"Ein Mensch wie Jesus"

Am Sonntagmorgen

Bundesarchiv, Bild_183-R0211-316 Bonhoeffer mit Konfirmanden 21. März 1932 in Friedrichsbrunn This image was provided to Wikimedia Commons by the German Federal Archive (Deutsches Bundesarchiv) as part of a cooperation project.

Bundesarchiv_Bild_183-R0211-316, Dietrich Bonhoeffer mit Konfirmanden 21. März 1932 in Friedrichsbrunn This image was provided to Wikimedia Commons by the German Federal Archive (Deutsches Bundesarchiv) as part of a cooperation project.

"Ein Mensch wie Jesus"
Die Perspektive von Dietrich Bonhoeffer
12.06.2022 - 08:35
14.01.2022
Pfarrer Klaus Priesmeier
Über die Sendung:

Dietrich Bonhoeffer passt in keine Schublade der theologischen Richtungen. Er orientierte sich in erster Linie am "Menschen Jesus", der ihm gleichzeitig Vorbild und Seelenfreund war. Pfarrer Klaus Priesmeier und Gemeindepastor Bernd Vogel sprechen über den Theologen Bonhoeffer und seine Teilhabe am Leben Christi - die zutiefst politisch war.

 
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„Im Gespräch kann immer etwas Neues geschehen!“ So eine Notiz Dietrich Bonhoeffers, im Juli 1944. Es war Zeit, aufzubrechen, zu suchen – die Lage der Welt, der Menschheit, der Kirchen drängte.

Aufbrechen und Suchen – in bedrängender Zeit. Damals, vor achtzig Jahren – und heute. Bonhoeffer ist bei seiner Suche nicht in ein festes dogmatisches System geschnürt. Er lässt sich neu ein auf vielerlei Fragen. Er ist in Bewegung, er sucht. Doch er findet immer wieder so etwas wie einen festen Punkt. Und zwar in dem Gedanken: „Wenn ein Mensch wie Jesus gelebt hat…“

Pfarrer Bernd Vogel ist mit mir im Aufnahmestudio. Er hat viel zu Bonhoeffer gearbeitet, theologisch, im Bonhoeffer-Verein und der internationalen Gesellschaft.  Ein Buch von ihm trägt diesen Titel: „Wenn ein Mensch wie Jesus gelebt hat.“ Christus ist Grund des christlichen Glaubens. Der Buchtitel nimmt das auf – etwas erweitert war das meine Frage an Bernd Vogel: Wenn ein Mensch wie Jesus gelebt hat, oder weil er gelebt hat, oder weil er gerade so gelebt hat, wie er gelebt hat – was setzt das in Gang? Wer war der Mensch Jesus für den Menschen Dietrich…?

 

Bernd Vogel:

Dietrich Bonhoeffer passt in keine Schublade der theologischen Richtungen. Er war ein begeisterter Leser des „Alten Testaments“. Fast auf Schritt und Tritt fand Bonhoeffer darin die Rede von Jesus Christus. Er war fasziniert davon, welch merkwürdige Geschichten da erzählt werden, völlig unmoralisch zum Teil. Und wenn das auf Jesus hinweisen sollte, dann musste Jesus ein Mensch gewesen sein wie du und ich – und zugleich der Sohn Gottes! Wie sollte das bloß gehen?

Für Bonhoeffers Sicht auf Jesus ist seine eigene Biographie wichtig:  

Dietrich war das 6. von insgesamt 8 Geschwisterkindern der Eltern Karl und Paula Bonhoeffer. Das nüchterne, vernunftbetonte, auch naturwissenschaftliche Erbe kam auf Dietrich über den Vater, ein führender Psychiater, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Musikalität, Sensibilität und das christliche Interesse hatte Dietrich von der Mutter.

