"Kevin allein zu Haus", "Drei Nüsse für Aschenbrödel" oder "Der kleine Lord" – viele sehen diese Filme alle Jahre wieder. Warum? Und was hat das mit der Geburt von Jesus Christus zu tun?
Sendung nachlesen:
"Es begab sich aber zu der Zeit…" So beginnt die Geschichte von Jesu Geburt im zweiten Kapitel des Evangeliums von Lukas. Es begab sich aber zu der Zeit… das klingt auch nach dem Anfang eines Märchens, nach magischen Worten, die die Hörerinnen und Hörer offen machen für eine unfassbare, zauberhafte Geschichte. "Es begab sich aber zu der Zeit" wird an Heiligabend in allen Kirchen zu hören sein.
Aber auch andere unfassbare, zauberhafte Geschichten werden viele Menschen an Heiligabend und den Tagen zuvor erreichen, in Form von Filmen. Denn es hat sich eine eigene Tradition etabliert: Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit und an Heiligabend laufen Weihnachtsfilme im Fernsehen. Sie gehören zu dieser Zeit wie Lebkuchen und Adventskränze. Und jede und jeder hat ihren oder seinen Lieblingsweihnachtsfilm.
Achim Hofmann:
"Kevin allein zu Haus" (…), das ist natürlich ein großartiges Abenteuer (…) für Kinder.
Sagt der Heidelberger Pädagoge, evangelische Theologe und Kinoliebhaber Achim Hofmann. Gereon Terhorst, sein Kollege in Münster meint:
Mein Lieblingsweihnachtsfilm ist eindeutig Loriots "Weihnachten bei Hoppens-tedts" (…) für Weihnachten gehört das für mich dazu wie "Dinner for One" zu Silvester.
Beide beschäftigen sich wissenschaftlich mit dem Zusammenhang von Filmen und christlichen Themen. Lilly Schaack ist Pastorin in der Kunst- und Kulturkirche St. Petri zu Lübeck. Ihr Favorit ist:
Ich mag sehr gerne "Tatsächlich … Liebe", aber es ist ein bisschen mein guilty pleasure geworden, weil ich als Feministin das nicht mehr ganz so gut gucken kann.
Und schließlich haben auch zwei Produzenten von der Produktionsfirma EIKON ihre Lieblingsweihnachtsfilme, Ernst Ludwig Ganzert:
"Der Grinch" ist sozusagen DER traditionelle Weihnachtsfilm unserer Familie, das hat damit zu tun, (…) dass, als unsere beiden Töchter klein waren, sie den immer auch schon sehr mochten.
und Mario Krebs:
"Love actually" von Richard Curtis, also "Tatsächlich … Liebe", das ist ja ein Episoden-film, wo auf vielen Ebenen, zwei Monate vor Weihnachten beginnend, das Schicksal von Menschen erzählt wird, wo es um Liebe geht (…) und am Ende führt das ja alles zusammen kurz vor Weihnachten, und es gibt eine Lösung, und die Lösungen sind nicht verlogen, das ist ja immer das Problem bei Weihnachten, die sind nicht verlogen, sie sind ehrlich.
Warum gehören gerade diese Filme zu den beliebten Weihnachts-Klassikern? Was macht sie so besonders? Warum verleihen diese Filme uns das Gefühl, dass überall um uns herum Weihnachten ist?
Am 18. Dezember läuft um 20.15 Uhr im ersten Programm ein ganz besonderer Film: "Bach – Ein Weihnachtswunder". Er zeigt die Entstehung des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach. Devid Striesow, der vor einigen Jahren Martin Luther gespielt hat, ist hier als eine weitere wichtige Figur der evangelischen Kirchengeschichte zu sehen. Mario Krebs von der Produktionsfirma EIKON erklärt, dass es tatsächlich eine Verbindung zwischen den beiden Filmen gibt und wie der aktuelle Film entstanden ist.
Mario Krebs:
Aus dem Film "Katharina Luther", den wir zusammen gemacht haben, (…) und wir haben mit dem Sender darüber gesprochen, was könnte ein nächstes Projekt sein, und da kam natürlich die Idee auf, dass ja nächstes Jahr, 25, eben der 275. Todestag von Bach ist, und das war der Ausgangspunkt.
Aber das Bach-Jubiläum ist nicht der einzige Anlass für den Film. Für Mario Krebs war auch eine andere Frage wichtig.
