Hoffnungszeichen
Erinnerung an Friedrich Schorlemmer und daran, wie aus verbrannter Erde neues Leben wächst
13.09.2024 06:35

Auf dem Brocken im Harz hat es gebrannt. Dort, wo früher die innerdeutsche Grenze verlief und dann die Freiheit wandern lernte. Für unsere Autorin Cornelia Coenen-Marx ist das sinnbildlich.

Sendung zum Nachlesen:

Der Regen war eine Erlösung. Am Montagabend kam das Feuer am Brocken im Harz endlich zur Ruhe. 180 Feuerwehrleute waren im Einsatz. 500 Touristen, Wanderer und Einwohnerinnen mussten evakuiert werden. Löschflugzeuge ließen ihre Ladung über dem Königsberg, der Nebenkuppe des Brocken ab. Der Brand war schwer zu löschen, die Flammenfront war rund einen Kilometer lang.

Seit das Klima sich erhitzt, haben wir jedes Jahr Waldbrände gesehen. Nicht nur in Brasilien, sondern auch bei uns. Es ist nicht das erste Mal, dass es am Brocken brennt. Aber diesmal hat es mich besonders angefasst. Noch immer steht der Verdacht im Raum, dass Brandstiftung dahintersteckt. Die Ermittlungen laufen. Falls sich der Verdacht bewahrheitet: Wer tut so was?

Im Sommer 1990 haben wir ein paar Urlaubstage im niedersächsischen Braunlage verbracht. Von dort kann man zu Fuß zum Brocken in Sachsen-Anhalt gehen. Ich erinnere mich an unsere Wanderungen - das frische Grün, den Himmel über den Kiefernkronen, an alte Baumstämme und Steine, auf denen man Pause machen konnte. Und an das großartige Gefühl, dass wir dort im Freien laufen konnten, wo ein Jahr zuvor die deutsch-deutsche Grenze verlief, der Eiserne Vorhang. 1990 konnte man noch die Sperrzone mit den militärischen Anlagen sehen. Heute ist das Gebiet zwischen Braunlage, Weringerode und Schierke ein Touristenhotspot – mit Brockenbahn, Museum und Café. Wenn ich dort bin, spüre ich noch dieses Gefühl aus dem Sommer 1990: Freiheit, Offenheit und Verbundenheit. Wohl deswegen tat es so weh, das Feuer zu sehen – die Glutnester, die auch noch nachts brannten.

Mir kommt dieser Brand wie ein Zeichen vor. Was ich hier sehe, finde ich auch sonst in unserem Land. Verbrannte Erde, wo einmal Hoffnung aufblühte. Enttäuschung über nicht eingehaltene Versprechen. Und Spaltung statt tragfähiger Gemeinschaft. Wo finden wir neue Hoffnung?

Während die Feuer am Wochenende loderten, ist einer der Hoffnungsträger der Friedlichen Revolution gestorben: Friedrich Schorlemmer. Der evangelische Pfarrer aus Wittenberg. Bürgerrechtler in der DDR und nach der Wende eine wichtige Stimme im wiedervereinigten Deutschland. Alle Medien haben über ihn und seinen Tod mit 80 berichtet.

Wir brauchen Menschen, die glaubwürdig sind, weil sie über den Tag hinaussehen. Und Hoffnungszeichen, an denen wir uns festhalten können. Friedrich Schorlemmers Hoffnungszeichen war die Pflugschar. Das alte Ackergerät, das den Boden umgräbt und Furchen zieht, damit neues Leben wächst. Damit es wieder grünt und blüht, wo vorher verbrannte Erde war. 

1983 beim Kirchentag zu Luthers 500. Geburtstag ließ Friedrich Schorlemmer eine Pflugschar schmieden. Mit anderen zusammen stand er in einem Innenhof in Wittenberg, wo ein Schmied aus einem Schwert eine Pflugschar gestaltete, noch ehe die Stasi begriff, was geschah. Das sei ein Wunder des Heiligen Geistes gewesen, hat Schorlemmer später gesagt. "Schwerter zu Pflugscharen" war der Slogan der Friedensbewegung in der DDR. Viele junge Leute trugen den kleinen Aufnäher auf Hemd oder Jacke. Und selbst dann, wenn sie gezwungen waren, ihn abzuschneiden, erkannte man ihn noch an dem dunkleren, kreisförmigen Fleck auf dem Stoff.

Es war ein Bibelwort, aus dem Friedrich Schorlemmer Hoffnung schöpfte. Ein Wort des Propheten Micha (Micha 4,3): In den letzten Tagen werden die Völker und Nationen "ihre Schwerter zu Pflugscharen machen". Mehr als zweieinhalb tausend Jahre alt und immer noch ist sie da, die Sehnsucht nach Frieden zwischen den Völkern.

Was kann uns helfen, Frieden untereinander zu finden? Was hilft, offen und respektvoll miteinander umzugehen? Und nicht zu zerstören, wovon wir leben? Was lässt im Harz nach dem Brand auf dem Brocken die jungen Bäume wieder wachsen? Tatsächlich kenne ich viele Gruppen - Umweltverbände, Schulen, Kirchengemeinden, die junge Bäume pflanzen – ganz praktisch, aber auch im übertragenen Sinne. Da kommt eine neue Generation, die eines Tages über den Baumkronen wieder den Himmel sieht. Eine Gießkanne wäre gut dazu. Für jeden von uns eine Gießkanne. Damit die Hoffnung wächst.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

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