Sendung zum Nachlesen
„Gibst Du ihm den kleinen Finger, nimmt er gleich die ganze Hand“. Der launige Spruch erzählt von der Angst, mit Haut und Haaren verschluckt zu werden. Bei einem Ehrenamt ist das gar nicht so unrealistisch. Ehrenamtliche sind oft an verschiedenen Stellen engagiert: in der Schule, im Sportverein und auch noch in der Kirchengemeinde. Und wer sich mit Haut und Haaren einer Aufgabe widmet, verliert schnell aus den Augen, wieviel Zeit er einsetzt. So ging es vielen in der Arbeit mit Geflüchteten. Als vor zwei, drei Jahren die Notunterkünfte bereitgestellt wurden, war schneller Einsatz gefragt: Betten bauen, Kleidung sortieren, Kinder verwahren, Deutschunterricht anbieten. Da wurde jeder gebraucht. Und wer schon Erfahrung mitbrachte, wurde schnell zum Koordinator vor Ort. Es ist großartig, wie viele Menschen sich ansprechen ließen von dieser Aufgabe. Wie viele durchgehalten haben und nach wie vor dabei sind. Aber jetzt, wo es um die Langstrecke geht, um Integration in der Schule, in Betrieben und Nachbarschaft, spüren viele auch ihre Grenzen.
„Ich habe Generationen von Ehrenamtlichen erlebt, die sich unheimlich engagiert haben, aber viel zu viele haben irgendwann einfach aufgegeben, weil sie resignierten oder nicht mehr weiter kamen“, sagt eine Mitarbeiterin der Caritas. Sie hat eine Fortbildung zum Thema „Das Ehrenamt und seine Grenzen“ organisiert. Da stellt sich heraus: Die Begleitung einer Familie aus Syrien oder Afghanistan nimmt auf Dauer viel mehr Zeit in Anspruch, als man sich am Anfang vorgestellt hatte. Wie setzt man Grenzen, wenn man längst zum Teil der Großfamilie geworden ist? Besser Grenzen ziehen als sich komplett zurückziehen. Ein bewusster Umgang mit der eigenen Zeit ist ein Anfang: Wenn die Freizeit auf der Strecke bleibt – Sport, Familie oder Freundeskreis – dann läuft etwas schief. Sich selbst aufgeben, um die anderen nicht aufgeben zu müssen, das ist keine Lösung. Trotzdem: es ist nicht leicht auszuhalten, dass kein anderer einspringt, wenn ich mal nicht kann. Dass vieles nur im Schneckentempo vorangeht. Und dass die Aufgabe größer ist als meine Kräfte.
Eine Fortbildung kann helfen, den Druck herauszunehmen. Auch ein Ehrenamtsvertrag trägt dazu bei, sich über die eigenen Aufgaben und Grenzen klar zu werden. Was will ich einbringen, welche Kompetenzen habe ich und welche Unterstützung brauche ich? Wie viel Zeit will ich spenden und wo finde ich Beratung, wenn ich selbst nicht mehr weiterweiß? Eine Mentorin, ein Mentor kann helfen – oder auch eine Supervision, um ab und an Inventur zu machen. Gerade Ehrenamtliche brauchen das – nicht nur in der Flüchtlingsarbeit, auch in der Telefonseelsorge oder in der Hospizarbeit.
„Ich habe heute viel zu tun, darum muss ich heute viel beten“, soll Martin Luther gesagt haben. Er war dabei ganz auf der Spur Jesu. Wenn Jesus von besonders vielen Kranken und ihren Angehörigen bestürmt wurde, dann zog er sich in die Einsamkeit zurück und betete. Er hat nicht alle Krankheiten geheilt, er hat nicht alle Wünsche erfüllt – mit seinem ganzen Leben hat er nur Zeichen gesetzt. Er hat Pausen gemacht, um aufzutanken – trotz seiner göttlichen Kraft. Zu meinen, wir hätten das nicht nötig – das wäre hochmütig. Nein, wenn wir meinen, wir könnten die ganze Welt retten, dann ist es sinnvoll, immer wieder mal bei uns selbst anzufangen. Und Kraft zu tanken. Vielleicht geht es im Ehrenamt auch um diese Entdeckung: Wenn wir uns neuen Herausforderungen stellen, statt die Augen zu verschließen, dann geschieht etwas an uns. Wir lernen unsere Grenzen kennen, wir müssen mit Enttäuschungen umgehen. Wir werden geerdet, demütiger – und nehmen so vielleicht den Himmel besser wahr. Engagement schickt auf einen spirituellen Weg.
Von den Jakobspilgern lerne ich: das Ziel vor Augen haben, die eigenen Kräfte einteilen und mir vielleicht auch Begleitung suchen. Und regelmäßig Rast machen. Luther hat Recht: Gerade, wenn alle etwas von mir wollen, wenn es von allen Seiten an mir zieht, will ich mir Zeit nehmen zu beten. Ich will und darf eine Grenze ziehen und einfach mal Nein sagen.