Guten Abend,
ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mich in einem Wort zum Sonntag mal mit Sturmgewehren, Panzerfäusten und Handgranaten beschäftigen muss. Sie und viele andere Waffen wird Deutschland in den Nordirak liefern, gestern ging der erste Transport. Ich merke: ich beginne, mich damit abzufinden. Schließlich ist es ja nicht das erste Mal, dass die Bundesrepublik Waffen liefert. Aber trotzdem möchte ich nicht so schnell zur Tagesordnung übergehen. Ausgerechnet in der Woche, in der sich der Kriegsbeginn durch Nazideutschland zum fünfundsiebzigsten Mal jährt.
Sturmgewehre, Panzerfäuste, Handgranaten. Sind Waffen wirklich die Lösung, die das schreckliche Treiben der Terrorgruppe Islamischer Staat eindämmen und das Leid der Verfolgten mindern können? Selbst in den Kirchen gibt es dazu sehr unterschiedliche Stimmen: Die einen lehnen jede Form von Waffenlieferung ab, weil Jesus zu totalem Gewaltverzicht aufgerufen hat. Die anderen sagen in dieser konkreten Situation Ja, weil es unterlassene Hilfeleistung wäre, untätig bei diesem schrecklichen Töten zuzusehen.
Und - ich fürchte, es gibt in diesem Konflikt – wie so oft im Leben – keine „richtige“ Antwort. Wir können jetzt nicht einfach die Bibel aufschlagen und sagen: Jesus hätte genau dies oder genau jenes getan. Es gibt aber eine Geschichte, die mir persönlich einen Anhaltspunkt dafür gibt, wie Jesus mit solchen eigentlich unlösbaren Situationen umgegangen ist.
Er wird in einer Angelegenheit auf Leben und Tod gefragt, welches Handeln richtig ist. Seine Kritiker fordern, dass er ganz klar Stellung bezieht: Ja oder Nein, für oder gegen das Gesetz. Jesus aber geht auf dieses Spiel nicht ein, er lässt sie auflaufen. Er kniet sich hin und schreibt in den Sand. Er wird dann noch mal gefragt – und sagt den berühmten Satz „Wer von euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ Er hat auf die konkrete Frage nach Richtig oder Falsch keine Antwort gegeben – er hat etwas anderes gemacht: Er hat das Problem auf die zurückgeworfen, die ihn provozieren wollten. Fangt bei euch selbst an – befragt euer eigenes Gewissen. Erst dann könnt ihr über das Verhalten anderer urteilen.
Was in dieser Situation im Nordirak richtig ist… Das Leben ist ja immer so ein Ringen um Wahrheit, um den „richtigen“ Weg, gerade weil es den oft gar nicht so eindeutig gibt. Die Waffenlieferungen sind entschieden. Mit allen möglichen Konsequenzen. Ohne sich schuldig zu machen kommt da niemand von uns raus.
Was können wir tun? Ich wünsche mir, dass wir nicht so schnell zur Tagesordnung übergehen. Dass wir uns nicht abfinden und weiter um Frieden ringen – und bei allen politischen Diskussionen nicht die aus dem Blick verlieren, um die es eigentlich geht: Die Frauen, die Männer und die Kinder, die in diesen Minuten während ich hier zu Ihnen spreche um ihr Leben fürchten oder ermordet werden. Dass wir für sie beten und dass wir, wenn sie bei uns Zuflucht suchen, unsere Türen weit aufmachen.
Norddeutscher Rundfunk
Redaktion: Eberhard Kügler (NDR)