Guten Abend,
Hier in der ARD wurde ja eben schon ein paar Stunden lang der Advent eingeläutet – mit dem Adventsfest der 100.000 Lichter. Advent der Superlative. Ein Fest der großen Gefühle. Ich weiß nicht, ob Ihnen auch besinnlich zumute ist, wie es bei Ihnen grad privat aussieht in dieser Zeit vor Weihnachten. Vielleicht gab es bei Ihnen Zeiten, in denen Sie mehr mit diesen besonderen Wochen anfangen konnten und Zeiten, in denen der Advent Ihnen gleichgültig war. Wie sieht es aus – mit Ihnen und dem Advent? Ich hab mich das in den letzten Tagen selbst gefragt und daraus ist ein Brief entstanden. Ein Brief an den Advent.
„Lieber Advent,
leider muss ich dir sagen: in diesem Jahr habe ich meine Schwierigkeiten mit dir. Du schaffst es nicht, mein Herz zu erwärmen. Ich weiß – du duftest wunderbar nach Zimt, Spekulatius und Bienenwachs. Du zauberst den Städten und Dörfern bunte Lichter an die kahlen Häuser. Ich weiß - du lässt Kinderaugen leuchten.
Was ist da anders geworden, Advent, dass du mich mit deinem Zauber nicht mehr so tief berühren kannst. Bin ich einfach nur abgeklärt und weiß, dass ich mir Spekulatius auch im Sommer kaufen kann wenn ich Lust drauf hab und dass im Januar sowieso wieder alles von vorn beginnt? Vielleicht bin ich einfach nur vor vielen Jahren erwachsen geworden und musste dich zurücklassen zwischen rotglasierten Äpfeln, selbst verzierten Ausstechkeksen und dem ungeduldigen Warten, was im nächsten Türchen des Adventskalenders sein würde. Bist du in den Kinderschuhen stecken geblieben?
Ich denke an die ältere Nachbarin von Gegenüber. Sie hat vor einiger Zeit ihren Mann verloren. Sie sagte mir, dass sie in diesem Jahr keinen Sinn darin sieht einen Adventskranz zu flechten und Kekse zu backen. Ihr Leben erscheint ihr leer. Beziehungslos. Da hilft auch der Weihnachtsstern nichts.
Früher, Advent, warst du für mich voller Zauber. Auf Zehenspitzen bin ich früh morgens zum Adventskalender geschlichen und hab mit klopfendem Herzen das Türchen geöffnet. Vierundzwanzig Tage und Nächte lang warten. Warten auf den Moment, in dem die Tür aufgeht, das Glöckchen klingelt und alles wird neu. Ich konnte spüren, wie du mir eine andere Welt geöffnet hast.
Heute möchte ich dich fragen: gibt es dich auch für Erwachsene? Gibt es dich auch für uns, die wissen, dass die Welt nicht heil ist und wir das Träumen ziemlich verlernt haben, weil wir schon zu oft enttäuscht worden sind? Wie können wir dich spüren – mit allen Sinnen, Haut und Haaren?
Vielleicht fange ich einfach mit kleinen Dingen an: Nicht alles selbstverständlich nehmen zum Beispiel. Nicht den Duft von Zimt, Vanille, Tanne und Bienenwachs. Nicht das Lächeln meiner Nachbarin, die grad wirklich nichts zu lachen hat. Und mal anhalten. Nicht einkaufen, nicht schmücken, nicht backen. Einfach: Nichts tun. Die Füße hochlegen. In eine Kerze schauen. Die Sehnsucht wach halten, dass die Welt größer ist als mein kleines Universum. Das wünsche ich mir. Und das wünsche ich in diesen Wochen allen Kindern, allen Kindgebliebenden und allen Erwachsenen.
Das war mein Brief an den Advent. Vielleicht mögen Sie Ihren ganz eigenen schreiben. Oder auch einfach nur morgen die erste Kerze anzünden.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.
Hinweis für Hörgeschädigte:
„Diese Sendung wird für hörgeschädigte Menschen mit
Videotext-Untertiteln Tafel 150 ausgestrahlt.“
Norddeutscher Rundfunk
Eberhard Kügler