Guten Abend, meine Damen und Herren!
Wegen solcher Geschichten habe ich bei Weihnachten jedes Mal so’n bisschen gemischte Gefühle: es war schon ein Ritual zwischen meinem Vater und mir. Das mit dem Fahrrad, bzw. mit der Beleuchtung, die nie funktionierte. „Warum hast Du nicht endlich Dein Fahrradlicht repariert? Mensch, Alexander! Dich wird noch jemand umfahren!“ Ich trete voll in die Pedalen, lache und mein Vater rennt hinter mir her. „Das nächste Mal, Papa, versprochen, das nächste Mal!“ So war das zwischen uns beiden. Vor 21 Jahren ist mein Vater gestorben. Viel zu früh. Und ich trauere immer noch um ihn. Es passiert mir manchmal, dass ich bei seinen Lieblingsliedern – wenn eines davon plötzlich im Radio kommt – dass ich weine, weil ich merke, wie er mir immer noch so sehr fehlt. Besonders zu Weihnachten.
Und deshalb habe ich auch immer ein wenig Angst vor Weihnachten. Vor der Lücke, die ich dann stärker spüre als sonst. Es wäre so schön, wenn er noch da wäre. Wenn ich ihn einfach mal umarmen könnte. Wenn er seine Enkelkinder sehen könnte, wie sie ihre Geschenke öffnen. Weihnachten geht nicht ohne Vermissen. Und mir geht’s nicht alleine so. In der Adventszeit höre ich als Seelsorger immer wieder: „Wie soll ich diese Tage bloß überstehen? Ich habe Angst vor Weihnachten.“ Dieselbe Geschichte, andere Zeit, anderer Ort. Weihnachten.
Eine Familie ist zusammen, der jüngste Sohn fehlt. Tod im Krieg. Am Weihnachtstag sagt die Mutter: ‚Wir wollen nachher hinübergehen.‘ Das Hinübergehen heißt, sie gehen alle auf den Friedhof. An Weihnachten! Mutter und Vater sind vorher noch einmal ins Wohnzimmer gegangen, haben einen Tannenzweig vom Baum geschnitten mit einem Licht und Lametta und nehmen diesen Weihnachtszweig für das Grab vom toten Sohn mit. Auch in den folgenden Jahren wird es zu Weihnachten bei diesem Friedhofsgang bleiben.“ Die Familie heißt Bonhoeffer.
Der ältere Bruder des Verstorbenen ist der bekannte Theologe Dietrich Bonhoeffer, er sagt Jahre später: „Es gibt nichts, was die Abwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann und man soll das auch gar nicht erst versuchen. Man muss es einfach aushalten und durchhalten. Das klingt zunächst sehr hart, aber es ist doch zugleich ein Trost. Denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, bleibt man durch sie miteinander verbunden.“ So Bonhoeffer.
Die Lücke sehen und spüren - und dabei merken, dass uns genau das, dieses Vermissen, mit den Toten verbindet. Die Familie Bonhoeffer hat dafür ein schönes Ritual gefunden. Ich will das dieses Jahr auch so machen. Ich werde einen Zweig aus unserem Weihnachtsbaum schneiden – mit Kerze und ordentlich Lametta. Und dann lege ich den Zweig auf das Grab meines Vaters. „Frohe Weihnachten, Papa, Du fehlst mir und bist mir gleichzeitig immer noch so nah.“ Weihnachten geht nicht ohne Vermissen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und morgen einen schönen vierten Advent.
Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
Redaktion: Ulrike Bieritz