Auf dem Weg ins gelobte Land
Entdeckungen und Erfahrungen in der israelischen Wüste
18.09.2022 08:35

 

Die Bundesstraße 90 führt vom hohen Norden Israels bis in den Süden, am Jordan entlang bis ans Rote Meer, zur Küstenstadt Eilat. Sie geht mitten durch die Arava, eine Senke entlang der Grenze zwischen Israel und Jordanien. Die Steinwüste ist bergig, sie wird von hundert Meter tiefen schroffen Tälern durchzogen. Je nach Sonnenstand erscheint sie gelb, braun oder ocker.
Eine halbe Stunde, bevor man Eilat erreicht, zeigt ein Wegweiser den Abzweig der Straße nach "Timna" an.

Timna, das ist ein besonderer Ort. Und heute ein bedeutender archäologischer Park. Hier soll nach biblischer Überlieferung das Volk Israel bei seiner Flucht aus Ägypten in das Gelobte Land durchgezogen sein. Und in der Zeit der altorientalischen Hochkulturen in Ägypten und Mesopotamien, vor mehr als 6000 Jahren, führte durch Timna ein wichtiger Handelsweg nach Ägypten. In dieser Gegend wurden die ältesten Kupferminen der Welt gefunden, betrieben von den Ägyptern. Kupfer, das war der Rohstoff, der den Reichtum altorientalischer Wirtschaft begründete. Geschürft von Sklaven.

Professor Dr. Dieter Vieweger:
Ägyptens Kultur, Ägyptens Industrie basierte auf diesem damals flüssigen Gold – Kupfer. (....) Das werden ungefähr 20 Experten gewesen sein, die von Ägypten geschickt worden sind, dazu Clanchefs, die ihre Clan-Mitglieder dort hinein verkauft haben und es gab vor allen Dingen Leute, die die Ägypter gefangen genommen haben, in den Kriegen, dahin geschickt haben und die einfach dort gearbeitet haben, bis sie vernichtet waren, bis sie eben auch da überhaupt gestorben sind in diesen Minen. Man muss sich das als eine ziemlich furchtbare Sklavenarbeit vorstellen.

Professor Dieter Vieweger ist Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem und Amman. Als evangelischer Theologe und Archäologe kennt er den 60 Quadratkilometer großen Park Timna und seine atemberaubende Landschaft gut. Die Steinwüste des Negev geht in Timna über in eine Sandwüste: Bizarre Felsformationen und der Timna-Berg erheben sich aus dem Sand. Felsen stehen als Solitäre in der Landschaft. Aus der Ferne sehen sie aus wie meterhohe Pilze. Im Sommer wird es hier unbarmherzig heiß, mehr als 45 Grad Celsius. Dieter Vieweger hat Timna mehrfach durchwandert:

Professor Dr. Dieter Vieweger:
Es sieht immer anders aus und man muss sagen, wenn man gut präpariert ist, ist die Wüste auch kein Feind. Sollte man das nicht sein, dann hat man aber dort auch echte große Probleme.

Die Bibel erzählt, wie die Israeliten lange als Sklaven in Ägypten lebten. Als es unerträglich wurde, flohen sie. Mit Gottes Hilfe und einigen Wundern gelang es ihnen, den Grenztruppen der Ägypter zu entkommen. Ihre Flucht durch die Wüste Sinai war abenteuerlich. Aber Gottes Wunder ernähren sie: mit Wachteln und Manna, so beschreibt es die Bibel. Sie folgen ihrem Anführer Mose in der Hoffnung, den Weg in das Verheißene Land zu finden.