Er spielte hervorragend Klavier, auch Beethovens Appassionata. Dietrich wollte Pianist werden; aber seine Kreativität war dann eher theologischer Natur. Beim Musizieren in der Familie und mit Freunden ordnete er sich unter, begleitete die Virtuosen bei ihrem Spiel. In der Theologie aber lebte er seine Originalität aus. Und die ist spürbar wir beim Lesen seiner Texte.

 

Religiös erzogen wurden die Bonhoeffer-Kinder von ihrer Mutter und ihrer Kinderfrau. Bei Dietrich fielen besonders Maria Horns Gute-Nacht-Geschichten rund um Jesus auf fruchtbaren Boden. Ihre Erzählungen von Jesu Leiden für die Welt fand Dietrich faszinierend, vor allem die Geschichte vom betenden Jesus im Garten Gethsemane. Wenn ich Bonhoeffers Leben betrachte, dann berührt es mich sehr, dass gerade diese Geschichte ihn so früh und so nachhaltig fasziniert hat.

Der „Mensch Jesus“ - der war Bonhoeffer vertraut von früh an. Fast seelennah, als „Vorbild“ und Seelenfreund. Es ist eine tiefe, persönliche Beziehung zu Jesus, die Dietrich gelebt hat. Von Kindheit an. Er hat sich in seine Nähe gewünscht – und in seiner Nähe geglaubt. Sein ganzes Leben, sein Handeln, sein Denken, ja: Sein Tod sind nicht zu verstehen ohne diese sehr persönliche Jesus-Nähe.

 

Was kann der Glaube heute sein: Ein Sinnangebot; eine Hilfe, mit Schuld und Tod umzugehen; Grund für diakonisches Engagement; ein spiritueller Impuls... Der Glaube wird schnell verzweckt von der Frage, was wir Christen von ihm und voneinander haben.

Bei Dietrich Bonhoeffer ist das anders: Er fragt nicht, was wir voneinander und vom Glauben haben. Er fragt, wer wir füreinander sind. Wir füreinander und Jesus für uns. Und das nicht nur an den Rändern des Lebens, sondern mittendrin. Und als die Mitte des Lebens, als Grund und Mitte aller Wirklichkeit, erkennt Dietrich Bonhoeffer Jesus Christus. Der steht nicht für eine Idee, die wir Christen dann umsetzen – Jesus steht für eine ganz neue Wirklichkeit, in der Mensch und Gott eins werden. Gott wird Mensch. Christlich glauben und leben heißt für mich dann: Aus dieser Tat Gottes heraus leben. Wie Bonhoeffer darauf kommt – und wie geht das geht – damit hat sich Bernd Vogel ausführlich beschäftigt:

 

Bernd Vogel:

Seine Dissertation über die „Sanctorum Communio“, die Kirche als die Gemeinschaft der Heiligen, war die Fortsetzung seiner Familien-Erfahrung. Kirche als Kultur einer erneuerten Menschheit. Bonhoeffer war 21 und Doktorand der Theologie: Die Gemeinschaft der Christen und Christinnen als „Kirche“ war für ihn Gottes Neuanfang mit der Menschheit. Ohne diesen Neuanfang ist die Menschheit, durch Sünde und Schuld, dem Tode geweiht. Die Menschheit hat ihre Zukunft also im Handeln Gottes an ihr.

Dazu gehört die Erfahrung des 1. Weltkriegs und der Tod des geliebten Bruders Walter. Es war seine Konfirmationsbibel, die Dietrich bekam, aus der Hand der Mutter zu seiner Konfirmation. Wenig später entschied sich der 14-Jährige, doch nicht Pianist, sondern Pastor und dafür Theologe zu werden. Die Themen „Tod“ und „Frieden“ begleiteten Dietrich bis zu seinem eigenen Tod. Immer in Verbindung mit „Kirche“.

