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Die Sendung zum Nachlesen:
„Es war die Hölle, unter Raketenbeschuss aus meiner Heimatstadt zu fliehen.» Das sagt der ukrainische Künstler Pavlo Makov über seine Flucht aus Charkiw. Die zweitgrösste Stadt der Ukraine war eine Kunstmetropole. Und Pavlo Makov war einer der bekanntesten Künstler dort. Mit seinen Radierungen, Drucken und Zeichnungen, mit Skizzen und Skulpturen hat er der Stadt ein Gesicht gegeben. Nun vertritt er sein Land auf der Biennale in Venedig.
Er war schon lange eingeladen, seine Skulptur zu präsentieren - „Brunnen der Erschöpfung“ heißt sie. Aber als die ersten russischen Bomben in Charkiw einschlugen war nicht klar, ob nach dem Künstler auch seine Kunst aus dem Kriegsgebiet herauskommt. Die 78 Trichter der Wasserinstallation vom „Brunnen der Erschöpfung“ lagen bei Kriegsausbruch noch in der Ukraine, erzählt Maria Lanko, die Kuratorin des ukrainischen Pavillons: "Wir haben begonnen, unser Lager zu räumen, als der Krieg nahte". Die Trichter konnten sie in drei Kisten unterbringen. Die passten in ein Auto. Maria Lanko war selbst so mutig, sich ans Steuer zu setzen. So brachte sie das Kunstwerk durch den Beschuss über die Grenze nach Polen und von dort nach Venedig.
Der Brunnen der Erschöpfung ist eine Metapher für den Zustand der Ukraine. Durch die 78 Trichter der Installation fließt Wasser die Wand hinunter – oben noch reichlich, unten immer weniger, bis es am Schluss nur noch tröpfelt. Es ist aber auch eine Metapher für den Zustand unserer Welt – erschöpft von Social Media, Fake News und der Pandemie. Das Kunstwerk symbolisiere auch die Erschöpfung demokratischer Gesellschaften, meint Pavlo Makov. Die Gesellschaften seien nicht darauf vorbereitet, sich zu schützen. Bis zum Kriegsbeginn sei die Skulptur eine Warnung gewesen. Jetzt aber sei sie ein Statement. Kunst „ist keine Medizin gegen die Krankheiten der Gesellschaft“, sagt Makov. „Aber eine Diagnose und ein Gegengift“.
Was hilft bei Erschöpfung, Überforderung und Leere? Ich denke an einen Brunnentrog in den Bergen: Wie gut es tut, das eiskalte Wasser mit den Händen ins Gesicht zu schöpfen. Oder die überlaufenden Brunnenschalen auf dem sommerlichen Marktplatz - die spielenden Kinder, die darin plantschen. Mir fällt ein Brunnenprojekt im Sudan ein – das Glück in den Augen der Mädchen, die das Wasser nun nicht mehr kilometerweit schleppen müssen. Und dann die Bibel: Sie erzählt von dem Dorfbrunnen, an dem Isaak und Rebekka sich zum ersten Mal trafen. Und von dem Brunnen, den Isaaks Vater Jakob gebaut haben soll - bei Nablus im heutigen Palästina.
An diesem Brunnen soll Jesus einer samaritanischen Frau begegnet sein; sie kam mit ihrem Krug, um Wasser zu schöpfen. Jesus hatte kein Gefäß, mit dem er schöpfen konnte, und der Brunnen war tief. Als er die Frau um Wasser bittet, weicht sie einen Schritt zurück – es gibt keine Gemeinschaft zwischen Juden und Samaritanern. Aber Jesus lässt sich nicht beirren, im Gegenteil: „Wenn du wüsstest, wer hier vor dir steht und dich um Wasser bittet - Du würdest ihn bitten. Er könnte dir lebendiges Wasser geben“.
Lebendiges Wasser. Ein Gegenmittel gegen die Leere unseres Lebens, denke ich. „Keine Medizin gegen die Krankheiten der Gesellschaft“, aber eine Diagnose und ein Gegengift.
Was Jesus da am Brunnen sagt, scheint rätselhaft, aber dann kommen die beiden auf das Leben der Frau zu sprechen. Ihre Sehnsucht, geliebt zu werden, ihre Erfahrung von Vergeblichkeit und Verlassenwerden. Viele Beziehungen - aber keine, die hielt. Sie muss sich fühlen wie der leere Krug, den sie trägt. „Wer aus diesem Brunnen trinkt, den wird immer wieder dürsten“, sagt Jesus. Und ich denke: Wir beuten die Energien der Erde aus, bis die Quellen leer sind. Wir zerstören unser Leben, weil das Streben nach immer mehr uns keine Ruhe lässt. Mit unserer Gier treiben wir die Klimakatastrophe voran, bis das Wasser ausgeht. Wie beim Brunnen der Erschöpfung.
Das „lebendige Wasser“, von dem Jesus spricht, „das wird eine Quelle in dir selbst.“ Was für ein wunderbares Bild. Ein Gegenmittel gegen die Erschöpfung, gegen die Leere unseres Lebens. „Keine Medizin gegen die Krankheiten der Gesellschaft“, aber eine Diagnose und ein Gegengift.
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