Abendland

Morgenandacht
Abendland
07.08.2019 - 06:35
13.06.2019
Lucie Panzer
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Wir müssen unser christliches Abendland verteidigen, das sagen viele. Oft haben sie Angst vor den Menschen mit anderer Kultur, mit anderer Herkunft, anderem Glauben und anderer Hautfarbe.

Aber was macht ein christliches Land aus? Die Anzahl der Kirchtürme? Oder ihre Höhe? Die Kreuze in öffentlichen Gebäuden? Die Traditionen? Aber welche? Der Weihnachtsbaum? Der Osterhase? Oder die Menschen, die sich Christen nennen und vor allem: als Christen leben?

In der Gegenwart ist ja für unser Land schwer zu sagen, ob und wie Deutschland christlich ist. Es gibt (Zahlen von 2016) ca. 30% Katholiken, 30% Protestanten und 30% Konfessionslose. Aber ihre Anteile an der Bevölkerung sind ganz ungleich verteilt. Bei uns in Baden-Württemberg gibt es noch immer fast 80% Christen. In Wittenberg, der Stadt Luthers sind 7% der Bevölkerung Christen, habe ich gelesen. Muslime sind es übrigens nicht, die den Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung verringern. Manche meinen das ja – der Islam würde das Christentum gewissermaßen verdrängen. Bei ca. 80 Mio Einwohnern in Deutschland sind 3,5 – 4,5 Mio. Muslime. Das sind ungefähr 5% – demgegenüber sind 30% konfessionslos oder „konfessionsfrei“. Am Islam kann das nicht liegen.

Ist Deutschland ein christliches Land? Und was ist das Abendland? Je länger ich nachgedacht habe, desto mehr war ich verwirrt. Ich habe gemerkt, dass man nach rückwärts schaut, wenn man vom Abendland redet. Rückwärts in irgendeine Vergangenheit, die es so wohl nie gegeben hat. Zurück zu einer Einheit, die Menschen sich vielleicht gewünscht haben. Aber so eine Einheitsidee heißt dann ja meistens: Wie schön wäre es, wenn alle so wären wie wir. Aber wer ist denn „wir“ im Abendland? Die Katholiken oder die Evangelischen, die sich jahrhundertelang gegenseitig bekämpft haben? Was ist dann mit denen, die nicht Christen sein wollen, nicht Christen sein können oder kaum mal etwas vom Christentum gehört haben, weil sie in Chemnitz aufgewachsen sind, in Dresden oder Berlin? Gehören die dann auch dazu, zum christlichen Abendland – oder nicht? Und die Juden? Und die Muslime?

Gewiss, unser Miteinander schöpft in vielen Bereichen aus christlichen Traditionen: Die Menschenwürde wird oft genannt und dass alle Menschen gleichberechtigt sind. Dass Eigentum verpflichtet und keiner für sich allein verbrauchen soll, was er hat. Dass Menschen die Schöpfung bewahren sollen. Man könnte auch den Sonntag nennen, den freien Tag für alle Menschen. Den Stellenwert der Bildung für alle. Es war Martin Luther, der die allgemeine Schulpflicht gefordert hat. Das ist ein gutes Stück christlich-reformatorische Tradition in unserem Land, die uns inzwischen selbstverständlich geworden ist.

Dass wir in unserem Land das im Blick behalten, dafür sind wir gemeinsam verantwortlich, in besonderer Weise jeder einzelne Christ. Damit auch die nach uns wissen, warum die Würde des Menschen unantastbar ist. Warum Männer und Frauen gleichberechtigt sind und wozu Eigentum verpflichtet.

Das Evangelium entfaltet seine Kraft in menschlichen Begegnungen. Es wirbt ohne Machtmittel um die Menschen. Nach Jahrhunderten kirchlicher Machtausübung müssen wir Christen das wohl weiter und immer neu lernen. Was wir sagen und glauben ist kein Allgemeingut mehr. Und manchmal werden unsere Überzeugungen belächelt und wir als „Gutmenschen“ verspottet. Unseren Glauben, unser Gottvertrauen können wir nur weitergeben, indem wir zuhören und von unseren persönlichen Erfahrungen erzählen. Die Kirchen und ihre Gottesdienste sind dann so eine Art „Haltestelle mitten im Alltag“, hat der Publizist Heribert Prantl gesagt. Und das Besondere ist, so Prantl weiter: „Hier sammeln sich Leute, die aus ganz unterschiedlichem Zuhause kommen. Sie treffen sich nicht an der Haltestelle, weil sie dieselbe Herkunft haben, sondern weil sie in dieselbe Richtung wollen“. Das halte ich für entscheidend.

Dafür sollen wir die Erinnerung an die christlichen Wurzeln unserer Kultur wachhalten. Damit die Menschen wissen, woher die Ideen kommen, nach denen wir bis heute leben. Damit die Richtung stimmt, in die wir gehen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Lucie Panzer