"Je suis Charlie"

"Je suis Charlie"
- nach wie vor
04.09.2020 - 06:35
03.09.2020
Martin Vorländer
Über die Sendung

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Der Mann spottet. Er spottet über die Religion anderer. Er karikiert das, was ihnen heilig ist. Er schreibt: „Schaut euch doch an, wie sie ihre Götterbilder machen lassen! Sie geben dem Goldschmied Material, aus dem er ihnen ihren Gott gießen soll. Wer sich Gold nicht leisten kann, der nimmt halt Holz, aus dem der Handwerker einen Gott zimmern soll. Aber Achtung!“, warnt der Mann höhnisch. „Das Holz sollte nicht faulen. Sonst wackelt der Gott hinterher.“ (1)

Diese Karikatur über eine Religion steht in der Bibel. Der Schreiber des Prophetenbuches Jesaja zieht vom Leder über die Götterwelt der Babylonier. Er verhöhnt ihren Glauben, macht sich lustig darüber, dass ihre Götterstatuen etwas von göttlicher Macht repräsentieren sollen. Sein Spott muss in ihren Ohren wie Gotteslästerung, wie Blasphemie geklungen haben.

Jesaja nimmt sich die Freiheit und lästert über die Götter der anderen. In Paris haben Karikaturisten des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ für diese Freiheit mit ihrem Leben bezahlt. Am
7. Januar vor fünf Jahren drangen zwei islamistische Terroristen in die Redaktion ein und erschossen fast alle im Raum. Das Morden ging die nächsten zwei Tage weiter, auch in einem jüdischen Supermarkt. Die Fanatiker haben 17 Menschen getötet.

Das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ hatte Karikaturen über den Propheten Mohammed abgedruckt. Die islamistischen Attentäter waren von dem Wahn besessen, sie dürften im Namen ihres Gottes die Redakteure dafür bestrafen.

Die Attentäter selber kamen dabei ums Leben. Jetzt, über fünf Jahre später, hat diesen Mittwoch vor dem Schwurgericht in Paris der Prozess gegen mutmaßliche Komplizen begonnen:
13 Männer und eine Frau. Sie werden beschuldigt, den Terroristen bei ihren Anschlägen geholfen zu haben.

Zum Prozessauftakt hat „Charlie Hebdo“ die Mohammed-Karikaturen erneut abgedruckt mit der Titelzeile „Tout ça pour ça“. Das alles nur für das. Der Herausgeber Laurent Sourisseau sagt dazu: „Wir werden niemals kuschen. Wir werden niemals aufgeben.“

Viele hier in Deutschland haben damals nach den Anschlägen den Spruch gepostet oder sich angeheftet: „Je suis Charlie.“ Ich bin Charlie. Ein Zeichen der Solidarität mit dem Satiremagazin. Und ein Zeichen für Presse- und Meinungsfreiheit. Ich habe das damals auch an meine Bürotür gehängt. „Je suis Charlie.“ Ich bin es nach wie vor. Nicht weil ich begeistert bin, wenn Menschen den Glauben anderer beleidigen. Sondern weil Presse- und Meinungsfreiheit ein Herzstück von Demokratie sind. Sie muten mir zu, auch die Meinung auszuhalten, die nicht meine ist oder die ich sogar ablehne. Das muss ich ertragen.

Und das kann ich ertragen. Meine Toleranz als Christ ist strapazierfähig, wenn Karikaturisten, Autorinnen oder Künstler den christlichen Glauben aufs Korn nehmen. Zum Beispiel hat der Künstler Martin Kippenberger eine Plastik geschaffen, bei der ein grüner Frosch an ein Kreuz genagelt ist. Manche hielten das für eine Beleidigung des christlichen Glaubens. Ich nicht. Ebensowenig die Schlussszene aus dem Film „Das Leben des Brian“ von Monty Python. Da wird die Hauptfigur Brian am Ende mit vielen anderen gekreuzigt. Sie singen im Chor am Kreuz: „Always look on the bride side of life.“ Schau immer auf die Sonnenseite des Lebens. Und pfeifen dazu. Das kann man – ja eben – pfiffig finden oder geschmacklos. Aber es gibt niemandem das Recht, auf die Filmemacher loszugehen. 

Und wenn wir schon beim Kreuz sind: Jesus am Kreuz hat ertragen, dass die Leute ihn verspottet haben. Sie haben ihm zugerufen: „Was bist du denn für ein Messias, der sich nicht selbst helfen kann?“ Jesus hat das ertragen. Warum soll ich dann gleich fuchsteufelswild werden, wenn jemand meinen Glauben karikiert?

Das heißt nicht, dass ich alles unwidersprochen hinnehmen muss. In privaten Gesprächen kann ich schon ärgerlich werden, wenn jemand sich über meinen christlichen Glauben lustig macht. Da ziehe ich die Grenze und fordere den Respekt, den ich meinem Gegenüber auch entgegenbringe. Presse- und Meinungsfreiheit bedeuten: Ich kann sagen, schreiben, zeichnen, was ich denke. Aber ich muss es nicht. Ich bin so frei und kann aus Respekt darauf auch verzichten.

Das ist neben der Freiheit ein weiteres Herzstück von Demokratie - und auch meines Glaubens: Respekt. Achtung vor der Würde des anderen, vor dessen Meinung, vor dem, was ihm und ihr heilig ist, solange sie keinem anderen damit schaden. Solche Freiheit, verbunden mit Respekt, können wir zurzeit gar nicht hoch genug halten.

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03.09.2020
Martin Vorländer