Konfirmation versus Jugendweihe?
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Konfirmation versus Jugendweihe?
Erwachsen werden
12.05.2019 08:35
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Erwachsen werden passiert nicht von heute auf morgen. Mit 14 sind Jugendliche religionsmündig und entscheiden mehr und mehr, woran sie sich orientieren wollen. Vorbilder sind nicht unbedingt mehr die Eltern, sondern Gleichgesinnte oder ältere Freunde. So ein Abschied von der Kindheit sehne sich nach Ritualen in der Familie, meint Dr. Emilia Handke, die solche Übergangsrituale erforscht hat:

 

Handke:

„Ich glaube, dass jeder Mensch, dass jede Familie solche Unterbrechungen, besondere Zeiten oder heilige Momente braucht, wo man innehält und wo man zurückschaut, was war eigentlich, was will ich eigentlich, was ist gut in meinem Leben… Es gibt ein Zitat von Sören Kierkegaard, dem Philosophen, der hat mal gesagt: Das Leben wird nach vorne gelebt, aber nach hinten verstanden. Und etwas von diesem Gedanken manifestiert sich glaube ich darin.“

 

In der Art, wie sie feiern, zeigen Familien, welche Traditionen und Werte ihnen wichtig sind. Neben den Klassikern wie Konfirmation, Jugendweihe, Jugendfeier oder Firmung finden sich heute viele Formen für einen gestalteten Übergang von der Kindheit zur Welt der Erwachsenen. Eine große Party zum 14. Geburtstag, eine weite Reise, eine private Lebenswendefeier mit einem Redner oder eine Erlebnis-Waldübernachtung mit Feuermachen. Wenn dagegen nicht nur privat, sondern öffentlich gefeiert wird, ist das Ritual auch eine Frage der eigenen Überzeugung.

 

Die weltliche Jugendweihe gilt vorrangig im Osten Deutschlands als Feier des Erwachsenwerdens. Vor 165 Jahren entstand sie als Fest für nicht konfessionell gebundene bei „erlangter Verstandesreife“. Auch wenn eine Weihe ursprünglich eine religiöse Handlung ist, kennzeichnet sie kulturell verstanden eine Statusänderung und die Handlung wird so aus dem Alltag herausgehoben.

In den 1920ern hatte die Jugendweihe ihre Hochzeit als Schulabschlussfest. Zu DDR-Zeiten war sie der verordnete Normalfall, denn seit 1954 setzte die SED sie gezielt für die eigene Weltanschauungspolitik ein.

Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall ist die Jugendweihe im Osten eine verbreitete Familientradition für etwa ein Drittel der 14-jährigen. Anja Gladkich vom Jugendweihe-Verein Berlin-Brandenburg erklärt das so:

 

Gladkich:

„Diese Jugendweihe war ja für Familien in der DDR gar nicht das, als was der Staat sie ausgelegt hat vordergründig, nämlich dieses Gelöbnis auf den Staat, auf dieses ‚dem Staat Treue schwören‘ sondern für viel Familien war es ja eben ein Initiationsritus und ein Erwachsenwerden-Ritual und nur deswegen konnte sich das auch halten, weil die Familien sich das schon zu DDR-Zeiten umdefiniert haben.“

 

Rund 34700 Jugendliche entscheiden sich 2018 deutschlandweit für die Jugendweihe, einige Tausend für die stärker weltanschauliche Jugendfeier des Humanistischen Verbandes. (1) Schulen und Schulklassen mit ihren Strukturen nutzen die Anbieter trotz der selbstverständlichen Freiwilligkeit nach wie vor gern, um auf ihr Angebot aufmerksam zu machen.

