Morgenandacht
Umwege
23.01.2020 05:35
Sendung zum Nachlesen

Der Navigator in meinem Auto ist eigentlich eine Navigatorin. Denn sie spricht mit einer Frauenstimme. Diese Navi habe ich – wie vermutlich alle anderen Autofahrer auch –, um mir Umwege zu ersparen. Sie führt mich in der Regel schnurstracks auf die Autobahn. Vermutlich ist das die schnellste Verbindung zwischen Punkt A und Punkt B.

 

Aber so verpasse ich natürlich auch schöne Landschaften. Das ist der Preis der Schnelligkeit. Manchmal fordert mich meine Navi auf „Bitte wenden!“. Manchmal sagt sie „Sie haben ihr Ziel erreicht!“, und ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Auf jeden Fall: Selbst wenn man eine Navi hat, muss man immer noch selbst mitdenken!

 

Im wirklichen Leben ist es so ähnlich und zugleich ganz anders. Ich plane meinen Weg durchs Leben – oder Teilstrecken – so oder so, aber häufig genug verläuft das dann ganz anders. „Wir Menschen machen Pläne; ob sie ausgeführt werden, bestimmt Gott“, beschreibt die Bibel diese Erfahrung (Sprüche 16, 9). Der Mensch ist eben doch nicht so einfach „seines Glückes Schmied“, wie das Sprichwort sagt.

 

Ich wünschte, ich könnte jetzt fortfahren: Aber in der Rückschau auf mein Leben oder einzelne Abschnitte werden ich dann immer feststellen: die Wege und Umwege, die ich gegangen bin, haben doch ans Ziel geführt und sind zu meinem Besten gewesen. Es ist aber nicht so. Jedenfalls kann man daraus keine Regel machen. Die Frage, warum Menschen in ihrem Leben die Wege gehen müssen, die sie tatsächlich gehen, lässt sich nicht einfach beantworten.

 

Es gibt beide Erfahrungen: die eine, dass auch die Umwege, auf die das Leben mitnimmt, auf überraschende und ungeahnte Weise mein Leben bereichern. Dass das, was mir im Augenblick als Unglück erscheint, sich im Nachhinein als Glück erweist. Wie bei der Frau, die am Morgen des 11. Septembers 2001 in New York ihren Zug zur Arbeit verpasst hat und sich schon auf eine Standpauke ihres Chefs einstellte – und dann dem Einsturz des World Trade Centers entkam.

Aber es gibt eben auch die andere Erfahrung: nämlich ganz aus der Bahn geworfen zu werden. Die Erfahrung, geführt zu werden, „wohin wir nicht wollen“, wie es die Bibel einmal formuliert (Joh 21, 18). Also nicht nur Umwege, sondern - ganz woanders hin! Ein Unfall, eine Krankheit, Verlust der Arbeitsstelle sind schnell ein Grund zu Verzweifeln. War denn alles umsonst?

 

Ob ein Weg zur Bereicherung oder Erfüllung meines Lebens beiträgt oder nicht, entscheide ich selbst. Das ist wie bei diesem bekannten halben Glas Wasser: Der Betrachter entscheidet, ob es halbvoll oder halbleer ist. Es ist wie bei meiner Navi: Ich muss mitdenken! Wenn ich nach rechts und nach links schaue, werde ich immer Menschen entdecken, denen alles (scheinbar) besser gelingt, deren Leben zielstrebig und ohne Umwege scheinbar so viel leichter ist, deren Glas nicht nur halb-, sondern randvoll ist. Aber der Vergleich hilft mir nicht weiter. Und Selbstmitleid ist immer ein schlechter Ratgeber!

 

Ob meine Einstellung zu meinem Leben von Vertrauen und Hoffnung geprägt ist – oder nicht. Das kann man nicht durch Argumente plausibel machen. Dazu kann man nur einladen. Dietrich Bonhoeffer hat eine Perspektive für ein solches Vertrauen entwickelt. Aus dem Gefängnis schreibt er: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.