Morgenandacht
Gerhard Tersteegen – ein evangelischer Mystiker
03.04.2019 06:35
Sendung zum Nachlesen

Achtsamkeit. Innerer Weg. Mystik. Wer Zeitschriften in die Hand nimmt, stößt immer wieder auf diese Themen. Da ist der Wunsch nach Vertiefung, mitten in einer Zeit, in der sich alles beschleunigt. Da ist ein Gefühl von Leere mitten in einem Land, in dem wir so viel im Überfluss haben. Es wächst die Sehnsucht nach Innerlichkeit.

Einer, der diesen inneren Weg beschritten hat, ist der evangelische Liederdichter Gerhardt Tersteegen. Heute, vor genau 250 Jahren, am 3. April 1769, ist er gestorben. „Man muss wie ein Pilger wandeln, frei, bloß und wahrlich leer. Viel Sammeln, Halten, Handeln macht unseren Gang nur schwer“, dichtet er.

Wie ein Pilger wandeln, frei, bloß und leer – Tersteegens Lebensweg war von dieser äußeren Armut, aber zugleich von innerem Reichtum geprägt. Er war das siebte von acht Kindern einer Kaufmannsfamilie. Sein Vater starb, als er sechs Jahre alt war. Zum Glück besuchte er eine gute Schule, lernte alte Sprachen und Französisch, doch für ein Studium hatte die Mutter kein Geld. So wurde er zunächst Kaufmann wie sein Vater, ein Beruf, der ihn nicht glücklich machte. Auf der Suche nach einem einfachen Leben wählte er das Handwerk des Webers. Nah bei den Menschen wollte er sein und traf sich oft mit anderen Christen in Hausgemeinschaften.

Bald aber übersetzte er Bücher französischer Mystiker, verfasste Biografien und veröffentliche eigene Schriften. Nicht nur Laientheologe war Gerhardt Tersteegen, auch Laienarzt – und er versorgte Kranke kostenlos mit selbst hergestellten Arzneimitteln. „Mystiker reden wenig, sie tun und leiden vieles“, schreibt er – und: „sie beten ohne Unterlass“.

Beten, das war sein Mittelpunkt. Noch heute, 250 Jahre nach seinem Tod, berühren seine Liedtexte wie „Ich bete an die Macht der Liebe“. Und sein Gesangbuchlied „Gott ist gegenwärtig“ beschriebt seinen Glauben mit schlichten und doch so zeitlosen und eindrücklichen Worten: „Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge. Wer ihn kennt, wer ihn nennt, schlag die Augen nieder; kommt, ergebt euch wieder.“

Natürlich: Der Kirchenobrigkeit seiner Zeit war der seltsame Wanderprediger mit seiner Herzensfrömmigkeit suspekt. Schließlich hatte er nie studiert und stand wohl nur ein einziges Mal auf einer richtigen Kanzel. Er predigte lieber in Hütten und Häusern und prangerte dort die „Erbreligion“ der Kirchenchristen an. Der Autodidakt, der als Prediger oft vor hunderten Menschen die Bibel auslegte, geriet schließlich ins Kreuzfeuer der Kirche und erhielt ein zehnjähriges Redeverbot. Und da er nicht reden konnte, schrieb er umso mehr. Neben den Seelsorgebriefen sind allein hundert Lieder aus seiner Feder überliefert. Wer seine Gesangbuchtexte heute singt, entdeckt Worte, die aus dem Herzen kommen und noch heute viele im Herzen berühren. Lieder als „Via Cordis“ – als „Weg des Herzens“.

Gerhard Tersteegen war ein evangelischer Mystiker. Gebet und Stille, gepaart mit der Bereitschaft den Menschen zu dienen, zeichnen ihn aus. Heute, 250 Jahre nach seinem Tod, stellen seine Worte die Schnelllebigkeit und das Konsumverhalten in Frage. Er zeichnet einen Weg zu Gott durch Meditation und Gesang. Christliche Mystik bedeutet: Sich selbst ganz zurücknehmen, das Geheimnis erkunden, Gott in uns suchen und ihn sprechen lassen. Die Sprache der Mystik ist eine Sprache der Liebe. Mit dem Bild von Sonne und Blume beschreibt Tersteegen dieses Versenken in Gott:

„Du durchdringest alles; lass dein schönstes Lichte,
Herr, berühren mein Gesichte.

Wie die zarten Blumen willig sich entfalten
und der Sonne stille halten,

lass mich so still und froh deine Strahlen fassen
und dich wirken lassen.“

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Sendungen von Superintendent Jan von Lingen