Musik. Die ersten Töne hörte man im Mutterbauch. Dann die Spieluhr über dem Kinderbett. Manche erinnern sich noch an die Melodie der Spieluhr. Erste musikalische Erinnerungen tauchen auf. Kinderlieder, gesungen, Tanz im Kindergarten, Singen in der Schule - das habe ich noch erlebt. Dann das erste Instrument in der Hand. Üben, üben, üben. Finger bewegen auf den Saiten einer Gitarre, fegen über die Tastatur des Klaviers, der Atem formt Töne in Blasinstrumenten und die Füße treiben am Schlagzeug Bassdrum und HiHat an.
Augustin, der Kirchenvater, hat etwas Wunderbares notiert, zumindest wird es so überliefert. Er hat gesagt: Wer singt, betet doppelt. Dieser Satz reist durch die Kirchengeschichte bis in unsere Zeit. Sein Satz klingt durch 1600 Jahre hindurch und wird durch die Hirnforschung bestätigt: Das gesprochene Worte erreicht vorwiegend die kognitive Intelligenz. Klänge und Töne aber reichen tiefer, erreichen die emotionale Intelligenz. Wer singt, betet doppelt --- erreicht die Seele, sagt Augustin, weckt Emotion, sagt die Forschung. Und man weiß heute: Singen und Musizieren lösen Glücksgefühle aus, in einer einzigen Stunde werden dreimal so viel Glückshormone ausgeschüttet wie sonst.
Von dieser Wirkung der Musik kann auch der Musiker Sting ein Lied singen. Sting hat so wunderbare Songs geschrieben wie "Roxanne" oder "Englishman in New York". Millionen Zuhörer berührt er mit Text und Musik, mit Wort und Klang. Starke, heilende Musik - und doch trägt seine Autobiografie den Titel: "Broken Music", kaputte Musik. Warum? Auf dem Klavier zu Hause hämmerte er als Kind seine Wut und seine Verwirrung von der Seele, hatte er doch seine Mutter im Bett mit ihrem Liebhaber gesehen. Die Eltern zerstritten, die Familie zerbrochen, der Junge am Klavier einsam, voller Trauer und Wut. Rückblickend aber schreibt Sting: "Die Musik war eine heilende Kraft für mich - und ist es immer noch!"
Die heilende Kraft der Musik - da erklingt ein Lied im Radio, das mich anrührt und wenn ich im Chor dieses eine Stück singe, dann spüre ich das körperlich: Ein wohliger Schauer läuft über den Rücken, Nackenhaare richten sich auf. Wunderbares macht die Musik mit uns!
Diese heilende Kraft der Musik kannte auch Martin Luther. Als Chorknabe sang er in Eisenach, erhielt in der Lateinschule Unterricht in Musiktheorie und studierte später an der Universität in Erfurt neben Theologie auch Musik. Darum hat Martin Luther, der große Streiter gegen Papst und Kaiser, gesungen. Er ließ sich das Singen nicht nehmen, trotz der gewaltigen Veränderungen, die er als ehemaliger kleiner Mönch ausgelöst hatte. Er spielte die Laute, ein Instrument so ähnlich wie unsere Gitarre. Rund 30 Lieder stammen aus seiner Feder wie "Ein feste Burg". Heute würde man sagen: Martin Luther war auch ein Singer-Songwriter, ein Protestliedermacher. Denn reisende Musikanten brachten seine Lieder in viele Städte. Sie wurden gehört, gesungen und sie verbreiteten die Ideen der Reformation auf Marktplätzen - und in den Kirchen. Sogar während der lateinischen Messe standen Menschen einfach auf und begannen laut ein Lied zu singen - auf Deutsch, in ihrer Muttersprache, Lieder von Martin Luther. So protestierten sie gegen den Priester vorne am Alter mit seinem Latein. Schnell kam es zu Verboten, evangelische Lieder öffentlich zu singen. Aber das störte niemanden. Dann wurden evangelische Lieder eben gepfiffen! Und das führte zu folgendem seltsamen Verbot: In einigen Städten wurden Schilder aufgehängt mit der Aufschrift: "Lutherisches Pfeifen verboten!"
Nicht allein die Schriften waren es, die die Reformation ausbreiteten, es waren auch die Lieder. Ein Bote brachte in der Reformationszeit seinem Fürsten eine Nachricht und verkündete atemlos: Die Protestanten sind in der Stadt! Der Fürst fragte: Und? Singen sie schon? Antwort: Ja, sie singen schon. Der Fürst darauf: Dann sind wir verloren.
Luther schreibt: "Die Musik ist die beste Gottesgabe. Sie ist eine Lehrmeisterin, die die Leute gelinder, sanftmütiger und vernünftiger macht."