Professor Dr. Dieter Vieweger:
Historisch wissen wir ganz wenig über den Wüstenzug und das ist verrückt, weil natürlich die Auswanderung aus Ägypten, der Exodus, die Flucht, das ist natürlich ein Grundbekenntnis Israels. Ich zweifle nicht daran, dass es das gab, aber wir haben eben einfach nur die eine Quelle (…) Aus biblischer Sicht ist nur zu bestätigen, Mose hat einen ägyptischen Namen. Und wir wissen, dass der Religionsgründer außerhalb Israels gestorben ist, auf dem Berg Nebo, im heutigen Jordanien. Das ist auch etwas, was man sich eigentlich nicht erfindet. Und mehr bleibt uns historisch nichts Sicheres…

Der biblische Text erzählt von einer großen Offenbarung: Mose erhält von Gott die zehn Gebote und ein Gesetzesbuch. Von da an ziehen die Israeliten mit dem Stiftszelt weiter, in dem sie ihr Heiligstes mit sich führen. Dieter Vieweger erklärt dies so:

Professor Dr. Dieter Vieweger:
(…) All das ist im Nachhinein in diese große Urerfahrung Israels hineingeschrieben. Das muss man einfach so sehen. Aber, dass da Leute aus Ägypten gezogen sind, so wie es die Bibel sagt, das kann ich mir schon vorstellen und dann bleiben den Leuten nur drei Wege. Der eine ist im Süden, dann kommen sie bei uns in Timna vorbei.

40 Jahre lang soll die Wanderung der Israeliten durch die Wüste gedauert haben. So erzählt es das Alte Testament.

Professor Dr. Dieter Vieweger:
Ein Lebensalter wird vielleicht im Durchschnitt bei 24 Jahren gelegen haben. Aber 40 Jahre ist eine Generation und die Bibel arbeitet immer mit 40 Jahren, wenn sie eine lange Zeit beschreibt. Der David hat 40 Jahre regiert, der Salomo hat 40 Jahre regiert. Ja, die "40" ist im alten Orient eine Zahl, wo jeder, der es las, verstand, das kann auch 39 und kann noch 41 sein, aber das war lang, das war gesegnet und so weiter.

(…) Insofern sind diese 40 Jahre auch nicht realistisch, um durch die Wüste zu ziehen, sondern sie sind realistisch, weil Gott gesagt hat, ihr habt gemurrt, ihr habt mir nicht vertraut und so weiter. Deshalb müsst ihr jetzt 40 Jahre warten, eigentlich könnt ihr ja schon dort sein."

Die Wüste war für die Menschen damals ein unfreundlicher, ein lebensfeindlicher Ort. Ohne Wasser, aber voller Gefahren, wilder Tiere und Räuber. Das spiegelt sich auch in den biblischen Texten. Und für tausende Jahre war es eine Gegend, die für Menschen nicht zu durchqueren war.

Professor Dr. Dieter Vieweger:
Die Wüste ist für die Leute damals nicht zu besiedeln gewesen. Und um 1000 herum, als David und Salomo lebten, beginnt überhaupt erst die Menschheit, die Wüste durchqueren zu können, denn da beginnen die ersten Domestikationen von Kamelen. Ohne das komme ich da niemals durch. Dann ist das eine Landfläche, die für mich undurchdringbar ist, wie früher auch das Meer.

Am Meer fuhr man natürlich nur an der Küste entlang, aber dass man es queren konnte, das hat noch Jahrhunderte gedauert. Insofern ist unser Palästina ein Land, von dem man Nord und Süd durchziehen konnte. Man konnte von Ägypten nach Syrien kommen, aber man konnte nicht nach Mesopotamien direkt und man konnte auch nicht übers Meer, um meinetwegen nach Griechenland oder sonst wohin zu kommen. Das war einfach für die Leute unmöglich.

Einerseits schwer zu durchdringen, andererseits steht die Wüste auch für einen Ort, an den Menschen sich zurückziehen. Um Abstand zu bekommen, um sich ganz auf Gott auszurichten. Im Alten Testament machen Propheten die Erfahrung, dass sie in die Wüste geführt werden. Und: dass sie dort besonders auf Gott angewiesen sind. Er ernährt sie, gibt ihnen Wasser. Die Abgeschiedenheit der Wüste fasziniert: in der Stille und Einsamkeit neue Klarheit zu finden, die Begegnung mit sich und auch mit Gott suchen – das spricht auch heute viele Menschen an.