Mario Krebs:
Wie ist es möglich, dass gerade das Weihnachtsoratorium ja längst den kirchlichen Raum verlassen hat und in Konzertsälen aufgeführt wird und gleichzeitig die Beobachtung ja ist, der Teil der Menschheit in Deutschland, die sich zum christlichen Glauben bekennen, wird immer weniger.
Eine Antwort auf diese Frage liegt in der Kraft der Musik, die Menschen unmittelbar und tief erreicht. Der Produzent des Films über Bachs Weihnachtsoratorium Ernst Ludwig Ganzert beschreibt das auch als mögliches Problem der Kirche.
Ernst Ludwig Ganzert:
Was für mich besonders faszinierend war, ich wusste es nicht, dass dieser (…) Konflikt zwischen dem Wort und der Musik in der Theologie damals eine wesentliche Rolle spielte (…), dass dieser Konflikt noch immer da ist.
Auch Bach musste sich schon anhören, dass seine Musik von der Botschaft ablenken würde. Für Mario Krebs ist allerdings klar, dass dem nicht so ist.
Mario Krebs:
Wir zeigen in dem Film, dass seine Musik nicht ablenkt. Sie führt zum Wort Gottes, und sie führt über das Herz zum Wort Gottes.
Solche zusammenführenden Herzens-Momente hat es auch bei den Dreharbeiten gegeben.
Ernst Ludwig Ganzert:
Also, ich würde sagen, dass bei unseren musikalischen Beratern der Zusammenhang zwischen Musik und Glaube natürlich am präsentesten war, und ansonsten der Chor sehr gemischt war von Leuten, denen der christliche Glaube noch ganz viel bedeutet, anderen, die damit, glaube ich, nicht mehr sehr viel zu tun haben, die aber in dieser gemeinsamen Mission, die wir hatten, mit diesem Film wirklich großes geleistet haben. Ich glaube, ein Moment, wo es dann einfach alle gepackt hat, waren diese zwei, drei wesentlichen Drehtage, die wir hatten, oder vier waren´s sogar, im Merseburger Dom, (…) der Merseburger Dom hat ne irre filmische Kraft, (…) und als dann dort das fak-tisch nochmal aufgeführt wurde, was wir vorher schon mal mit dem Ton aufgenommen hatten, da war eigentlich allen klar, wir sind hier an etwas Größerem zugange. Und das war für mich ganz berührend zu sehen, (…) wie das dann alle zusammenführt.
Es geht in "Bach – Ein Weihnachtswunder", der schon jetzt in der ARD-Mediathek zu sehen ist, nicht nur um so große Themen, sondern natürlich auch um eine Familiengeschichte. Der Produzent Ernst Ludwig Ganzert erzählt.
Ernst Ludwig Ganzert:
Für mich ist es ein Film, der (…) eigentlich den Zusammenhalt einer Familie zeigt, der zeigt, was kann Familie bewirken. (…)
Es gibt so viele Konflikte in der Familie, (…) und am Ende schaffen die es zusammen-zuhalten, und in diesem Zusammenhalt (…) als Familie dann den letzten Widerstand zu überwinden, nämlich die Stadt Leipzig dazu zu bewegen, eine Aufführung zuzulassen. (…) Und deswegen ist es auch ein Weihnachtsfilm, weil das ist das, was an Weihnachten passiert, nämlich eine Familie kommt zusammen, und trotz aller Konflikte sollte sie es schaffen, als Familie zu bestehen.
Damit ist ein wesentlicher Aspekt von Weihnachtsfilmen benannt. Sie erzählen nicht von einer heilen Welt, im Gegenteil. Sie benennen Konflikte. In dem Klassiker "Ist das Leben nicht schön?" erwägt James Stewart in der Rolle des George Bailey, Suizid zu begehen. In "Eine Weihnachtsgeschichte" hat der alte Geizkragen Scrooge alle Freunde und Verwandten aus Gier und Misstrauen von sich gestoßen.
Weihnachtsfilme sind eigentlich Katastrophenfilme. Und sie können sich trauen, von Krisen und Abgründen zu erzählen, weil sie ein großes Vertrauen in die Menschen haben. Und ein großes Vertrauen in die überraschende Kraft, durch die ihre Geschichten, vielleicht erst ganz am Ende, doch versöhnlich enden.
