab. Und es haben immerhin 48 Leute dann bei dieser Aktion mitgemacht. Aber das war für uns so ein Zeichen, wir meinen das wirklich ernst. Wir sind nicht einfach nur Verweigerer, sondern wir wollen etwas für diese Gesellschaft bewegen. Und zwar im sozialen Sinne, und im Sinne eines Friedensdienstes.

 

 

Ein ehemaliger Minister, ein Akademiedirektor und ein Bischof erinnern sich an ihre Bausoldatenzeit. Es ist etwas geworden aus den einstigen DDR-Staatsfeinden und von der Stasi bespitzelten Pazifisten. Und sie alle haben ihren Teil beigetragen zum Ende des SED-Staates. Kein Zufall vielleicht, denn die Bausoldatenzeit schärfte für viele ein politisches Bewusstsein als aufrechte Regimegegner.

 

Eppelmann: Die Diktatur DDR hat sich einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Totengräber selbst geschaffen. Durch den diktatorischen Anspruch, da wir sagen, wir sind für den Frieden, gibt es bei Euch keinen Zivil­dienst, sondern wir machen so was nicht.

 

Kramer: Die DDR hat die Bausoldaten zusammengezogen, um sie wirtschaftlich zu nutzen und hat gleich­zeitig eine Vernetzung organisiert von widerständigen Leuten.

 

Eppelmann: Und von daher ist es kein Zufall, sondern im Grunde fast eine Gesetzmäßigkeit, dass die allermeisten von ihnen auch im Herbst 1989 mit auf der Straße waren. Dass viele von ihnen vorher schon in den entstehenden Friedens-, oder Menschenrechtsgruppen in den Räumen der evangelischen Kirche mitgemacht haben.

 

 

Als evangelischer Pfarrer in Berlin war Rainer Eppelmann in den 80er Jahren selbst maßgeblich engagiert in der Oppositionsbewegung, Jugendliche aus der ganzen DDR pilgerten zu seinen legendären, system­kritischen Bluesmessen. Später wurde er Vorsitzender des Demokratischen Aufbruchs, der als Teil des Parteienbündnisses „Allianz für Deutschland“ schließlich die ersten und einzigen freien Wahlen der DDR am 18. März 1990 klar gewann.

 

Eppelmann: Und ich fragte, ich fragte mich so, Zitat Lukasevangelium, ich bewegte in meinem Herzen, Du bist Bundesvorsitzender eines Partners in dieser Regierung. Wenn das vergleichbar läuft, wie in der Bundesrepublik, wirst Du irgendwann, ich hab an den Koalitionsverhandlungen mit teilgenommen, wirst Du irgendwann gefragt werden, ob Du nicht einen verantwortliches Amt in dieser Regierung über­nehmen willst. Und dann hab ich mich gefragt, sollte das eintreten, alles nur für mich alleine in meinem Herzen, sollte das eintreten, was traust Du Dir denn überhaupt zu? Wollte mich ja nicht blamieren, wollte auch nicht unverantwortlich sein. Und da sind mir drei A´s eingefallen, das könnte ich mir vorstellen, Auswärtiges, Arbeit und Soziales, und Abrüstung und Verteidigung. Wir haben ja einen der ältesten Friedenskreise in der DDR. Wir haben uns mit Fragen der Abrüstung beschäftigt. Verteidigungsminister wollte ich nicht werden, aber beides zusammen, das hätte mich schon gereizt. Und eines Tages kam Lothar de Maiziere zu mir, und fragte mich, ob ich Minister für Verteidigung in seinem Kabinett werden würde. Da hab ich gesagt nach kurzem Überlegen, nein. Aber Abrüstung und Verteidigung, das würde ich machen.

 

 

Zwar gelang Rainer Eppelmann als einzigem offiziellen Abrüstungsminister, den die Welt je gesehen hat, die friedliche Überführung der NVA zur Bundeswehr, doch manches pazifistische Ideal blieb in der Realpolitik der letzten DDR-Monate auf der Strecke. Noch heute bedauert der Theologe und Friedenspolitiker a.D., dass es nicht gelang, das Ziel der Abrüstung auch im Namen des Verteidigungsministeriums der wieder­vereinigten Bundesrepublik zu verankern.

 

 

50 Jahre Bausoldaten in der DDR: Dieses Jubiläum feierten die Pazifisten und ehemaligen Regimegegner im September letzten Jahres in Wittenberg. Kein verschnarchtes Veteranentreffen war dies, sondern eine politische Tagung mit aufgeweckten Impulsen und kritischen Betrachtungen zu Fragen der Zeit. Und die hat sich verändert: mit der Abschaffung der Wehrpflicht entfiel etwa die Notwendigkeit einer Entscheidung pro oder contra Waffendienst. Doch die Frage des Friedens bleibt weiterhin aktuell, finden die ehemaligen Bausoldaten:

 

von Maltzahn: Wir haben ja eine Welt voller Konflikte, wo es darauf ankommt, dass wir uns als Gesellschaft alle miteinander eine Meinung bilden, wie wir es zum Beispiel mit Auslandseinsätzen halten wollen? Wie es mit der Bundeswehr weiter gehen soll? Und da finde ich den Diskurs schon wichtig, dass eine Grundskepsis gegenüber militärischen Lösungen erhalten bleibt.

 

Kramer: Ich glaube, es ist eine Aufgabe von politischer Bildung und auch Schulbildung, das stärker zu machen. Ich glaub, dass wir auch als Bausoldaten und wie es jetzt die Jugend-Offiziere an die Schule gehen, auch stärker an Schulen gehen sollten, davon erzählen, Leute dafür sensibilisieren.

 

Eppelmann: Es muss in Deutschland eine deutliche Mehrheit von Menschen geben, die sagen, Demokratie ist uns so kostbar, dass wir darauf für keinen Preis auf der Welt wieder verzichten wollen. Und wir werden unseren Teil dazu beitragen, dass es dabei bleibt, wir brauchen genügend, die sie gestalten, und notfalls auch verteidigen. Und das muss nicht immer mit der Waffe in der Hand sein.

02.04.2015
Pfarrer Johannes Meier