Evangelischer Gottesdienst in der Berliner Sophienkirche
© epd-bild/Rolf Zoellner
Leicht und schön gesagt!
Die Sprache in Kirche und Gottesdienst
06.05.2018 08:35
Sendung nachlesen:

Seit 1992 findet er jedes Jahr am 5. Mai statt: „Der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung“. Schweres Wort! Dabei geht es an diesem Tag darum, das Leben leichter zu machen. Gerade für Menschen, die es nicht so leicht haben. Die vielleicht behindert sind. Jedenfalls oft immer noch behindert werden, barrierefrei und gleichberechtigt dabeizusein und mitzumachen.

Der Protesttag will für Inklusion werben. „Inklusion von Anfang an“ – das ist das Motto in diesem Jahr. Und eine Bereicherung für alle. Viele Aktionen gibt es an diesem Wochenende: in Städten und Gemeinden, Vereinen und Verbänden.

 

Auch Kirchengemeinden machen mit. Das ist gut. Denn eigentlich ist doch klar: Gott im Himmel ist Vater von einer überaus bunten Schar von Menschenkindern. Jede und Jeder gehört dazu zu Gottes Familie. Soll seine Liebe erleben, den Gottesdienst einfach mitfeiern können. Eigentlich...

Leider gibt es dafür oft noch ziemlich hohe Hürden. Z.B. viele Treppen zur Kirche und Stufen zum Altar. Es fehlen Rampen, Behindertentoiletten und Audioanlagen. Das macht es Menschen mit Körperbehinderung schwer.

 

Aber davon abgesehen: Oft wirken Kirche und Gottesdienst unverständlich und abgehoben – nicht nur für Menschen mit geringer Sprachfähigkeit. Kirche nur für Insider: Wir unter uns. Wir kennen die Abläufe. Liturgie-Länge und Kirchen-Sprech – schön für uns und schön vertraut. Wer draußen ist, ist halt draußen. Die Folge: Immer mehr Leute bleiben dann wirklich auch weg.


Der bekannte Journalist und „Sprachpapst“ Wolf Schneider kritisiert die abgehobene Sprache in Kirche und Gottesdienst. In einem Vortrag vor Kirchenleuten nimmt er auseinander, was ein wohlmeinender Bischof so formuliert hatte:

 

Wolf Schneider:

Angesichts der Gott-Vergessenheit (fünf Silben) und des christlichen Traditionsabbruchs (fünf Silben) unserer Zeit brauchen wir eine neue Kreativität (fünf Silben) für das Zur-Sprache-Bringen (fünf Silben) der Befreiung, die uns Menschen im Kommen Christi zuteil wurde. Wir brauchen eine theologische Sprache von Gott, die elementarisiert (sechs Silben), ohne zu simplifizieren (fünf Silben). Bei „elementarisieren“ habe ich kurz unterbrochen, um das Wort ausdrücklich zu küssen. Da geht leichter ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass Sie mit solchen akademischen Imponiervokabeln die Ohren und die Herzen von Kirchgängern erreichen.

 

Wolf Schneider fordert klare Sprache und kurze Wörter. Positives Beispiel: Jesus von Nazareth. Er erreicht die Herzen der Menschen:

 

Wolf Schneider:

In den 111 Versen der Bergpredigt gibt es nicht mal ein fünfsilbiges Wort, kein einziges. Die längsten sind viersilbig, davon gibt es 21. 21 Viersilber auf 2.500 Wörter heißt weniger als ein Prozent. Und was sind das für Viersilber: Die „Sanftmütigen“, die „Barmherzigen“, die „Ungerechten“.Dazu starke viersilbige Verben wie „widerstreben“, „ehebrechen“, „ausposaunen“. Und für so ein schönes kraftvolles Wort mit roten Backen wie „ausposaunen“ darf man mal vier Silben verwenden.

Meistens sind die kurzen Wörter ja zugleich die konkreten, die bildhaften, die herzhaften. Wir lieben ja die konkreten Wörter.

