Morgenandacht
Ein bisschen schief
25.11.2021 05:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

 

Es gibt so Sätze, die bleiben einfach hängen. Zum Beispiel der: „Ein bisschen schief hat Gott lieb.“ Den habe ich im Urlaub aufgeschnappt. Das war im Sommer oben an der Ostsee in Schleswig-Holstein.

 

An dem Tag machen wir einen Ausflug mit dem Schiff. Es ist noch Zeit bis zur Abfahrt. Also schreiben wir ein paar Postkarten. Dann setzen sich uns zwei Frauen gegenüber, offenbar Freundinnen, vielleicht um so die 50. Ich schiebe eine Karte zu meiner Frau rüber, sie unterschreibt und klebt eine Briefmarke drauf. „Die ist aber schief“, sage ich. Darauf meint die Frau schräg gegenüber: „en beten scheev hett Gott leev“. „Wie bitte? Was haben Sie gesagt?“, frage ich, „ich hab‘ irgendwas von Schaf verstanden...“ „Nee...“, „ein bisschen schief hat Gott lieb!“ „Ach so, verstehe!“. Ich muss schmunzeln.

 

Jetzt will die andere ein paar Fotos machen. Sie zückt schon ihr Handy. „Nee, lass mal“, protestiert ihre Freundin, „ich seh‘ auf Fotos nie gut aus.“ Sie möchte wirklich nicht. Ich gebe mir einen Ruck: „Wie haben Sie gerade gesagt: Ein bisschen schief hat Gott lieb, oder?“ Sie lacht. „Da haben Sie auch wieder recht. Na gut. Wir versuchen es mal.“ Das Schiff legt ab, die Stimmung bleibt heiter.

 

Die beiden erzählen noch, dass sie oben am Leuchtturm eine Weile bleiben und etwas essen wollen. Da gibt’s ein kleines Restaurant, da arbeiten junge Leute mit Behinderung oder einer psychischen Erkrankung. Nicht nur in der Küche, auch im Service. „Die Bedienung ist immer total nett, nur die Bestellung muss man auf einem Zettel ankreuzen, damit auch nichts schiefgeht.“ Klingt gut. Und ich muss nochmal über diesen kleinen Satz nachdenken: Ein bisschen schief hat Gott lieb. Ja, jeder Mensch ist etwas Wunderbares, ganz egal, welche Fähigkeiten er oder sie hat.

 

Der kleine Satz bedeutet viel. Das ist ja die große Erkenntnis Martin Luthers und der Reformation: Vor Gott gelten Menschen nicht etwas, weil sie etwas können oder besonders fromm sind und viele gute Werke tun. Dass Menschen Würde zukommt, dass Leben etwas wert ist, das lässt sich nicht verdienen. Aber das braucht sich auch niemand zu verdienen. Denn Gottes Liebe gilt jedem Menschen bedingungslos. Was übrigens der Grund dafür ist, warum Christen kleine Kinder taufen. Sie können noch gar nichts und sind schon von Gott geliebt. Aus dieser Liebe kann kein Mensch herausfallen. Was ich kann, das ist: darauf zu antworten. Diese Liebe Gottes kann mir mal mehr und mal weniger bedeuten. Es gibt Zeiten, da nehme ich sie als selbstverständlich, und andere, da halte ich mich daran fest. Verlieren kann ich sie nicht.

 

Heute weiß man, dass der Apostel Paulus mit einer dauerhaften Erkrankung oder Behinderung gelebt hat. Er versucht nie, seine körperliche Schwäche zu überspielen oder durch besondere geistige Leistungen auszugleichen. Seine Erfahrung ist: Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. „Ein bisschen schief hat Gott lieb?“ Das hätte ihm wahrscheinlich gefallen.

 

Ich weiß es noch genau: In den Sommerferien, am Tag nach dem Ausflug mit dem Schiff, schien endlich mal richtig die Sonne. Wir nehmen also die Räder und machen eine Tour zum Strand. Wir sind nicht die einzigen. Es ist ein buntes Treiben. Familien, Kinder, auch ein paar ältere Männer und Frauen, Strandprofis mit gebräunter Haut und Frischlinge, die das T-Shirt in diesem Sommer noch nicht so oft ausgezogen haben. Und ich mittendrin. Wenn ich an mir runterschaue, sehe ich die ein oder anderen Hautprobleme und mindestens zehn Kilo zu viel. Alter weißer Mann. Als George Clooney-Double gehe ich jedenfalls nicht mehr durch. Schäme ich mich etwa? Jedenfalls kostet mich „Oberkörper frei“ etwas Überwindung. Ich schaue mich um. Na gut, ich bin nicht der Einzige, der nicht gerade einem Werbeclip entsprungen ist. Auf einen Mann oder eine Frau mit vermeintlich idealer Strandfigur kommen vielleicht 20 andere, die eben aussehen, wie sie aussehen.

 

Wie war das? Ein bisschen schief, hat Gott lieb. Ich geb’s zu: Manchmal muss ich mir das selbst sagen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.