Das Wort zum Sonntag: "... auf krummen Linien gerade"
Pastorin Nora Steen
13.09.2014 21:50

 

In diesen Wochen beginnt für 11 Millionen Kinder und Jugendliche ein neues Schuljahr. Für mich auch – denn ich werde nach fast 20 Jahren wieder zur Schule gehen – als Schulpfarrerin habe ich in dieser Woche meine ersten Schulgottesdienste gehalten und den ersten Religionsunterricht gegeben.

 

Dabei habe ich nicht nur schöne Erinnerungen an meine eigene Schulzeit. Vor allem nicht an die Nächte vor Mathearbeiten. Wenn ich mal wieder dieses Magengrummeln hatte und aus Angst nicht schlafen konnte, hat meine Mutter den Topf auf den Herd gesetzt, Wasser gekocht, Kümmel im Mörser zerstoßen und nach einer Tasse Tee mit Honig ging es mir dann meist besser und ich konnte einschlafen.   

… und ich glaube nicht, dass ich die einzige war, die Angst hatte. Nicht wenn ich höre, dass laut Statistik die Hälfte aller Schüler ab 11 Jahren unter massivem Stress leiden. 

 

Daran muss ich denken, wenn ich bei meinen Schulgottesdiensten in die Gesichter der Kinder schaue. Und an ein Sprichwort: „Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade.“ Es heißt ja nicht – Gott biegt alles gerade, sei es noch so krumm. Im Gegenteil: Gott kümmert es nicht, welchen Verlauf eine Lebenslinie nimmt – ob sie geradewegs auf ein bestimmtes Ziel zuläuft oder aber geschlängelt ist, Umwege und gar Sackgassen hat. Wichtig ist nur eins: Er trägt seine eigene Spur in unsere Wege ein, er geht sie mit – auch die Ehrenrunden. Einer von denen mit so einem besonderen Lebensweg war der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann. Zweimal ist er sitzen geblieben und hat es dann zur mittleren Reife geschafft; Albert Einstein wurde wegen Disziplinlosigkeit der Schule verwiesen. Auch die Bibel ist voll von Menschen, in deren Leben nicht alles glatt ging. Ausgerechnet Mose, der Führer durch die Wüste, hatte Angst davor öffentlich zu reden. Und Jesus ist sogar in seiner eigenen Familie mit seinem Verhalten ziemlich angeeckt, weil er deren Erwartungen nicht erfüllt hat. All diese Menschen sind ihren ganz eigenen Weg durchs Leben gegangen - manche mit, manche ohne gute Schulnoten. Am Ende haben sie auf ihre Art immer etwas ganz besonderes, etwas eigenes geleistet. Auch ohne Noten.

 

Als ich meine 8. Klasse gestern im Religionsunterricht gefragt habe was sie eigentlich von Noten halten, ging erst einmal ein Raunen durch den Raum "Noten sind blöd, die braucht niemand." Ich hatte ihnen aber verschiedene Zeugnisse mitgebracht und sie sollten entscheiden, wen sie als Arbeitgeber in ihrer Firma einstellen würden und wen nicht. Da wurde dann schon deutlich: Noten beeinflussen uns ziemlich, unser Bild von einem Menschen.

 

Vieles gehört dazu, um uns zu der Persönlichkeit zu machen, zu der Gott uns bestimmt hat: Unsere Familie, unsere Begabungen, ja besonders auch die schwierigen Zeiten des Lebens prägen uns. Gott schreibt eben auch auf krummen Linien gerade.  Das ist meine Botschaft an die Kinder, aber auch an die Erwachsenen, die sich Sorgen machen oder Druck ausüben, die eher mit Angst als mit Freude auf das neue Schuljahr blicken. Die Summe aller Noten ist nur eine Zahl. Ein Mensch ist immer unendlich mehr.

 

 

Sendeort und Mitwirkende

Norddeutscher Rundfunk

Redaktion: Eberhard Kügler (NDR)