Heute ist die israelische Wüste gut erschlossen. Durch den Negev führen Straßen hindurch, Tankstellen und Imbissketten versorgen Reisende. Kibuzzim sind kleine Oasen und bieten Übernachtungsplätze mit Pools, in denen sich die Gäste von der Hitze des Tages erfrischen. Und für das israelische Militär ist der Negev Sicherheitsraum zu den Nachbarstaaten und Übungsplatz. Und dennoch ist die Wüste nicht zu domestizieren. Und gerade deshalb bleibt sie für viele Menschen ein faszinierender Ort. So geht es auch Propst Joachim Lenz. Er ist Pfarrer der evangelischen deutschsprachigen Gemeinde in Jerusalem.

Propst Joachim Lenz:
(…) Die Altstadt von Jerusalem ist nun trubelig und quirlig ohne Ende und die Wüste ist erstmal still. So ein bisschen ist für uns die Wüste Sehnsuchtsort. Wir haben in Jerusalem ganz viele Orte, die von der Bibel erzählen, Orte an denen Geschichten nachvollziehbar sind, die da mal vor 2000, vor 3000 Jahren passiert sind. Die Wüste ist der Ort, von dem wir wissen, dass das Volk Israel da seinen Anfang genommen hat. Das war der Weg in die Freiheit, den das Volk Gottes genommen hat und auf dem Weg in die Freiheit sind wir ja irgendwie immer noch. Also die Wüste ist als übertragener, als symbolischer Ort ein wichtiger Ort. Wüstenerfahrungen kennen wir alle. Wir haben das Privileg, die Originalwüste des Volkes Israel schnell besuchen zu können.

Die deutsche Gemeinde von Propst Joachim Lenz liegt mitten in der Jerusalemer Altstadt. Gegründet wurde die Gemeinde im 19. Jahrhundert von Kaiser Wilhelm II. Das Deutsche Kaiserreich wollte seinen Platz im Wettstreit der damaligen Großmächte behaupten. 1898 besuchte der Kaiser Jerusalem, um die evangelische Erlöserkirche zu eröffnen.

Propst Joachim Lenz:
Da hat er eine Nahost-Reise gemacht und kam hoch zu Pferde eingeritten, ganz stolz als erster westlicher Herrscher seit den Kreuzzügen. Das war auch ein bisschen das Problem. Er hat das Geld gegeben, um die Erlöserkirche evangelisch zu bauen und das Dormitio Kloster katholisch. Er hat den Titel "Propst" mitgebracht. Er wollte, das alles auch sehr kaiserlich irgendwie haben. Das Gute ist, dass das sozusagen die einzigen kolonialen oder auch kolonialistischen Züge sind, mit denen wir zu tun haben. Die Deutschen sind im Heiligen Land nie als Kolonialherren aufgetreten. Wir haben es da also besser als an manchen anderen Orten der Welt. Wir sind Partner, verlässliche Partner für unsere palästinensische Partnerkirche und wir wissen auch als Deutsche, als Evangelische, etwas von der Verantwortung für den christlich-jüdischen Dialog und das Existenzrecht des Staates Israel. Also wir haben verschiedene Verbindlichkeiten, die uns bewusst sind und mit denen wir auch positiv arbeiten wollen.

Die Aufgabe von Propst Joachim Lenz ist eine doppelte – Pfarrer zu sein und zugleich Vermittler. Das ist ihm wichtig: Kontakte zu pflegen. Zu anderen christlichen Kirchen in Jerusalem und im Heiligen Land, zur römisch-katholischen Kirche, der griechisch-orthodoxen, der syrisch-orthodoxen, der melkitisch-katholischen Kirche und den Anglikanern. Die Kirchen laden sich gegenseitig ein und feiern die christlichen Feste gemeinsam. Aber dieses Zusammenleben in der Ökumene ist nicht immer einfach. Hier spiegeln sich im Kleinen manche Differenzen, die die Kirchen im Grundsatz miteinander haben.