Die Vorbereitungs- und Begleitangebote, vom Besuch im KZ Sachsenhausen bis zur Kletterreise, gelten als Jugendarbeit, oft mit staatlicher Unterstützung. Sie sind aber kein Muss, sodass neue Kontakte kaum entstehen, sagt Anja Gladkich:

 

Gladkich:

„Das ist etwas, was ein bisschen schade ist, das ist dann etwas, was wir nicht so leisten können, wenn sie Vorbereitungsprogramm bei uns machen und Veranstaltungen besuchen, da passiert es tatsächlich, da ist es der Small Talk, wann und wo hast du denn deine Jugendweihe, meine ist da und da... aber dass sich ganz viele vorher dadurch intensiv kennenlernen, ist heute nicht mehr so.“

 

Ihren großen Tag aber teilen sie miteinander. Die Jugendweihen finden in Kulturhäusern, Kinos und Hallen statt mit Platz für 250-600 Menschen. Die kostenpflichtigen, aufwendigen Feiern werden durch Ehrenamtliche ermöglicht. Songs, Kinder-Fotos und ein Festredner sorgen für Emotionen und Partystimmung. Und viele Jugendliche stehen zum ersten Mal im Rampenlicht, wie Malin:

 

Malin:

„Also am Anfang war ich aufgeregt und nervös, weil ich nicht wirklich gern im Mittelpunkt stehe, ich wusste nicht, ob ich was ich machen muss, ich stehe auch nicht gern auf der Bühne, aber das verfliegt total, wenn man sich hingesetzt hat und die Show anfängt, man kriegt einfach ne Urkunde überreicht und ich hatte den ganzen Tag viel Spaß mit meiner Familie da, ja, es war wirklich ein schöner Tag.“

 

Die 14-Jährigen bekommen Bücher geschenkt, die ihnen wissenschaftliche Antworten auf Sinn- und Wertefragen liefern wollen oder einfach Mut machen. Denn sie sollen Selbstvertrauen und Kraft bekommen für alles, was vor ihnen liegt. Ob dafür aber ein einmaliger Festakt ausreicht, bleibt fraglich, dennoch nehmen die Jugendlichen etwas mit:

 

Gladkich:

„Es sind ja oft die Eltern, die diese Entscheidung machen und trotzdem kriegen wir dann hinterher das Feedback von den Jugendlichen, dass sie sagen, wow, ich habe im Mittelpunkt gestanden in meiner Familie, ich bin gesehen worden und alle sind gekommen, nur wegen mir (...).“

 

 

„Prüfet alles, und das Gute behaltet“, steht in der Bibel. Das tun Jugendliche in ihrer Konfirmandenzeit, die ein bis zwei Jahre dauert. Ein langer Zeitraum im Vergleich zu den eher punktuellen Angeboten rund um die Jugendweihe. Wöchentlicher Unterricht oder Kurse am Wochenende, gemeinsame Aktionen und Fahrten. Die Konfirmandenarbeit der evangelischen Kirche ist eines der größten nichtschulischen Bildungsangebote.

Pfarrer Christian Leppler aus Glienicke/Nordbahn bei Berlin begleitet jedes Jahr zwischen 40 und 60 Jugendliche. Bibel, Martin Luther, Dietrich Bonhoeffer, das Vaterunser oder das Kirchenjahr – neben diesen klassischen Themen reden sie über Freundschaft, die neusten Songs auf Youtube und über alles, was die Jugendlichen sonst noch bewegt:

 

Leppler:

„Ganz stark sind es Fragen, die sich mit den Geboten beschäftigen, mit der Einhaltung von Geboten. Es gibt Dinge, die ihnen sehr wichtig sind, was vielleicht Mama und Papa gar nicht ahnen, zum Beispiel Ehre deine Eltern, ist durchaus etwas, womit Jugendliche viel anfangen können, was aber nicht bedeutet, dass sie immer lieb und nett zu Hause sind.“

 

Jugendliche suchen nach eigenen Idealen. Renee hat sich erst kurz vor ihrer Konfirmation taufen lassen und das allein entschieden, eine Freundin hat sie darauf gebracht:

 

Renee:

„Die meinte auch, der Unterricht ist eigentlich total chillig und so und man kann da zusammen was machen und dann schweißt man auch so ein bisschen mehr zusammen und die Konferfahrt hat ja auch mega Spaß gemacht und dann dachte ich mir einfach, ja, ich bin so selten mit Gott oder so beschäftigt, dann kann ich vielleicht mehr darüber lernen irgendwie. (...) jetzt glaube ich ein bisschen mehr an Gott und versteh auch, warum sich viele dafür interessieren, hat mir auch viel Spaß gemacht das alles.“

 

Höhepunkt sind die gemeinsamen Fahrten mit älteren Jugendlichen und Überraschungen gibt es auch:

 

Renee:

„Mich hat das Abendmahl ziemlich angesprochen, weil da sind viele Menschen, die alle das gleiche wollen, denn Gott hat ja auch das Brot geteilt und den Wein, und das feiert man in der Andacht, das ist ganz schön, weil man das mitfühlen kann, nur in einer anderen Zeit, ich find das ganz schön.“

 

Etwa 184.000 Jugendliche lassen sich deutschlandweit evangelisch konfirmieren. (2) Das lat. confirmare bedeutet: bestätigen, bestärken. Die Jugendlichen erklären, dass sie an Gott glauben und zur Gemeinschaft der Christen in der Kirche gehören wollen. Sie dürfen in der Kirche das Patenamt übernehmen, zum Abendmahl gehen und wählen. Natürlich hat damit keiner den Glauben in der Tasche, aber vor allem werden sie für ihren Weg gesegnet und feiern nicht nur mit der ganzen Familie, sondern der ganzen Gemeinde. Dem Festgottesdienst, den sie oft mitgestalten, fiebern sie entgegen:

 

„Mit einem fröhlichen Gefühl, dann hat man es hinter sich und ist erwachsen, nicht so bei den Eltern, aber in der Kirche, dann schließt man die schöne Zeit mit den Freunden und so ab, es ist auch ein Erfolgserlebnis…“

 

Doch mit dem großen Fest ist nichts zu Ende, gelebter Glaube und christliches Engagement heißt für viele auch, als Teamer weiterzumachen. Sie begleiten Konfirmandenfahrten oder treffen sich später in der Jungen Gemeinde. Wie Kjell und Yannick:

 

Kjell, Yannick:

„Kirche ist für mich halt ein Zeitvertreib. Und ist alltäglich geworden, weil man sich schon orientiert, ich habe ja auch viele Freunde hier, mit denen ich viel unternehme. (...) Damals bin ich nur hingegangen, weil meine Freunde mitgekommen sind, mittlerweile ist es so, dass wenn ich nicht in der Uni oder Zuhause bin, bin ich in der Jungen Gemeinde, da kann ich halt machen, was ich möchte.“

 

Eine Konkurrenz zwischen Jugendweihe und Konfirmation, wie sie zu DDR- Zeiten an der Tagesordnung war, sei heute nicht nötig, findet Jugendweihe-Referentin Anja Gladkich, denn beides hätte seine eigene Berechtigung:

 

Gladkich:

„Konfirmation ist ja viel umfangreicher und viel inhaltsgefüllter, das ist ja der Eintritt in die Gemeinde, was wir feiern wollen, ist ja der Abschied von der Kindheit, und der ist allen gemein und der ist wesentlich allgemeiner, auch oberflächlicher, weil die Werte auf die wir uns beziehen, sind die der UN-Menschenrechtscharta, darauf können sich alle einigen und die bringen wir in den 90 Minuten auch nur mittelbar rüber (...), trotzdem glaube ich, dass das ganz wichtig ist.“

 

Auch Pfarrer Christian Leppler lädt grundsätzlich alle zum Konfirmandenunterricht ein, getaufte und ungetaufte. Was daraus wird, weiß er nie. Aber eine gute Zeit sollen die Jugendlichen haben, wenn sie langsam erwachsen werden:

 

Leppler:

„…mit der Konfirmandenarbeit nicht zu verbinden ist, dass die Jugendlichen komplett in der Gemeinde bleiben und das tun, was Erwachsene gerne hätten. Also etwas mitnehmen, das ist die Erinnerung an einen Pfarrer, an einen Erwachsenen, der Zeit für sie hatte, mit dem sie durchaus auch Spaß hatten und der sich Zeit und Mühe gemacht hat, mit ihnen ernsthafte Themen zu besprechen. Die Erinnerung an die Gruppe, an die Erlebnisse, die sie hatten, das wünsche ich mir auch. Und das Wichtigste, dass sie ein bis zwei Freunde in der Konfirmandenzeit entdecken, die sie ab da durchs Leben begleiten.“

 

Für welches Angebot sich Jugendliche entscheiden, und ob überhaupt, das hängt meistens von ihren Familien ab.

