Sendung zum Nachlesen
Der Januar macht Lust neu aufzubrechen. Eine Zeitschrift bietet hübsche Symbole an – einen Füller für die Schriftstellerin, ein Mikro für die Medienfrau, Ballerinas für die Tänzerin, bunte Kochlöffel für die Hobbyköchin. Wellness und Gesundheit sind die Themen der Zeitschrift. In diesem Artikel geht es darum, den eigenen Gaben nachzuspüren, die eigene Berufung zu entdecken. Und dann gezielt Prioritäten zu setzen. Vielleicht eine Fortbildung zu machen oder sich sogar noch einmal ganz neu zu erfinden.
Die arbeitslose Schuhverkäuferin hätte sich vielleicht einen Spiegel als Symbol ausgesucht. Ich werde sie nicht vergessen: Sie kam eines Tages in unserem Nachbarschaftsladen vorbei, weil sie einfach keine Lust mehr hatte, zu Hause sitzen. Ob sie bei uns ehrenamtlich mitarbeiten könnte, wollte sie wissen. Sie hatte gehört, dass wir gerade eine neue Kleiderkammer eröffnet hatten – eigentlich war’s ein richtig schicker Second-Hand-Shop. Und Menschen zeigen, was zu ihnen passt, das konnte sie. Jede, die aus der Umkleide herauskam und sich vor dem Spiegel drehte, hatte ein Lächeln auf den Lippen. Und unsere Schuhverkäuferin hatte einfach eine Begabung: sie konnte sehen, was einer Kundin passte, was ihr stand und sie zum Strahlen brachte.
Eine tolle Frau – sie wohnte bei uns in der Gemeinde, aber wir kannten uns noch nicht. In der Kirche mitarbeiten, sagte sie, da ginge es doch meistens ums Reden oder ums Singen. Dafür wäre sie nicht gemacht. Und auch Besuche seien nicht so ihre Sache; so gern sie Menschen möge. Im Café bedienen oder im Second-Hand-Shop, das könnte sie sich aber gut vorstellen. Ehrlich gesagt: ich konnte das nachvollziehen. Beim Ehrenamt in der Kirche denken viele an Besuchsdienst, die Mitarbeit im Kindergottesdienst oder in der Jugendarbeit oder auch an Lesungen im Gottesdienst. Dabei gibt es eine große Vielfalt von ehrenamtlichen Aufgaben: bei den Tafeln und Nachbarschaftshilfen, in der Hospizarbeit, im Kirchgarten, und bei Mittagstischen und Hausaufgabenhilfen. Jeder und jede kann und soll einbringen, was er kann. Mit dem Mikro, der Gartenschere oder dem Kochlöffel. Mit der Bibel, dem Hausaufgabenheft oder der Joghurtpalette. Und auch mit Ballerinas. Alles ist möglich, was Menschen können.
Im Neuen Testament gehören zu den Gaben des Heiligen Geistes nicht nur Glaubenskraft, Weisheit und Vermittlung von Erkenntnis, sondern auch die Gabe, Krankheiten zu heilen. Und nicht nur das Predigen gehört zu den Ämtern der Kirche, sondern auch die Armenspeisung und die Begleitung der Sterbenden und Trauenden. Diese Vielfalt wurde manchmal vergessen. Vielleicht, weil nur einige dieser Aufgaben in der Kirche selbst stattfinden. Dabei werden doch alle Begabungen gebraucht, damit Gottes Liebe sich im Alltag ausbreitet. Die Seelsorge genauso wie die Arbeit an den Tafeln.
Ich denke da nochmal an die Schuhverkäuferin. Was sie kann, gerät schnell aus dem Blick. Darum freue ich mich, dass es Gemeinden gibt, die andersherum denken: von den Gaben zu den Aufgaben. Gemeinden, die ihre ganze Arbeit an den Gaben, den Charismen orientieren! Weil die Kirche sich von einem weltlichen Verein grundlegend unterscheidet. Es geht nicht zuerst um Aufgaben und Zuständigkeiten, für die dann die passenden Menschen gefunden werden müssen. Es ist umgekehrt: Eine Kirche, die ernst macht mit ihrem geistlichen Ursprung, entdeckt jeden Getauften mit seinen Gaben. Damit ist das Vertrauen verbunden, dass Gott seiner Kirche alles gibt, was sie braucht – und das ganz konkret durch die Menschen, von denen jeder und jede einzelne reich beschenkt ist.
Ich finde, es lohnt sich für Gemeinden, auf Talentsuche zu gehen. Und umgekehrt lohnt es sich für jeden Einzelnen, mit den eigenen Talenten zu wuchern. Neu aufzubrechen mit dem, was man hat und kann. Jetzt, in diesem Frühjahr, finden in einigen evangelischen Gemeinden Kirchenvorstandswahlen statt. Ich freue mich auf jeden und jede, die Lust hat sich zu engagieren – damit ganz viele mit ihren Gaben zum Zug kommen.