Sendung zum Nachlesen
„Sag die Wahrheit!“ Nach all den Jahren habe ich den scharfen Ton noch im Ohr. Der strenge Blick meiner Lehrerin hat mich ebenso tief getroffen wie die Schadenfreude meines Schulkameraden. Der hatte die Tafel mit meinen Wachsmalstiften beschmiert und dann behauptet, ich sei das gewesen. Die Lehrerin hat mir nicht geglaubt. Schließlich lagen die Wachsmalstifte auf meinem Tisch. Ich habe mich geschämt, wäre gerne im Boden versunken. Die Ungerechtigkeit hat mich gelähmt und tat körperlich weh.
„Du sollst über Deinen Mitmenschen nicht übel reden und ihn nicht verleumden!“ So lautet eines der Zehn Gebote. Es ist schmerzlich und zerstörerisch, wenn andere schlecht über uns reden. Die Scham macht Menschen klein, lässt sie an sich selbst zweifeln, nimmt ihnen die Kraft zum Leben. Lügen und auch verdrehte Wahrheiten zerstören das Miteinander der Menschen. Das erleben wir im ganz persönlichen Bereich und auch in der öffentlichen Kommunikation, wo Lügen als „Fake-News“, „alternative Fakten“ und Mittel zur Panikmache und Hetze gegen Minderheiten zur schmerzlichen Normalität geworden sind. Und umgekehrt: Wenn das, was offenkundig wahr ist, als Lüge bezeichnet wird, kommt die Welt ins Wanken. Was gibt uns dann noch Sicherheit?
„Die Wahrheit wird euch frei machen!“ sagt Jesus im Johannesevangelium (Johannes 8,32).
Wenn ich mir selbst und anderen eingestehe, dass ich Fehler gemacht habe, ist das nicht leicht. Doch gerade darin ist die Chance, Dinge wieder neu zu ordnen und verletztes Vertrauen zu heilen. Wer bei der Wahrheit bleibt, kann sich auch selbst mehr vertrauen und braucht keine Konstrukte, die die Wirklichkeit verdrehen. Die Wahrheit sagen baut Brücken. Lügen reißt Gräben auf und verletzt die Herzen.
Wie anders wäre die Situation damals ausgegangen, wenn mein Klassenkamerad zu seiner Tat gestanden hätte? Stattdessen hat er ein großes Lügengebäude um seine Behauptung gebaut, diese und jene Geschichte hinzugefügt. Uns beiden ging es anschließend nicht gut, mir nicht, weil ich beschämt als Lügnerin da stand, ihm nicht, weil er in seiner inneren Lügen-Logik immer mehr den Kontakt zur Wahrheit verlor; und sich die Welt so zusammengestellt hat, wie er sie für sich brauchte.
„Die Wahrheit wird euch frei machen!“ Sagt der, der sich im Leben auskennt und Menschen mit ihren Fehlern, ihrer Schuld und Scham annimmt. Er will uns ermutigen, mit uns selbst und anderen wahrhaftig zu sein. Weil darin die Chance liegt, besser weiterzumachen, offener und freundlicher, und manchmal sogar neu zu beginnen, auch miteinander.
Es gilt das gesprochene Wort.