Sendung zum Nachlesen
Abgegriffen ist das Kirchbuch, die Ecken sind hier und da angestoßen. Ich schlage den Konfirmationsspruch der Verstorbenen nach. 1941 hat ein älterer Vertretungspfarrer die Jugendlichen konfirmiert, mitten im Krieg. Da glaubte man sich noch auf der Siegerstraße. Ob der alte Herr schon wusste, was kommen würde?
„Gott spricht: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jesaja 43,1) Worte aus dem Jesajabuch voller Zuspruch hat er ihr mit auf den Lebensweg gegeben. Sie hat sie gebraucht in den Jahren darauf, war immer wieder zum Kriegsdienst eingezogen, hat mehrfach knapp überlebt, beim Kriegsende Schlimmes durchstehen müssen. Und hat dann mit aller Klarheit ihren Glauben auch im Gegenüber zu dem neuen politischen System der DDR gelebt. „Fürchte Dich nicht!“ Die Angst, der Fanatismus eines politischen Systems, der Krieg und die ganze Gewalt könnten sich wiederholen, begleitete sie ein Leben lang. Ein hochbetagter Mensch, der in den 1920er Jahren geboren wurde, weiß das ja aus eigener schmerzlicher Erfahrung: welches Elend, welche Not, wie viel Angst, Gewalt und Tod jeder Krieg über die Menschen bringt.
Nun hatte Gott sie sanft bei ihrem Namen gerufen. Wir haben sie beerdigt, bei der Beerdigung aus ihrer Lebensgeschichte erzählt, um Trost für die Angehörigen gebeten.
Als wir aus der Friedhofskapelle kommen, lockern sich an einem bis dahin bewölkten, regnerischen Tag die Wolken auf. Hier und da blitzt ein kleines Stückchen Himmel blau hervor. Der Sarg wird herabgelassen und wir singen, so wie sie sich das gewünscht hat, den Osterchoral „Christ ist erstanden“. Über uns öffnen die Wolken ein Himmelsfenster und der kleine Dorffriedhof wird mit uns allen in warmes, strahlendes Sonnenlicht getaucht. Gott baut eine Brücke aus Licht hinüber in seine andere Wirklichkeit. Die Blumen auf den Gräbern strahlen in allen Farben, ein Vogel zwitschert zu unserem Gesang begeistert mit und setzt seinen Gesang fort, als die Trauergesellschaft nun nach und nach ans Grab tritt.
„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“
Am Ende ihres langen Lebens war, wie vieles darin, auch ihr letzter Weg ein Geschenk an die, die ihr nahe standen. Über ihrem Grab war der Himmel offen; und Gott war zu spüren. Mich hat das sehr berührt, die Angehörigen hat es sichtlich getröstet. Was ihr Herz ein Leben lang erfüllt hat, durfte nun vom Grab aus ein gutes Stück mit uns gehen: ihr Glaube und ihr Gottvertrauen. Gott geht mit durch die schweren Zeiten hindurch, ist da, wenn das Leben uns lacht und auch darüber hinaus.
Es gilt das gesprochene Wort.