Wort zum Tage
Freiheit und Verantwortung – Point Alpha
15.09.2015 06:23

„Point Alpha“ heißt die Gedenkstätte auf der ehemaligen innerdeutschen Grenze in Thüringen. Dort standen sich in den Jahren des Kalten Krieges Soldaten der DDR und der USA einen Steinwurf entfernt gegenüber, Türme auf dieser und jener Seite, Horchposten hier und dort.

 

Gemeinsam mit Jugendlichen und Erwachsenen war ich in diesem Sommer in der Gedenkstätte. Ein Gästebegleiter hat uns über das Gelände geführt und erklärt, wie mit den Jahren die Gewalt an der Grenze immer perfider und die Grenzanlagen immer weiter perfektioniert wurden. Er hat mit uns über die Selbstschussanlagen gesprochen und darüber, wie Menschen entlang der Grenze ihr Leben verloren. Die Jugendlichen wurden im Verlauf der Führung immer stiller. Eine Sechszehnjährige fasste ihr Entsetzen in Worte: „Was sind das für Menschen, die ihr Volk einsperren müssen, damit sie ihnen nicht weglaufen?“ In der abendlichen Runde erzählten die Erwachsenen von erlebter Unfreiheit, von Bedrückung und dem „doppelten Gesicht“, mit dem sie sich in der Öffentlichkeit anpassten und sich nur im allerengsten Kreis trauten, ihre Meinung zu sagen. So manche Träne wurde geweint und es war spürbar, wie sehr dieses System die Menschen eingeengt hat und welche innere Not die feingestrickte Ordnung der ideologischen Beeinflussung und der äußeren Gewalt Menschen bereitet hat. Und dann begannen auch die Jugendlichen, die unerzählten Geschichten ihrer Familien zu erzählen, Geschichten, die auch heute noch nur im engsten Familienkreis erzählt werden, weil es so lange verboten war, darüber zu reden, und weil die Erinnerung schmerzt: von der Zwangskollektivierung der Höfe in den sechziger Jahren, vom faktischen Berufsverbot für ihre Eltern, weil sie christlich waren, von Repressionen, die ihre Großeltern und Eltern erlebt haben, weil sie zur Kirche gehörten, weil sie ihre Meinung sagten, weil sie sich nicht eingefügt haben. Ein Abend voller intensiver Gespräche, an dessen Ende ein Jugendlicher die Stimmung mit einem Seufzer zusammenfasste: „Bin ich froh, dass das heute anders ist!“

 

Wie kostbar die Freiheit ist, lässt sich wohl nur verstehen, wenn man wahrnimmt, wie entmutigend und zermürbend Unfreiheit ist und wie sie das Denken und Fühlen der Menschen durch Einengung im Kleinen und Gewalt im Großen beeinflusst.

Wie gut – Gott sei Dank! – dass mit der friedlichen Revolution 1989 in ganz Deutschland die Freiheit einzog und Menschen sich nun offen und frei an die Geschichte erinnern und das kostbare Gut der Freiheit miteinander bewahren können.