In der Stadt unseres Autors wird eine Baulücke geschlossen, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammt. So lange brauchen Kriegswunden, um zu heilen. Im Stadtbild und erst recht in den Seelen.
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In meiner Stadt schließt sich gerade eine der letzten Baulücken aus dem Zweiten Weltkrieg. Gerissen während einer Bombennacht vor 80 Jahren. Als ich ein Kind war, gab es noch viele dieser Brüche im Stadtbild, oft gefüllt mit Provisorien - kleine Läden, Flachdachbauten zwischen den Häusern, die nicht getroffen worden waren. Mit den Jahrzehnten haben sich die Reihen geschlossen.
Ich bleibe vor der Baustelle stehen und schaue den Arbeitern dankbar zu. Stein für Stein heilt nun auch diese alte Wunde. Ein ganzes Menschenleben ist seit der Bombennacht vergangen. Vermutlich haben nur noch Wenige die Leerstelle im Straßenzug als Kriegsverletzung erkannt. Aber sie war da.
Ist das nicht ähnlich mit den Kriegswunden, die Menschen in sich tragen? Wie oft reicht ein Lebenslauf nicht aus, um sie zu heilen. Vielleicht erkennen wir manche innere Verletzung gar nicht als das, was sie ist. Ins Auge fällt allein die Störung, die sich heute zeigt.
In der Bibel wird ein Sprichwort zitiert: "Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden." Es will sagen, dass die Fehler und die Schmerzen einer Generation noch weit in die Lebenszeit der nächsten wirken können. Seht hin! Eure stumpfen Zähne sind die Spur der sauren Trauben, die eure Väter einst gegessen haben.
In der Sprache der Psychologie ist das ein transgenerationales Trauma. So beschreibt man Störungen im Erleben eines Erwachsenen, die von den Schmerzen kommen, die dessen Eltern aushalten mussten, als sie selbst jung waren. Das ist zum Beispiel in Israel hervorgetreten, bei den erwachsenen Kindern der Überlebenden der Shoah. Die Eltern waren dem Schrecken entkommen, doch der Schrecken wirkte weiter. Still prägte er von Kindesbeinen an die Folgegeneration und zeigte sich Jahrzehnte später in Angstzuständen und Depressionen.
Heute über 80-Jährige in Deutschland erzählen aus ihren Kindheitserlebnissen von Bombennächten, Hunger, Vertreibung, Plünderung, Vergewaltigung. Soldaten kehrten heim: fremde Väter, oft sprachlos, an Gliedmaßen und Seele fürs Leben gezeichnet, manche gewalttätig. Andere kamen nie zurück.
Die Kinder dieser Jahre hatten kaum eine Chance, das Erlebte zu bearbeiten. Es galt, das eigene Leben neu aufzubauen. Schneller Wohlstand überdeckte bald, was tief verborgen in der Seele eingeschlossen war. Wenn mir die inzwischen Alt-Gewordenen Geschichten aus ihrer Kindheit erzählen, dann ahne ich manchmal den verdrängten Schmerz.
Gleichzeitig erkenne ich meine eigenen Themen, meine Ecken und Kanten auch als Folge unbearbeiteter Erfahrung von Gewalt in der Kindheit meiner Eltern. Als hätte ich ihr altes Trauma schon mit der Muttermilch aufgesogen.
Wenn ich mir klar mache, dass ein Krieg fast 100 Jahre in den Menschen nachwirkt, dann denke ich mit Schrecken an die Kinder der Kriege heute. Ob die Befehlshaber rund um den Globus eine Sekunde darüber nachdenken?
Aber es gibt auch Hoffnung. Eine heilende Kraft liegt darin, hinzuschauen und zu erkennen: Vieles, was mich belastet, habe nicht ich verursacht. Weil ich als Kind nicht frei war von den Erlebnissen meiner Eltern, kann ich die Verantwortung einen entscheidenden Schritt von mir weisen. Und dadurch die Freiheit finden, die Wunde zu schließen. Ein anderer Trost liegt darin, zurückzuschauen und versöhnlicher auf die Fehler der eigenen Eltern zu blicken. Sie konnten es nicht besser – waren selbst Opfer ihrer Zeit.
Eine dritte Kraft kommt aus der Bibel. Die Bibel zitiert zwar das alte Sprichwort von den sauren Trauben und den stumpfen Zähnen, aber nur, um es zu überwinden. Gott macht schon im nächsten Satz klar: Niemand muss ein Gefangener der Geschichte seiner Eltern bleiben. "Jedes Leben gehört mir", sagt Gott, und baut so seine je eigene Beziehung zu uns auf – befreiend und stark wie ein guter Vater. Tröstend wie eine liebevolle Mutter.
Wenn ich an dem neuen Haus vorbeikomme, das nun die Baulücke aus dem Zweiten Weltkrieg schließt, dann denke ich an diesen Gott und sage mir leise: Alte Wunden können heilen. Neues kann entstehen.
Es gilt das gesprochene Wort
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