Einsilber in jedem Fall sind das Größte. Wir sind aus Einsilbern gemacht. Haut und Haar, Kopf und Fuß. Wir wohnen in Einsilbern: Haus und Herd. Tisch und Bett. Die großen Gefühle sind mit drei in der Stilistik bekannten Ausnahmen – Hunger, Liebe, Eifersucht – alle einsilbig benannt: Hass, Neid, Geiz, Gier, Wut, Angst, Scham, Schmach, Schuld, Leid, Pein, Qual, Schmerz, Glück, Lust – alles Einsilber. Viersilbige große Gefühle gibt es nicht.

Faustregel an Pastoren: ehe Sie in einer Predigt fünf Silben verwenden, machen Sie fünf Liegestütze!...

 

Tja...., wenn tatsächlich ein paar Liegestütze helfen bei der Pre-digt-vor-be-rei-tung … (oh, sogar 6 Silben!)

Die Frage bleibt: Wie kann man oder frau die Gute Nachricht so „ausposaunen“ im Gottesdienst, dass das Wort lebendig wird – zum Mitfühlen und Mitbeten – und ins Herz trifft? Leichte Sprache will dazu helfen. Ursprünglich wurde sie erfunden von und für Menschen mit geistiger Behinderung. Heute breitet sie sich immer mehr aus.

Und trägt so dazu bei, dass auch Deutschland die UN-Konvention für Rechte von Menschen mit Behinderung erfüllt. Behörden und Parteien stellen sich in Leichter Sprache vor. Gesetzestexte und Verträge werden übersetzt. Der Deutschlandfunk z. B. bietet Nachrichten in Leichter Sprache an.

 

Und seit einigen Jahren gibt es Leichte Sprache auch in der Kirche.

Pastorin Anne Gidion, Rektorin des Pastoralkollegs der Nordkirche, befasst sich schon seit langem mit Leichter Sprache:

 

Anne Gidion:

Leichte Sprache ist erstmal keine andere Sprache, sondern sie ist eine Variante unserer Sprache Deutsch und genügt einem bestimmten Set von Regeln, die man nicht automatisch einhält und deswegen ist es das Ergebnis einer Bemühung.

 

Diese Bemühung beginnt mit der Wahl der Worte. Die erste Regel für Leichte Sprache: Kurze, einfache, konkrete Wörter benutzen – Wolf Schneider wäre begeistert von den vielen Einsilbern in Leichter Sprache: Z.B.: „Bus und Bahn“ statt „öffentlicher Nahverkehr“.

Weitere wichtige Regeln:

 

Anne Gidion:

Kurze Sätze, idealerweise nur ein Gedanke pro Satz, keine Negationen, möglichst keine Nebensätze, möglichst kein Konjunktiv, Vorsicht bei Nomina, möglichst verbalisieren, Vorsicht bei Bildern, Anspielungen und Bezügen. Leichte Sprache ist eine Sprache, die versucht, möglichst voraussetzungslos Verstehen zu ermöglichen. Ein Text, ein Satz ist aus sich heraus verstehbar.

 

Wie wichtig Leichte Sprache ist, das hat Anne Gidion in ihrer Arbeit als Pastorin der Ev. Stiftung Alsterdorf entdeckt – bei Menschen mit geistiger Behinderung, die z.B. wenn sie etwas nicht verstanden haben ...

 

Anne Gidion:

… ein Stop-Schild hochgehalten haben, und auf diesem Schild stand „Stop! Leichte Sprache“. Da habe ich überhaupt angefangen zu verstehen, dass Leute, die das betrifft, das Gefühl haben, es wird über sie geredet, aber nicht mit ihnen.

 

Kein schönes Gefühl! Verstehen und verstanden werden – das wünscht sich jeder. Grundsätzlich – und eben auch im Gottesdienst. Gottesdienst wirkt auf vielen Ebenen. Mit seiner Musik und dem gemeinsamen Singen, mit der Atmosphäre des Kirchenraums, mit Zeichenhandlungen wie Segnen und gesegnet werden lebt er auch von Emotionen.

