Unsplash/ Maria Teneva
Brückenschlag
Was braucht es für den Übergang vom alten zum neuen Jahr?
31.12.2024 06:35

Unser Autor lebt in Dresden. Dort haben Brücken in den letzten Jahren eine besondere Rolle gespielt: die eine neu gebaut, die andere eingestürzt. Viele verstehen das sinnbildlich.

 

Sendung zum Nachlesen

Fast 19 Jahre wohne ich nun schon in Dresden; die längste Zeit meines Lebens am gleichen Ort in derselben Wohnung. Sie liegt innenstadtnah an den Elbwiesen. Ich mag die Nähe zum Fluss und den Blick ins Grüne, auch wenn der Straßenverkehr dicht und der Geräuschpegel oft beträchtlich ist.

Dresden ist für mich auch die Stadt der Brücken. Nicht weil es viele gäbe. Da hätten andere Städte mehr zu bieten. Seit ich hier wohne, spielen die Brücken aber eine große Rolle im Leben der Stadtgesellschaft.

2013 wurde die Waldschlösschenbrücke gebaut. Sie liegt nur einige hundert Meter von meiner Wohnung entfernt elbaufwärts. Diese Brücke war hochumstritten. Sie kostete Dresden den Welterbetitel, weil die mit schützenswerten Elbwiesen bebaut wurden. Brückengegner und Brückenbefürworter standen sich oft feindselig gegenüber; vielleicht ein Vorgeschmack auf eine Polarisierung der Gesellschaft, die sich in den Folgejahren verfestigt hat, auch wenn die Themen, um die es ging, ganz andere waren.

Inzwischen nutzen viele wie selbstverständlich die Waldschlösschenbrücke. Sie stellt ihren Wert besonders jetzt unter Beweis, da die Carolabrücke eingestürzt ist und komplett gesperrt wurde. Nur einige hundert Meter flussabwärts von meiner Wohnung ist sie im Herbst ohne besonderen Anlass in der Nacht zerbrochen. Kein Mensch wurde verletzt. Das nennen auch wenig gläubige Menschen ein Wunder. Dankbarkeit lag in der Luft; zugleich aber auch die beklemmende Erfahrung, dass etwas zerbrechen kann, was unverwüstlich schien.

Materialermüdung heißt es. Manche verstehen das sinnbildlich und fragen: Was wird da sichtbar? Auch eine Ermüdung unserer Gesellschaft? Eine Ermüdung von Sicherheiten und Werten in unserem Zusammenleben, die bisher tragfähig waren? Ein Abbruch von Beziehung und Gespräch?

Wo stehen wir am Ende des alten Jahres vor dem Brückenschlag in ein neues Jahr? Gelingt ein guter Übergang aus menschlicher Kraft? Ein erster Schritt aufeinander zu, ein nächster Bauabschnitt für eine versöhnlichere Welt?

Ich denke an den Mann Mose, von dem die Bibel in ihren ersten Kapiteln erzählt. Er war zwar kein Brückenbauer. Aber einer, der verschiedene Ufer miteinander verbunden hat. Der dafür gesorgt hat, damit die ihm anvertrauten Menschen den Übergang vom Bisherigen zum Neuen geschafft haben.

Er hat ein zwiespältiges Volk zusammengehalten, als die einen zurück nach Ägypten in die Knechtschaft, die anderen voran in die Freiheit wollten. Und er hat immer wieder vermittelt zwischen Gott und den Menschen.

Versöhnlich leben mit Gott und versöhnlich leben mit den Menschen. Das ist eine Grundhaltung des Glaubens, die mich an Mose beeindruckt.

Am Ende seines Lebens steht Mose auf einem Berg und blickt hinüber auf die andere Seite des Flusses, auf das Gelobte Land, das 40 Jahre lang sein Ziel war. Man wünschte ihm eine Brücke ins gelobte Land. Er aber stirbt und lässt andere an der Zukunft bauen.

Ich vertraue darauf, dass Menschen Freude daran haben, Gräben zu überwinden, unterschiedliche Seiten zu verbinden und Brücken der Versöhnung zu bauen.

Friedrich Schiller hat einmal in der Nähe der Elbe in Dresden gewohnt. Er dichtet über die Brücke zwischen Himmel und Erde – den Regenbogen:

"Von Perlen baut sich eine Brücke
Hoch über einen grauen See,
Sie baut sich auf im Augenblicke,
Und schwindelnd steigt sie in die Höh.

Der höchsten Schiffe höchste Masten
Ziehn unter ihrem Bogen hin,
Sie selber trug noch keine Lasten
Und scheint, wenn du ihr nahst, zu fliehn.

Sie wird erst mit dem Strom und schwindet,
Sowie des Wassers Flut versiegt.
So sprich, wo sich die Brücke findet,
Und wer sie künstlich hat gefügt?"

Menschen sind es nicht, die den Regenbogen so kunstvoll fügen. Für den Übergang vom alten ins neue Jahr vertraue ich auf beides: auf meine, unsere Kraft, Brücken zu schlagen, und auf Gottes Kraft zu verbinden. Sogar Himmel und Erde.  

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!