Altar und Küchentisch

Morgenandacht
Altar und Küchentisch
16.09.2020 - 06:35
11.09.2020
Cornelia Coenen-Marx
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Küchen sind der Renner der Saison. Zwischen Homeoffice und Homeschooling hatten Familien plötzlich Zeit zum gemeinsamen Kochen und Essen. Und das war schon etwas Besonderes. Denn für gemeinsame Mahlzeiten ist sonst oft nur am Wochenende Zeit. Es ist eben nicht einfach, die engen Rhythmen von Jobs, Kita, Schule und Freizeit aufeinander abzustimmen - da knirscht es oft genug. Und weil der Alltag normalerweise so eng getaktet ist, müssen auch Familienbesuche und Feste langfristig geplant werden. Aber jetzt war plötzlich alles anders. Die mühsam gefundenen Termine – alle gestrichen. Hochzeiten und Konfirmationen verschoben. Und im Alltag fehlten die Großeltern, die sonst einspringen, wenn alles aus dem Tritt gerät.

Natürlich war es manchmal chaotisch und eng. Und im Zentrum: der Küchentisch. Beim Frühstück und beim Homeschooling. Beim Spieleabend und bei der Familienkonferenz mit den Großeltern - zum ersten Mal als Videotelefonat per FaceTime. An das gemeinsame Essen kann man sich schnell gewöhnen. Als Zeit, sich auszutauschen, zu planen, Probleme zu klären. „Wir teilen und verteilen nicht nur Lebensmittel, sondern wir teilen uns unser Leben mit“, hat Birgit Wagner-Esser einmal geschrieben. „Jedem in der Familie ist wichtig, wie es den anderen geht. Es ist ihm oder ihr nicht egal. Hier, am Tisch und beim gemeinsamen Essen, ist der zentrale Ort, an dem sich Gemeinschaft konstituiert“.

Auch Ostern haben wir als Familie am Küchentisch gefeiert - mit Osterglocken und Osterkerze, mit rot gefärbten Eiern und selbstgebackenem Brot. Zum gestreamten Gottesdienst. Halb digital, halb analog – wie bei der Familienkonferenz. Kann man so auch Abendmahl feiern? Muss unbedingt eine Pfarrerin dabei sein und die Einsetzungsworte sprechen? Darüber wird in unserer Kirche gestritten. Mir ist vor allem die Gemeinschaft wichtig. Schließlich hat Jesus alle eingeladen, die Frauen, die Außenseiter, die Kranken. Der große Tisch ist sein Markenzeichen – und noch vor seinem Tod feiert er auch mit Judas, der ihn ans Messer liefert. Diese Erinnerung ist mir wichtig: Dass er sein Leben gab, damit es uns gut geht.

Dass die Gemeinschaft in der Kirche von diesem Tisch ausgeht, das wurde vielen erst wieder klar, als die Abendmahlsfeiern ausfallen mussten, auch zu Karfreitag und zu Ostern. Wenn Christen das Brot nicht teilen, fehlt etwas ganz Wesentliches. Das gilt ja auch im Alltag. Im Supermarkt ging die Hefe aus, weil plötzlich alle Brot backen wollten. Im Möbelhaus waren Küchen der Renner. Und vor dem Fernseher diskutierten wir über Fleischproduktion und Werkverträge bei Tönnies und über die Spargelstecher aus Bulgarien und Rumänien. Was andere auf sich nehmen, damit es uns gut geht - darüber hatten wir lange nicht nachgedacht. Egal kann es uns nicht sein. Und was können wir tun, damit es anderen gut geht? Im Corona-Lockdown starteten an vielen Orten Einkaufshilfen für die, die nicht vor die Tür kamen. „Dich schickt der Himmel“ hieß die Aktion in Witzenhausen.

Füreinander einkaufen, gemeinsam kochen, zusammen essen - das hat tatsächlich mit dem Himmel zu tun. Neben den Einkaufshilfen gibt es in vielen Gemeinden seit langem Mittagstische für Ältere, die sonst allein essen müssten. Da kann man erzählen, was einen beschäftigt – egal, ob Krankheit oder Familiengeschichten - da hört man einander zu und das allein tut gut. Das Leben aus einer anderen Perspektive sehen, über den eigenen Tellerrand, den eigenen Kirchturm hinaussehen - darauf kommt es an. Pfarrer Kossen aus Gütersloh hat gezeigt, was das heißt: Er hat sich seit Jahren für die Werksarbeiter bei Tönnies eingesetzt. Jetzt hat er den Verdienstorden von Nordrhein-Westfalen bekommen. Ob ich das ohne Corona wahrgenommen hätte? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß: Es gibt einiges zu ändern nach dieser Krise. In der Fleischindustrie, bei den Werkverträgen, aber auch in unserem Alltag. Und die Tischgemeinschaft ist ein Schlüssel dazu – in der Kirche und auch am Küchentisch.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

 

 

11.09.2020
Cornelia Coenen-Marx