Toleranz
Pastorin Nora Steen
22.11.2014 22:50

Wodkaflaschen auf den Stufen und Kirchentüren, die wegen Vandalismus tagsüber nicht mehr geöffnet sind; Synagogen, in denen Menschen ermordet werden, wie gerade wieder in Jerusalem; Moscheen, die in Brand gesteckt werden, nicht nur hier in Deutschland. Das alles erleben wir täglich. Menschen, die keinen Respekt mehr haben vor dem Leben und Glauben Anderer und vor Räumen in denen gebetet wird. Sie finden sich nahezu überall.

Als ich einmal eine Gruppe pöbelnder, angetrunkener Jugendlicher bat, den Kirchenraum zu verlassen, wurde ich ziemlich angegriffen und verspottet: Die Kirche dürfe niemanden rausschmeißen, wir seien schließlich Christen. Wir müssten doch „tolerant“ sein. Doch mit Toleranz hat das für mich nichts zu tun.

 

Ich möchte mich nicht mit der Tatsache abfinden, dass Gotteshäuser egal welcher Religion angegriffen und die nicht mehr ernst genommen werden, für die der Glaube eine wichtige Kraft ist.

 

Einer Studie zufolge hält sich allerdings der Großteil aller Deutschen für sehr tolerant. Bei näherem Nachfragen kam dann heraus, dass bei den meisten dann doch die Grenze erreicht ist, wenn es um Menschen geht, deren Verhalten sie abstößt. Wenn mal wieder eine Gruppe pöbelnder Jugendlicher in unserer Kirche andere beim Gebet stört oder Männer ungeniert an die Kirchenwand pinkeln, dann ist es bei mir vorbei. Ganz gleich, ob diejenigen das machen weil ihnen Kirche schlichtweg egal ist oder sie sich aus einem anderen  Grund genau diesen Ort aussuchen.

Klar. Ohne Toleranz funktioniert unsere Gesellschaft nicht. Aber das heißt ja nicht, alles gleichgültig hinnehmen zu müssen! Wenn Grenzen überschritten werden, ist für mich das Ende meiner Toleranzfähigkeit erreicht – wenn es um Angriffe auf Menschen geht und auch bei Schändung von Gotteshäusern.

 

Auch Jesus hat nicht bloß Ja und Amen dazu gesagt, wie sich Menschen verhalten. Einmal war er so wütend darüber, dass der Tempel in Jerusalem zu einer Art Basar geworden war, dass er alle Händler samt Tieren und Mobiliar rausgeschmissen hat – und dabei ist es ziemlich handgreiflich zugegangen. Diese Geschichte ist heftig, gerade weil Jesus kompromisslos für Nächstenliebe steht. Ich glaube aber, dass Nächstenliebe genau das heißt: Ich nehme nicht alles widerspruchslos hin, sondern nehme den Anderen in seinem Handeln ernst und schaue nicht gleichgültig weg.

Echte Toleranz muss mehr sein als den Anderen einfach nur zu ertragen.

 

Zwar bedeutet das lateinische Wort tolerare übersetzt ertragen, erdulden. Wenn wir aber dabei stehen bleiben, wird die Kluft immer tiefer werden. Erdulden reicht nicht! Es geht im tiefsten Sinn um Nächstenliebe: Wir müssen uns in die Augen schauen. Miteinander reden. Einer der Jugendlichen aus der Kirche sagte beim Rausgehen zu mir: „Schon cool, so ne Kirche. Kann ich da auch mal ne Kerze anzünden?“– Als er das sagte, ist in mir etwas passiert. Der Blick des Jungen – soweit ich das durch die tiefgezogene Mütze erkennen konnte - hat mich berührt. Ich konnte ihm abnehmen, dass er das wirklich gern machen würde: In einer Kirche eine Kerze anzünden. Ich hab ihn eingeladen, das einfach mal zu tun ob nun bei uns oder sonstwo in einem Gebetsraum. Ob es dazu gekommen ist, weiß ich nicht. Aber es wäre ein erster Schritt. Kein weltbewegender, aber ein weltverändernder.

 

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und einen schönen Sonntag.

Sendeort und Mitwirkende

Norddeutscher Rundfunk

Redaktion: Eberhard Kügler (NDR)