Der Abbruch kirchlicher Traditionen hat längst auch im Westen Deutschlands eingesetzt, obwohl es eine forcierte Säkularisierung wie durch die Religionspolitik der SED dort so nicht gab.

 

Fast die Hälfte der 14-jährigen verzichtet bundesweit auf ein Ritual wie Konfirmation, Jugendweihe, Jugendfeier oder die katholische Firmung. (3)

Der heutige Weihbischof Reinhard Hauke wollte als Lehrer in Erfurt den Jugendlichen eine Alternative anbieten. Er erfand 1997 die Segensfeier für konfessionslos sozialisierte Familien mit Elementen der Jugendweihe und der Konfirmation. Öffentlich in der Schule.

Da gibt es eine Ansprache, Lieder aus der Lebenswelt der Jugendlichen, Symbole der Kindheit, die in eine Schatzkiste wandern. Die Jugendlichen zünden Kerzen an mit Wünschen für sich und die Welt. Kirchliche Mitarbeiter gestalten diese Feiern mit und fast immer werden die Jugendlichen gesegnet.

Warum das den Familien wichtig ist, weiß Religionsforscherin Dr. Emilia Handke:

 

Handke:

„Vor allem Eltern haben eine ganz starke Wahrnehmung, wie fragil das Leben ihrer Kinder ist, wie fragil Leben überhaupt ist. Da der Segen eine symbolische Handlung ist, die sagt, nicht nur wir versuchen unser Bestes zu tun, sondern wir glauben oder auch andere glauben an jemanden, der doch noch auf dich aufpasst. Die Engel sind eine ganz beliebte Figur innerhalb der Religiosität oder der weltanschaulichen Deutung, die sich in der Gesellschaft hält.“

 

Im Osten Deutschlands gibt es inzwischen über 40 Initiativen für solche religiösen Jugendfeiern an Schulen in christlicher oder freier Trägerschaft. Zu den Feiern gehören verpflichtende Vorbereitungskurse, mehr als 1000 Jugendliche machen jährlich mit.

Mit dem Generationenwechsel wird der Gegensatz zwischen Weltanschauung und Religion zunehmend verblassen. Entscheidend bleibt, dass es die Jugendlichen sind, um die es geht: In einer Zeit, die von Risiko und schnellem Wandel geprägt ist, prüfen sie sehr genau: Was hat Bestand? Welche Traditionen sind friedvoll und zukunftsfähig? Sie möchten wissen, wo sie hingehören, und worauf sie sich verlassen können.

Denn Erwachsenwerden ist mehr als nur der Abschied von der Kindheit.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Musik dieser Sendung:

  1. This is the life, Amy Macdonald, This is the life
  2. Irgendwas bleibt, Silbermond, Nichts passiert

 

 

Literaturangaben:

  1. https://www.ezw-berlin.de/html/3_160.php die Zahl bezieht sich auf das Jahr 2018 beim Dachverband Jugendweihe Deutschland e.V., abzurufen auch unter: https://jugendweihe.de
  2. Angabe in der Broschüre von 2018 unter https://www.ekd.de/broschuere-zahlen-und-fakten-zum-kirchlichen-leben-44383.htm
  3. Emilia Handke, Jugendweihe, Segensfeiern und Konfirmation – Rituale im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit, in: Handbuch Konfiarbeit, hg.v. Thomas Ebinger u.a., Gütersloh 2018 (2), S. 464.

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