Ein Film, der zu einem Klassiker der Weihnachtszeit werden soll, muss einen Bezug zur Weihnachtszeit haben. Und er sagt etwas über Familien aus. Aber das ist noch nicht alles. Lilly Schaack, Pastorin an der Kunst- und Kulturkirche St. Petri zu Lübeck, fasst eine typische Handlung einer Weihnachts-Komödie zusammen.
Lilly Schaack:
Es geht ja oft um weibliche Protagonistinnen, die oft am Anfang alleine und vielleicht auch einsam sind. Es wird auch dieser gesellschaftliche Druck beschrieben auf Menschen, die an Weihnachten alleine sind, die keinen Partner mit nach Hause bringen. Und dann lernen sie irgendjemanden kennen, und man weiß schon, da kommt ein Konflikt, eigentlich mag man sich doch nicht so gern, aber man weiß, adventlich geht man nun darauf zu, dass an Weihnachten die Liebe da ist. Also, das ist ganz oft der Ablauf von diesen Filmen. Und man weiß es eben. Von Minute 5 weiß man, was am Ende passieren wird, und trotzdem ist es schön, die zu begleiten.
Das klingt schön, aber auch kitschig. Andererseits … vielleicht können Filme in der Weihnachtszeit kitschiger sein als zu anderen Zeiten. In den Wochen, in denen überall kleine Hütten mit Zuckerwatte und Glühwein stehen, in dieser Zeit wollen wir bestimmte Geschichten erzählt bekommen. Und es gibt einen guten Grund für die vielen Weihnachtsfilmklassiker, wie Achim Hofmann von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg erklärt.
Achim Hofmann:
Deswegen ist vielleicht auch das Angebot besonders groß zu der Zeit, weil wir in dieser Zeit (…) besonders danach streben, in uns zu kehren, (…) besinnlich zu werden und vielleicht auch so etwas wie eine Rückschau auch im Jahr antreten (…), weil diese spirituelle Grundstimmung in der Gesellschaft vielleicht auch mehr oder weniger vorhanden ist, das wird aufgenommen, und in solch einer Zeit ist es natürlich besonders möglich, dass man Filme auch liebgewinnt, weil sie vielleicht in einer gewissen Art und Weise auf diese Zusammenhänge reagieren (…) und wenn dann Filme auf solche Bedürfnisse reagieren, Weihnachtsfilme vor allen Dingen auf solche Bedürfnisse reagieren, dann können sie vielleicht auch eher zu Kultfilmen werden (…) oder zu Filmen, die in der jeweiligen Biographie eine besondere Bedeutung haben.
Und der Produzent Mario Krebs benennt einen wesentlichen Punkt, der in den Weihnachtsfilmen vorkommt.
Mario Krebs:
Menschen, die über ihren Schatten springen müssen. Und alle Weihnachtsfilme, die so gezeigt werden… auch "Der kleine Lord." Da muss ja nun Alec Guinness als der grantige, klassenbewusste, arrogante Lord muss ja auch über seinen Schatten springen, das eben sein verstoßener Sohn einen Spross hat, den er jetzt doch zum Erben machen muss, (…) also, er muss sich auch ändern (…) und das ist in allen Weihnachtsfilmen, es geht immer um eine Wandlung, um eine Veränderung, dass Menschen (…) sich 180 Grad drehen müssen, sonst ist die Geschichte nicht mit einem Happy End zuende erzählt.
Menschen können sich von Grund auf ändern. Das ist eine Botschaft der Weihnachts-filme. Und das wird mit Liebe verbunden, mit Gemeinschaft, mit Familie, mit Kindern. Aber was bewirkt das bei den Zuschauerinnen und Zuschauern?
Lilly Schaack:
Also, ein guter Weihnachtsfilm kann bewirken, dass man sich in dem Moment oder da-nach ein kleines bisschen wärmer ums Herz fühlt, ein kleines bisschen hoffnungsvoller vielleicht ist, und ich glaube, das kann auch über den Moment hinaus anhalten.
Mario Krebs meint, dass Weihnachtsfilme die Zuschauerinnen und Zuschauer untereinander verbinden:
Mario Krebs:
Das ist natürlich der Gedanke des Lagerfeuers. Es gibt wenige Lagerfeuer noch im deutschen Fernsehen, das ist der Tatort, und das ist zu Weihnachten eben der Weihnachtsfilm.
