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Die Sendung zum Nachlesen:
Jetzt hängt sie wieder in Kirchen und Wohnzimmern. Sie prangt auf Kalenderblättern und Kaffeetassen, zuweilen etwas rosa-rot-kitschig. Gestern war sie Thema in vielen Neujahrsgottesdiensten – die ökumenische Jahreslosung 2024 aus dem ersten Brief von Paulus an die Christen in Korinth: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“
Anders als ihr Name vermuten lässt, wird die Jahreslosung nicht ausgelost. Aber Losung bedeutet ja auch: Leitwort, Motto. Und das biblische Motto für 2024 lautet: Alles in Liebe! Die Tradition der Jahreslosung gibt es schon lange. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wollten Verbände evangelischen Jugendarbeit die Bibelkenntnis besonders unter jungen Leuten fördern. Sie entwickelten deshalb Lesepläne für Bibeltexte. Aus diesen Texten wurden ab 1930 Monatssprüche und Jahreslosungen ausgewählt. Sie erschienen in Zeitschriften, aber auch großformatig gedruckt auf gelben Plakaten. So erreichten sie eine breite Öffentlichkeit.
Zum großen Ärgernis für die Nationalsozialisten. Die gaben als Reaktion auf die „Gelben Sprüche“ aus der Bibel den „Braunen Spruch“ mit NS-Parolen heraus. Und mit Berufung auf das „Gesetz zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen Partei und Staat“ verboten sie schließlich die Plakate der Christen. So viel politische Wirkung können einfach nur Bibelworte haben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen sich viele weitere Gruppen und Kirchen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum dieser Bibel-Lese-Aktion an. Seit 1970 nennt sie sich „Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen“, kurz: ÖAB. Zu DDR-Zeiten gab es getrennte Ost- und West-Gruppen der ÖAB. Aber man traf sich trotzdem, um gemeinsam die Monatssprüche und Jahreslosungen auszuwählen. Die Bibel verbindet – über jede Grenze hinweg.
Die Jahreslosung wird immer in einer mehrtägigen Sitzung ausgesucht. Jedes der heute 23 ÖAB-Mitglieder darf zwei Vorschläge einbringen. Wolfgang Baur, katholischer Theologe und Vorsitzender der ÖAB, hat mir erzählt, wie intensiv darüber diskutiert wird: Welches Bibelwort kann ein starker geistlicher Impuls sein? Welches mag passen in eine Zeit, die noch drei Jahre weit entfernt liegt? In welchem Kontext steht das einzelne Bibelwort? Welche Übersetzung gibt seinen Sinn am besten wieder?
Bevor die Jahreslosungs-Sucherinnen und -Sucher sich schließlich zwischen zwei Vorschlägen entscheiden, schlafen sie eine Nacht darüber. Vor der letzten Abstimmung unterbrechen sie das Gespräch und beten, denn – so Wolfgang Baur – die Jahreslosung soll nicht nur in demokratischer Diskussion errungen, sondern auch von Gottes Geist geschenkt sein.
Für 2024 stand am Ende das Wort aus dem 1. Korintherbrief in Konkurrenz zu einem Zitat aus dem Prophetenbuch Jesaja: „So spricht der Herr: Wahrt das Recht und übt Gerechtigkeit.“
Eine Delegierte aus Polen hatte große Schwierigkeiten mit dem Jesaja-Wort. Denn die Kurzbezeichnung für „Recht und Gerechtigkeit“ heißt auf Polnisch PiS. So wie die rechtsnationale Partei in Polen. Ausgerechnet die Partei, die den Rechtsstaat untergraben will, nennt sich Recht und Gerechtigkeit. Der Klang der Worte ist für sie belastet, sagte die deutschsprachige Christin aus Polen. Die anderen Delegierten nahmen diesen Einspruch ernst. Einmütigen entschieden sie sich für: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“
Mag sein, dass im Gegensatz zur Forderung, Recht und Gerechtigkeit zu wahren, dieses Wort von der Liebe etwas rosa-rot-harmlos wirkt. Aber das ist es keineswegs, meint auch Wolfgang Baur. Zum Beispiel wenn es um die Debatte über die Zahl der Geflüchteten in Deutschland geht: Bei allem Verständnis für Gefahren, Ängste und Belastungsgrenzen fordert es Christinnen und Christen auf, immer wieder die hilfesuchenden Menschen zu sehen und dafür einzustehen: Bei allem, was passiert – die Liebe muss eine Rolle spielen! Ziemlich herausfordernd. Und ganz schön politisch, dieses Bibelwort für 2024.
Es gilt das gesprochene Wort.