Nicht in der Bibel, aber schön
Heute, am 6. Januar, sind sie wieder unterwegs, Kinder, verkleidet als die Heiligen Drei Könige. Vorneweg geht jemand mit einem Stern an einer langen Stange und stellt den Stern von Bethlehem dar, hinterher gehen die eigentlichen Könige; einer von ihnen hat sich das Gesicht schwarz bemalt. Er spielt den Balthasar, der aus Saba kommen soll. Melchior und Caspar kommen aus dem Nahen Osten. Die drei Könige haben früher an den Haustüren gesungen, um sich in der winterlichen Lebensmittelknappheit ein Zubrot zu erheischen. Heute sammeln die Kinder für Projekte in den Entwicklungsdiensten. Wer allerdings in den biblischen Weihnachtsgeschichten nach den drei Königen sucht, wird fehlgehen. Es gibt sie nicht. Es ist lediglich von Weisen aus dem Morgenland die Rede, ihre Anzahl bleibt im Dunkel; und sie erheischen keine Geschenke, sondern bringen welche. Der Brauch, einander zu Weihnachten zu beschenken, hat hier seinen Ursprung. Wir bilden, indem wir einander beschenken, die Geschenke der Weisen aus dem Morgenland ab. Das gibt unseren Geschenken eine tiefere Bedeutung, auch wenn wir das in der Regel nicht bemerken.
Geschenke für ein Kind und einen König
Das erste Geschenk, das die Weisen bringen, ist Gold. Doch was will ein Baby wohl mit einem Goldklumpen? Eine Rassel oder ein Schmusetier wäre doch angemessener gewesen. Doch halt! Es geht hier gar nicht um materielle Werte. Das Gold, das die Weisen mitgebracht haben, symbolisiert: Du, Kind in der Krippe, bist ein König, und ich huldige deiner Herrschaft. Ursprünglich bedeuten die Weihnachtsgeschenke also nicht, dass das Konsumkarussell wieder rotieren muss, sondern sie symbolisieren, dass Jesus Christus der Herr der Welt ist und dass für ihn nur das Beste gut genug ist. Wenn wir an seiner Stelle einander beschenken, tun wir symbolisch an unseren Kindern und Partnern das, was Gregor der Große so beschrieb: „Wir opfern dem neugeborenen Herrn Gold, indem wir ihn als den König des Weltalls anerkennen.“
Das zweite Geschenk ist Weihrauch. Das war in der Antike der Gottesduft schlechthin. Er vermittelte den Gläubigen die Fähigkeit, Kontakt mit dem Göttlichen aufzunehmen, ja, er gab jedem, der es opferte, Anteil an der göttlichen Kraft. Wenn also die Weisen aus dem Morgenland dem Kind Weihrauch opfern, verkündigen sie: Das ist ein göttliches Kind, dem man Opfer bringen muss, das ist der Gottessohn. Wenn wir einander zu Weihnachten beschenken und es so tun wie die Weisen aus dem Morgenland, verkündigen auch wir unseren Lieben: Das Kind in der Krippe, zu dessen Ehren wir einander beschenken, ist ein göttliches Kind, es ist Gottes Sohn. Und wir sagen zueinander, wenn wir uns gegenseitig beschenken: Dich will ich ehren, denn du bist auch ein Gotteskind, Bruder und Schwester Jesu Christi.
Das dritte und Geschenk ist Myrrhe. Das ist endlich einmal ein Geschenk, mit dem das Baby in naher Zeit etwas wird anfangen können. Es ist eine Art Harz und galt als Schmerzmittel. Wenn Kinder Zähne bekamen, gab man ihnen zur Linderung der Schmerzen Myrrhe. Und Jesus wird seine Zähne wie jedes andre Baby unter Schmerzen bekommen haben, das ist gewiss. Myrrhe ist also ein Symbol für das Leiden, für körperliche Gebrechlichkeit und die Vergänglichkeit alles Lebendigen. Wenn die Weisen aus dem Morgenland dem Kind Myrrhe schenken, verweisen sie darauf, dass der Gottessohn ganz und gar Sohn der Maria ist, Mensch unter Menschen. Für uns, die wir einander im Gefolge der Weisen Geschenke machen, heißt das: Wir sagen ja zu unserer Geschöpflichkeit, ja zum Leben und zum Tod, ja zum Leiden und zur Freude, ja zu dieser ganzen menschlichen Existenz. Wir sagen deshalb ein kräftiges Ja dazu, weil dieses Leben mit seiner Freude und seinem Leid, seiner Vitalität und seiner Todverfallenheit gewürdigt wurde, den Gottessohn Jesus Christus aufzunehmen und darzustellen.