Propst Joachim Lenz:
Die westlichen Kirchen werden von den östlichen als nicht ganz vollwertig wahrgenommen. Auf Augenhöhe begegnen wir uns trotzdem. Wir nehmen uns ernst, wir helfen uns gegenseitig. Es ist für die Christinnen und Christen im Heiligen Land in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Es gibt einen großen sozioökonomischen Druck. Es ist sehr teuer in Jerusalem, insgesamt in Israel, im Heiligen Land zu leben. Viele gehen und da nehmen wir uns gegenseitig schon sehr wahr. Der lutherische palästinensische Bischof ist einer der "Heads of Churches", also da ist er formell auf derselben Ebene wie der griechisch-orthodoxe Patriarch oder der lateinische Patriarch und all die anderen Würdenträger.

In Jerusalem begegnen sich die drei großen Religionen, wie an keinem anderen Ort der Welt. Juden beten an der Klagemauer, nahe dem früheren Tempel. Wenige hundert Meter entfernt ist Golgatha, der Ort der Kreuzigung Jesu. Und Muslime glauben, dass Mohamed von Jerusalem aus seine Himmelsreise angetreten hat. Diese Konzentration heiliger Orte führt immer wieder zu Konflikten. Auch der Kontakt zu anderen Religionen ist deshalb wichtig für die evangelische Gemeinde.

Propst Joachim Lenz:
Es gibt auf der persönlichen Ebene ganz viele Kontakte, die dann auch über Jahre und Jahrzehnte gewachsen sind und ein bisschen auch vererbt werden. Also, ich kann auf Menschen zugehen und fragen "Wollt ihr nicht mal zu uns zu einem Gemeindeabend kommen?", die von anderen schon vor Jahren angesprochen wurden. Das bezieht sich vor allem auf Jüdinnen und Juden. Das geht gut und wir versuchen, die gemeinsamen Wurzeln uns anzuschauen und zu überlegen, was uns jetzt verbindet. Beziehungen zu den islamischen Kreisen sind da eher schwierig. Da machen uns die politischen und die gesamtreligiösen Schwierigkeiten auch im Direkten Probleme.

Wir halten unsere Kirche auf, ausdrücklich für alle Menschen, egal welcher Religion und wollen da ein Ort des Friedens, und wenn irgend möglich auch einen Ort für Gespräche haben.

Die deutsche evangelische Gemeinde ist eine kleine Kirche in der religiösen Vielfalt Israels. Zwischen 200 und 300 Personen fühlen sich der Gemeinde zugehörig: Menschen, die schon seit vielen Jahren in Jerusalem leben genauso wie Studierende, die für ein Jahr die Universität besuchen. Oder Volontäre, die bei den Botschaften und den Stiftungen arbeiten. Zur Gemeinde gehören auch Deutsche, genauso wie Menschen, die weiter entfernt in Palästina und im jordanischen Amman leben. Die evangelische Gemeinde feiert ihre Gottesdienste in der Erlöserkirche, die in der Jerusalemer Altstadt liegt. Heute fahren sie zum Gottesdienst in die Negev-Wüste nach Timna. An den Ort, von dem die Bibel erzählt: hier sei das Volk Israel bei seiner Flucht aus Ägypten durchgezogen. Um Wüstenerfahrungen geht es in diesem Gottesdienst, den das ZDF heute um 9.30 Uhr aus Timna überträgt, mit Professor Dieter Vieweger und Propst Joachim Lenz.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Richard Anstey: Desert Wind (Richard Anstey), CD-Titel: The Holy Land, Track Nr. 8.
  2. Nachum Heiman, Sonoton Film Orchestra: Sinai Sunrise (Nachum Heiman), CD-Titel: The Holy Land, Track Nr. 9.