Das Wort zum Sonntag:"Bei null anfangen..."

Das Wort zum Sonntag:"Bei null anfangen..."
Pfarrer Stefan Claaß
04.10.2014 - 22:30

Schade, dass ich Sie jetzt nicht etwas direkt fragen kann, dass ich Ihnen kein Mikrofon hinhalten kann: „Wofür sind Sie dankbar?“ Ganz spontan, ohne lange nachzudenken. Vielleicht finden Sie die Frage unpassend nach den Tagesthemen mit den vielen schlechten Nachrichten aus aller Welt. Und doch: Wofür sind Sie dankbar? Na?

 

Ziemlich am Anfang erzählt die Bibel von einem Bauern, der seine ersten Früchte dankbar zum Altar Gottes bringt. Die ersten wohlgemerkt, nicht die letzten nach einer erfolgreichen Ernte. Gleich für die ersten bedankt er sich. Für mich steckt darin ein weises Lebenskonzept. Ich fange immer bei null an. Jeden Tag. Nichts versteht sich von selbst. Dass ich einen sicheren Platz zum Schlafen habe, dass ich morgens wieder aufwache, dass ich etwas zum Frühstücken finde – nicht davon ist selbstverständlich. Wenn ich bei null anfange, lässt mich all das dankbar werden.

 

In der Vorbereitung auf heute Abend habe ich mir natürlich selber die Frage gestellt: Wofür bin ich dankbar? Spontan fiel mir als erstes ein: Kaffee, Herleshausen und die Betäubungsspritze beim Zahnarzt.

 

Für Kaffee ist es jetzt etwas spät, aber sonst bin ich immer dankbar dafür.

An Herleshausen denke ich nach dem gestrigen Tag der deutschen Einheit. Weil ich mich noch gut an die Wachtürme erinnere und daran, wie oft fremde Hände bei der Grenzkontrolle zur DDR meine Sachen durchwühlt haben. Das ist vorbei, die Mauer ist weg, Gott sei Dank!

 

Das dritte, was mir spontan einfiel, ist die Betäubungsspritze beim Zahnarzt. Ich schätze, das können viele von Ihnen nachempfinden. Sie steht für alles, was medizinisch in unserem Land möglich ist. Saubere Betten im Krankenhaus und Menschen, die sich kümmern. Das fühlt sich gut an, ich bin dankbar dafür.

 

Und gleichzeitig beschleicht mich ein beklemmendes Gefühl. Weil sich in meine Dankbarkeit die anderen Bilder mischen. Aus Westafrika sehe  ich Bilder, wo Menschen auf der Straße liegen, weil die wenigen Krankenstationen überfüllt sind. Es fehlen Medikamente und Menschen, die sich damit auskennen.

 

Kann ich dankbar dafür sein, dass es uns hier besser geht als jenen Menschen dort? Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr empfinde ich, dass da etwas faul ist. Ich glaube nicht, dass etwas falsch daran ist, dankbar zu sein. Aber ich finde es zynisch, wenn ich dafür danke, dass es mir besser geht als anderen. Das Verhängnis liegt im Vergleichen.

 

Darum nehme ich mir den weisen Landwirt aus der Bibel als Vorbild. Meine Dankbarkeit entsteht nicht daraus, dass ich mich mit anderen vergleiche. Ich bin dankbar für alles, was nicht selbstverständlich ist. Gott sei Dank gibt es Menschen, die ohne Grenzen denken und nach Westafrika reisen, um Ebola-Patienten zu helfen. Gott sein Dank gibt es Menschen, die daran arbeiten neue Medikamente zu entwickeln. Mit Dank anzufangen baut auf - und es motiviert zum Weitermachen.

 

Ich wünsche Ihnen morgen ein gesegnetes Erntedankfest!