Die Weihnachtsfilme führen noch einmal große Zuschauergruppen zusammen. Sie handeln von Gemeinschaft und sie schaffen Gemeinschaft. Aber dabei wird leicht übersehen, dass sie nicht alle am Lagerfeuer versammeln, dass manche im Schatten bleiben. Gereon Terhorst sagt:
Gereon Terhorst:
Die Problematik der Weihnachtsfilme ist, glaube ich, auch, dass sie so mit traditionellen Mustern spielen, dass sie teilweise eben auch aus der Zeit fallen. Es gibt kaum ein Filmgenre, das so stark durch Heteronormativität zum Beispiel geprägt ist, wie Weihnachtsfilme, also Familien sind immer Vater, Mutter, Kind.
Achim Hofmann ergänzt:
Tatsächlich kann es ja aber auch auf der anderen Seite (…) dazu führen, dass Menschen gerade von dieser Atmosphäre eigentlich nicht abgeholt werden, gerade nicht sozusagen sich auch in diese Tradition gerne stellen möchten.
Gereon Terhorst bringt ein Beispiel:
Ich glaube, (…) die spannende Frage, auf die ich keine Antwort habe, ist: Erwecken Weihnachtsfilme möglicherweise auch Gefühle oder Fragestellungen, die (…) eher negativ was hervorrufen. Beispiel "Tatsächlich Liebe", ein wunderbar romantischer Film, und ich bin aber gerade Single, was mach ich dann damit?
Wahrscheinlich werden sich auch Weihnachtsfilme allmählich ändern. Sie werden viel-fältiger werden, verschiedene Lebensweisen abbilden. Aber sie werden sich auch dann noch darauf konzentrieren, die Botschaft von Weihnachten in Geschichten zu verwandeln.
Es gibt so viele klassische Weihnachtsfilme. Aber sagen diese Filme auch etwas aus über das Fest selbst? Sagen sie etwas aus über das, was Weihnachten bedeutet? Pastorin Lilly Schaack hat eine Antwort.
Lilly Schaack:
Vordergründig sind diese Filme meistens sehr säkular, da geht’s nicht um das Evangeli-um. Vielleicht wird noch mal eine Szene am Heiligabend in der Kirche gezeigt, aber auch nichts von der Predigt. (…) Und trotzdem glaube ich, dieses Thema: Wie finden Menschen zueinander, zum Beispiel, wie finden Liebespaare zueinander, aber ja auch Familien, (…) das sind ja alles Fragen von Gemeinschaft, und das, finde ich, ist ja letztlich eine große christliche Frage. (…) Sehnsucht nach Versöhnung, auch, und nach Gemeinschaft, nach friedlichem Zusammensein, ist natürlich auch eine christliche Sehnsucht, und da, wo das aufblitzt, würden wir theologisch sagen, sieht man schon ein bisschen vom Reich Gottes, und vielleicht blitzt das auch in diesen Filmen auf.
Lilly Schaack bringt ein Beispiel:
Viele Weihnachtsfilme sind Filme, die Kinder zeigen, (…) oder es sind Filme für Kinder, oder für die ganze Familie, und Jesus sagt ja: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen, und ich finde, dieses Staunen, was Filme auslösen oder was auch gezeigt wird in den Weihnachtsfilmen, das ist was, das man sich ab-schauen kann bei den Kindern, und ich glaube, das ist auch ein Aspekt, den Jesus meint, wenn er das sagt.
Weihnachtsfilme gehören zu Weihnachten wie Christbaum und Geschenke. Sie sind ein Ritual, und sie machen besonders viel Spaß, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauern jedes Wort mitsprechen können. Sie sind gesellschaftlich eine Einladung zur Gemeinschaft und gleichzeitig schließen bestimmte Gruppen aus. Sie sind selten explizit theologisch, aber behandeln häufig Themen, die auch im christlichen Glauben eine große Rolle spielen.
Wenn es so wichtig ist, dass sie zu einem bestimmten Ritual werden, wieso werden dann alle Jahre wieder so viele neue Filme produziert? Lilly Schaack hat eine zukunftsoffene Antwort.
Lilly Schaack:
Ich glaube, wahrscheinlich ist es auch das: die Sehnsucht und die Hoffnung, die Ge-schichten von Sehnsucht und Hoffnung, die sind noch nicht auserzählt, das Reich Gottes ist noch nicht da, also muss man weitererzählen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Put a little love in your heart, Annie Lennox und Al Green
2. Christmas is all around, Bill Nighy
3. White Christmas, Bing Crosby
4. Have Yourself a Merry Little Christmas, Judy Garland
5. Lied aus "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", Karel Svoboda