Sendung zum Nachlesen
„Du wirst gebraucht. Mit allem, was Du kannst. Und mit allem, was schiefgelaufen ist in Deinem Leben.“ Mitten in der Wüste hört Mose diese Stimme. In Ägypten hatte er einen Mann erschlagen. Einen der Vorarbeiter beim Pyramidenbau, der die Hebräer spüren ließ, dass sie Fremde waren. Spät erst hatte Mose begriffen, dass er selbst ein Hebräer war. Er war am Hof des Pharao aufgewachsen – ein hebräisches Findelkind im Zentrum der Macht. „Du wirst gebraucht“, sagt ihm die Stimme, „damit Dein Volk frei wird.“ Und alles wehrt sich in Mose. „Ich? Wieso ich? Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen sollte?“
Wer kennt das nicht? Das Nachbarschaftszentrum braucht Integrationshelfer für Geflüchtete – Menschen, die sie auf Behördengängen begleiten oder im Gespräch mit Firmen. Da muss man es ertragen, wenn man mit all seinem Engagement vor Mauern läuft. Die Ungewissheit aushalten und die Traumata. Kann ich das? Anderswo werden Ehrenamtliche gesucht, die Sterbende im Pflegeheim begleiten. Schaffe ich das? Mich der eigenen Endlichkeit zu stellen? Und wer unterstützt mich, wenn ich nicht mehr weiterweiß?
Auf mich kann es doch nicht ankommen, denkt man. Immer wieder erzählt auch die Bibel von Menschen, die Angst haben vor dem, was auf sie zukommt. Sie fühlen sich zu jung, zu alt oder zu krank. Mose hat eine Behinderung: Er kann nicht reden. Wie soll denn jemand Politik machen, der nicht gut im Reden ist? Als ob Gott nicht bedacht hätte, wer da vor ihm steht. „Habe nicht ich, der Herr, den Menschen einen Mund gegeben? Kann ich sie nicht stumm oder taub machen, sehend oder blind?“, bekommt Mose zu hören. So wie Du bist, wirst Du gebraucht. Auch wenn Du mit dem Rollator oder dem Rollstuhl unterwegs bist. Wer Fluchterfahrungen hat, weiß, wie es ist, sich nach Freiheit zu sehnen. Wer Mobbingerfahrungen hat, weiß, wie es ist, klein gemacht zu werden. Genau das sind die Menschen, die anderen Rückenwind geben können. Auf dem Weg zum Amt. Am Arbeitsplatz. Und auch in der Politik. „Geh jetzt, Mose. Ich bin bei dir und sage dir, was du reden sollst.“
Aber Mose traut sich schon lange nichts mehr. „Herr, sende doch lieber einen anderen“, sagt er kleinlaut. Mein Gott, ist es schwer, einem Menschen Mut zu machen! Aber dann gibt es da einen, der das Wort für Mose ergreifen kann. Sein Bruder wird zum Mitstreiter, er kann gut reden. Zu zweit sind sie ein richtiges Gespann. Mose und Aaron. Wenn einer mitgeht, wachsen Dir Kräfte zu.
Selten habe ich jemanden so begeistert von seinem Engagement erzählen hören wie einen der Kirchenwächter aus der Marktkirche in Essen. Den ehrenamtlichen Dienst hat der Stadtkirchenverband für eine Kunstausstellung organisiert. Neunzig Ehrenamtliche machten mit – darunter neunzehn mit einer geistigen Behinderung. Die Idee: Sie übten ihren Dienst jeweils im Tandem mit einem Nichtbehinderten aus. So wurde die Marktkirche zu einem Ort der Begegnung. In der Gruppe wurden die Ehrenamtlichen mit Behinderungen als Gleichberechtigte wahrgenommen. Sie kamen mit den Besuchern ins Gespräch, konnten ihre ganz eigene, oft ungewohnte Deutung der Bilder weitergeben. So wurden auch die Besucherinnen und Besucher zu einem neuen, anderen Blick auf die Kunstwerke angeregt. Und weil am Ende alle begeistert waren, ging der Dienst auch nach der Ausstellung weiter.
Gebraucht werden und dazugehören. Das ist eine wunderbare Erfahrung. Studien, die in den Blick nehmen, aus welchen Schichten und Milieus die Engagierten kommen, zeigen aber: Hartz-4-Empfänger, Langzeitarbeitslose und auch Menschen mit Behinderung finden oft den Einstieg nicht. Es fehlt ihnen an Netzwerken. Mehr noch als andere brauchen sie jemanden, der sie anspricht und ermutigt. Und einen Partner, der mitgeht.
Hier und da können Menschen mit einer schwierigen Lebensgeschichte diese Erfahrungen machen. „Kunden“ der Tafeln zum Beispiel, die zum Teil des Teams werden. Oder Wohnungslose, die andere durch ihre Stadt führen. Berufungen entdecken, die andere nicht sehen. Menschen nach vorne stellen, die immer im Hintergrund bleiben – das sollte die Kirche nicht den Castingshows überlassen.