 

Anne Gidion:

Aber auch ganz stark von seiner Sprache. Da gibt es die Menschen, die das wie Turniertänzer ihr Leben lang erlebt haben. Die haben die Bewegung in den Knochen, die haben die Töne im Körper, die wissen, wie es klingen soll, nämlich wie der Klang ihrer Kindheit. Die sind unfroh über neue Bibelübersetzungen und neue Gesangbücher, weil dann Dinge passieren, die sie entfremden. Wenn Menschen aber über diesen Zeichenvorrat nicht verfügen, dann ist Gottesdienst ein hoch komplexes, schwer zugängliches Geschehen, das hohe Exklusionstendenzen produzieren kann. Einfach weil Menschen denken „Hilfe, ich mache hier irgendwas falsch“. Das finde ich, ist das Gefühl, das dem Evangelium entgegensteht. Das Evangelium oder die Botschaft vom lebendigen Gott, Bundesgott, Jesus Christus an meiner Seite ist per se eine nicht exklusive.

Deswegen finde ich Leichte Sprache einen naheliegenden Gedanken. Nämlich bei denen anzusetzen, die ein geringeres Verstehensniveau haben und das meine ich in dem Sinne nicht wertend, sondern erstmal nur als Fähigkeit. …

Der Gottesdienst ist von seinem Gedanken her erstmal für alle.

 

Das ist wirklich eine Herausforderung: Gott und Glauben zur Sprache bringen, verständlich für alle. Wie könnte z.B. diese schwergewichtige Grunderkenntnis des christlichen Glaubens leicht und schön klingen: Die Rechtfertigung des Sünders aus Gnade.

 

Anne Gidion:

Die Rechtfertigung des Sünders aus Gnade, die muss natürlich erstmal in viele Sätze zerlegt werden, weil sie schon so viele Gedanken enthält. Also, da hilft mir immer diese Regel: ein Gedanke pro Satz. Man müsste sagen: Menschen machen Fehler. Das ist so. Das ist Teil ihres Lebens. Teil ihrer Natur. Gott liebt die Menschen. Er hat sie geschaffen. Er möchte mit ihnen leben. Rechtfertigung heißt, Menschen dürfen das wissen. Und sie dürfen das glauben.

 

Natürlich ist Leichte Sprache kein „Allheilmittel in postchristlicher Zeit“ wie ihr zuweilen vorgeworfen wird. Will sie gar nicht sein.

Sie ist eigentlich auch keine Übersetzung. Eher eine Übertragung, eine Nach-Dichtung. Und immer ein Versuch.

Es geht auch nicht nur darum, Regeln zu beachten. Wichtig ist die Haltung: Statt mich selbst und meine Gewohnheit – den Empfänger in den Mittelpunkt stellen. Zu ihm hin denken und sprechen.

Mir Selbstverständliches kann dabei wegbrechen. Wesentliches aber kann ich entdecken – neu und leicht und schön.

 

Anne Gidion:

Erstmal ist es Arbeit. Ein Verzicht. Das sage ich jetzt ganz bewusst als Theologin, dass es bestimmte Dinge gibt, die dadurch erstmal verlorengehen. Weil sie in dem Kontext nicht funktionieren, weil sie diesen Regeln sozusagen geopfert werden.

Das andere ist: Ich empfinde es als Verdichtung, gerade wenn Leute in Gruppen versuchen, einen Text in Leichte Sprache zu übertragen, sich versuchen auf einen Kern zu verständigen, auf ein Rückgrat oder Innerstes. Dass dieser Prozess unglaublich wertvoll ist. Sogar nochmal unabhängig vom Ergebnis.

