Guten Abend. Diese Zeit geht an keinem von uns spurlos vorüber. Diese Kette von Schreckensmeldungen: Überschwemmungen, Wirbelstürme, Waldbrände, Afghanistan, Haiti, die Pandemie und, und, und. Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste.
Hiobsbotschaft. Der Begriff geht auf Hiob in der Bibel zurück. Hiob - rechtschaffen, gottesfürchtig, wohlhabend - erhält eine Schreckensnachricht nach der anderen. Er verliert alles; seine Kinder, den Besitz, die Gesundheit. Freunde wollen ihm beistehen, quatschen ihn aber nur mit religiösem Zeug voll. Geben ihm selbst die Schuld an seinem Elend. Was Gott übrigens schwer verärgert.
Tapfer hält Hiob am „nicht schuldig“ fest - und an seinem Gott. Diesem Gott klagt er alles Leid. Er will Antworten. Rebelliert. Tobt. Aber – er trennt sich nicht! Auch nicht, als seine Frau ihn provoziert: “Hältst Du immer noch fest an Deiner Frömmigkeit? Verfluche Gott und mach Schluss.“
Doch genau das tut er nicht, der Hiob. Er hält an Gott fest. Und akzeptiert schließlich das Unbegreifliche. Dass Gott größer ist – größer auch als Leid, Tod oder Unrecht. Wenn nur der Kontakt nicht abreißt.
Parallelen zum Buch Hiob finde ich im Krebstagebuch des im August 2010 verstorbenen Regisseurs Christoph Schlingensief. Auf den Tod krank setzt er sich mit seinen spirituellen Wurzeln auseinander, er schreibt:
„Jesus ist trotzdem nicht da. Und Gott ist auch nicht da. Und die Mutter Maria ist auch nicht da. Es ist alles ganz tot. (…) Die ganze kleinbürgerliche Kacke ist nicht mehr da.
Irgendwann sagt er zu einem Freund, er brauche mal jemanden zum Reden. Einen Priester. „Aber keinen, der frommes Zeug sagt – sonst muss ich kotzen.“
Bei Hiob kritisiert Gott höchstpersönlich das dumme Gerede der Freunde, von wegen Bestrafung: weil solch gruseligen Vorstellungen die Lebenskräfte lähmen.
Wie Hiob kämpft auch Schlingensief mit der Versuchung zur Kapitulation, ringt um Antworten. Irgendwann macht er sich klar:
„Erst wenn ich mich fallen und die Dinge geschehen lasse, bin ich frei.“ Frei im Moment radikaler Unfreiheit? Diese Vorstellung ist ihm dann doch zu „wirr“, zu „kompliziert“, schreibt er weiter. Aber „Hauptsache ich bin wieder in Kontakt und in Frieden mit den Dreien, mit Maria, Jesus und Gott“.
Und wenn doch was dran ist an den „wirren“ Gedanken?
Die Entscheidung Hiobs ist ja auch „verrückt“. Er entscheidet für sich, diesem unfassbaren Geheimnis, manche nennen es Gott, zu trauen. Er bleibt dabei: Gott ist das Leben. Auf Du und Du mit dem Ewigen kämpft es sich so ganz anders durch die Zumutungen des Lebens.
Hiob und Schlingensief – beide erahnen: Selbst in der Katastrophe bleibt mir ein Quantum an Freiheit. Beide erzählen von der Freiheit zum Perspektivwechsel: Davon, das Schicksal einmal mit anderen Augen zu betrachten. Ein Sprichwort heißt: „Augen, die geweint haben, sehen weiter.“ Sie können vom Tod zum Leben sehen. Ich staune, wie viele Menschen so einen Perspektivwechsel wagen. Und allen Hiobsbotschaften zum Trotz der Botschaft vom Leben trauen.
Kommen Sie gut durch die Nacht und in den neuen Tag.
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Redaktion: Ulrike Bieritz
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