Dietrich Bonhoeffers letzte Worte lauten: „Wollen Sie diese Botschaft von mir dem Bischof von Chichester ausrichten: Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende ist, aber auch der Anfang - mit ihm glaube ich an den Grund unserer universalen christlichen Bruderschaft, die sich über alle nationalen Hassgefühle erhebt, und dass unser Sieg gewiss ist...“

Das klingt heute so altmodisch-kirchlich – wie es tatsächlich hochaktuell ist. Das Christsein nannte Bonhoeffer „Nachfolge“. Er meinte damit wörtlich: hinter Jesus hergehen. Das ist zunächst völlig ohne christlichen Inhalt. Eher das Gespür für den Moment, für die Begegnung mit Menschen, für die Chance, etwas zu sagen oder zu erfahren, etwas „Neues“. Er dachte durchaus: darin begegne ich Gott selbst – oder eben Jesus Christus. Der Sprachgebrauch ist bei Bonhoeffer hier schwankend. Er spricht vom „Erlebnis des Menschlichen“.

Nach dem 20. Juli 1944 ahnt er: Es kann eng für ihn werden. Er hat aber noch Wesentliches zu sagen. Und er sagt es in dichten Formulierungen. Er ist dankbar, das Erlebnis des Menschlichen reichlich erfahren zu haben. Es geht um Humanität, aber ganz konkret:

  • Mutter liest den Zwillingen Dietrich und Sabine abends aus der Bilderbibel vor.
  • Freunde musizieren miteinander – und andere sterben früh im Krieg.
  • Dietrichs Braut Maria hält ihm die Treue, sie löst die Verlobung nicht. Obwohl das unerträglich schwer ist für eine 20-jährige junge Frau, mit ihrem Verlobten im Wesentlichen nur über teilweise zensierte Briefe verkehren zu können.
  • Die Familie steht füreinander ein.
  • „Von guten Mächten wunderbar geborgen“.
  • Freunde in der Ökumene, die für Dietrich beten. Das kann man nachlesen: in dem berühmten Gedicht „Von guten Mächten“.

Und das alles war Teil eines großen Dramas zwischen Himmel und Erde – und Dietrich war ein Teil davon, gehörte dazu. Das hat ihn stark gemacht.

 

Bonhoeffer bekennt sich klar zu einem christlichen Leben im Diesseits. Er sucht nicht den Weg eines Heiligen, der sich dieser Welt entrückt – er will „glauben lernen“, in der Zuwendung zur Welt und den Menschen. Darin sieht er Teilhabe am Leben Jesu Christi. Für ihn steht nicht die Frage nach der eigenen Identität im Vordergrund. Sondern die nach einem Leben im Handeln Gottes. Heute Anteil zu haben am Leben und Leiden Christi – wie lässt sich das vorstellen?

 

Bernd Vogel:

Im Unterschied zur Generation Bonhoeffer sind wir insgesamt anders „gebildet“. Manchen Schüler*innen und Konfirmand*innen, aber auch vielen Erwachsenen stehen klassische Kulturtechniken nicht mehr so ohne Weiteres zur Verfügung. Für Dietrich Bonhoeffer waren sie eine Selbstverständlichkeit, von früh an. Wir werden in Ansätzen wieder lesen lernen müssen. Gemeinsame Mahlzeiten zelebrieren oder musizieren, singen, eine gute Feier gestalten... Hier und da geschieht das ja: Bewusster Konsum, etwas basteln, spielen, eine Form von Geselligkeit üben, Freundschaften pflegen. Vielleicht ist diese Krisenzeit jedenfalls dafür gut, dass wir – um Bonhoeffer mit Paulus zu zitieren – uns auch diese Dinge zum Besten dienen lassen. Es wieder mit den alten Weisheiten versuchen, mit Bildung, mit guten Gesprächen, mit der Kunst eines sachlichen Streits und mit Lust am Erkenntnisgewinn. Auch für die Kirche: Theologie in die Kirchengemeinden und Ortschaften! Nicht einen religiösen Club, nicht Kunden befriedigen. Sondern von der Bibel her, die Bonhoeffer in- und auswendig kannte, das Leben heute neu in Szene setzen. Predigen, dass den Zuhörenden die Ohren glühen und das Herz. So, dass man miteinander ins Gespräch kommt. In dem Neues geschehen kann – davon war Bonhoeffer fest überzeugt.