 

Und das Ergebnis, das dann herauskommt, kann dann eine Klarheit haben. Ich habe es häufiger erlebt, gerade auch in den Gottesdiensten in Alsterdorf, dass Leute, die Menschen mit Behinderungen begleitet haben z.B. oder Musiker, die einfach nur so da waren, gesagt haben „Ach, das ist der Punkt!“.

Also dass sich auf einmal etwas erschließt, jenseits der Worte, das was sehr Berührendes haben kann.

 

Im Kirchenjahr ist heute der Sonntag „Rogate“, übersetzt: Betet! Heute geht es in den evangelischen Gottesdiensten also auch um Sprache. Wie können wir leicht und schön zu diesem unsichtbaren Gegenüber Gott reden? Wie beten im öffentlichen Gottesdienst?

 

Anne Gidion:

Ich glaube, wenn überhaupt Sprache, dann eine Herzenssprache und eine Sprache in Hauptsätzen. Ich glaube, weder müssen wir Gott erklären, wie die Welt ist – das hoffe ich, dass er das weiß -, noch müssen wir ihm eine To-Do-Liste schreiben, was er denn machen soll. Sondern das einzige, was wir ihm hinhalten können, sind unsere Zustände. Und sowas wie: Gott, hilf meiner Nachbarin. Gott, ich habe Angst ums Klima. Gott, mach, dass die Weltmächte nicht übereinander herfallen.

Das sind kurze, einfache Bitten, in die jemand anderes sich einschwingen kann. Ich würde immer danach Pausen machen und eben nicht dieses „Herr, der du dididu und mach das dididum ...“. Das sind meines Erachtens unzumutbare Sprechkataloge. Die eine Vollständigkeit suggerieren, die man sowieso nicht erreicht.

Und die Gemeinde wird sozusagen zugeschüttet mit einem persönlichen Katalog von Wünschen und Bedürfnissen und der letzten Zeitungslektüre. Und ich finde das ungeordnet und einfach zu viel.

 

Gut, dass es mit dem Vater Unser ein Gebet gibt, das nicht ungeordnet ist und nie zu viel. Gerade in seiner alten, geprägten Sprache ist es ein schöner Gebets-Schatz für den Gottesdienst und für das ganze Leben. Auswendig gelernt und deshalb inwendig verankert.

Zugleich lohnt es sich, den vertrauten Redefluss zu unterbrechen: Innehalten. Neu hinhören. Z.B. bei dieser schwer verständlichen, negativ formulierten Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung!“ wahrnehmen, was sich verändert, wenn sie positiv formuliert wird in Leichter Sprache:

 

Anne Gidion:

Unser Vater. Du bist im Himmel. Dein Name soll heilig sein.

Dein Reich soll kommen. Im Himmel und auf der Erde.

Gib uns Brot für jeden Tag. Verzeih uns unsere Schuld.

Wir wollen auch vergeben, wenn andere uns Böses tun.

Halt uns fest in deiner Nähe. Halt uns fern von dem Bösen.

Du allein bist mächtig. Du allein bewegst.

Du allein bist wunderbar. Für immer. Amen.

 

In den meisten evangelischen Gottesdiensten wird heute über einen Abschnitt aus dem Kolosserbrief im Neuen Testament gepredigt. Der fordert auf zum Beten. Und er lockt, Hindernisse zwischen Menschen abzubauen – auch im Gottesdienst. Und nicht nur am „Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung“. In Leichter Sprache klingt dieser biblische Text so:

 

Anne Gidion:

Betet immerzu. Bleibt dran. Dankt Gott. Betet für uns. Wir wünschen uns: Gott macht eine Tür auf. Dann verstehen wir ihn. Dann können wir selber von ihm erzählen. Von Christus. Von dem, was geheimnisvoll ist an ihm.

Seid weise zu denen da draußen. Vorsichtig zu denen aus anderen Welten. Setzt eure Zeit gut ein. Redet schön und genau zum Punkt. Zeit ist kostbar. Redet offen und klar miteinander.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

Lobet den Herren, alle die ihn ehren, Dieter Falk, A Tribute to Paul Gerhardt