 

In seiner Christologie-Vorlesung 1933 in Berlin kritisiert Bonhoeffer wichtige protestantische Traditionen und Positionen. Andererseits ist ihm die Systematik, in die ein Karl Barth den Glauben zu fassen versuchte, auch nicht geheuer. Mir scheint, Bonhoeffer wehrte sich gegen jegliche Methodik, das Ereignis Jesus Christus irgendwelchen Normen und Gesetzen einzufügen. Welche Rolle kann Bonhoeffer dann für die wissenschaftliche christliche Theologie spielen? Anders: Ist Jesus überhaupt „fassbar“?

 

Bernd Vogel:

Ganz ungeheuer neu von Jesus Christus zu sprechen, das hatte Bonhoeffer schon 1933 vor. Ganz personal – er nennt das die „Wer-Frage“: Christus ist ein „Wer“. Für mich und für uns als Kirche und als Menschheit... Das meint er ganz selbst- und auch kirchenkritisch. Er wollte so von Jesus Christus reden, dass man nicht erst „religiös“ sein muss um zu verstehen, was da gemeint ist. Ganz „weltlich“ sollen wir von „Gott“ im Menschen „Jesus“ reden können.

Das kann auch heißen, ein konkretes Wort in die Politik hinein zu sagen. Für heute z.B.: Ist der Pazifismus richtig und möglich – im Verhältnis zum Wunsch der Ukraine nach Waffen? Oder wäre es im Sinne Bonhoeffers eher: Schuld auf sich zu nehmen und auch schwere Waffen zu schicken, wissend, dass die Gefahren hier wie dort liegen? Dass es für Christ*innen nicht darum gehen kann, eine vermeintlich weiße Weste zu behalten. Die Theologie ist insofern „wissenschaftlich“, als sie solche Fragen vor-klärt, mit vernünftigem Denken.

 

Bonhoeffers Texte zu lesen ist immer wieder anregend. Er bietet mir Impulse, die mich neu mit auf den Weg nehmen. Gerade das Fragmentarische lädt mich ein, selber weiterzugehen, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Und vor allem: mein Leben mit Jesus Christus zu wagen.

 

Bernd Vogel:

An Bachs „Kunst der Fuge“, die der Meister selbst nicht vollenden konnte, fand Bonhoeffer 1943 ein Bild auch für das „Fragment“ seines eigenen Lebens....

Bonhoeffer vertraute darauf, dass Gott sein Leben vollenden würde.

So, wie Gott auch die „Kunst der Fuge“, sozusagen im Himmel, zuende komponiert.

 

Das Buch zur Sendung: Bernd Vogel, Wenn ein Mensch wie Jesus gelebt hat, Kohlhammer Stuttgart 2021, ISBN 978-3-17-041639-0, 19,00 € https://www.dietrich-bonhoeffer-verein.de/neuheiten/buchempfehlungen/bernd-vogel/

Weitere Informationen zu Dietrich Bonhoeffer finden Sie beim Dietrich Bonhoeffer-Verein: https://www.dietrich-bonhoeffer-verein.de/

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:
 

  1. Igor Levit (Beethoven), „Apassionata“, CD-Titel: Igor Levit: Ludwig van Beethoven, Piano Sonatas 19-23
  2. Golden Gate Quartet, Orlandus Wilson (Traditional), Swing low, sweet chariot, CD-Titel: The Best of Golden Gate Quartet
  3. Daniil Trifonov (Johann Sebastian Bach), The Art of Fugue BWV 1080, CD-Titel: Daniil Trifonov, Bach: The Art of Life

 

14.01.2022
Pfarrer Klaus Priesmeier