Zeit ist unbezahlbar

Morgenandacht
Zeit ist unbezahlbar
02.05.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann

„Zeit ist ....unbezahlbar“. Mit diesem Slogan haben auch Kirchen den 1. Mai gestern aktiv begangen. Also nicht ‚Zeit ist Geld‘, sondern ‚Zeit ist unbezahlbar‘.

Für einen Sonntag mag dieser Slogan ja passen, sagen Sie vielleicht, noch dazu wenn dieser auf den 1. Mai fällt. Aber Sonntag war gestern. Der Montagstakt ist ein anderer. Heute gilt eher wieder „Zeit ist Geld.“

 

Dennoch finde ich, der Widerhaken gegen „Zeit ist Geld“ ist unabdingbar, im Interesse meines Lebens. „Zeit ist unbezahlbar.“ Das gilt auch am Montag. Und muss auch bei der Arbeit wirklich bleiben.

Denn Zeit ist meine Lebenszeit. „Zeit“ ist kein Ding, das ich beliebig zukaufen könnte, wenn sie knapp wird. Zeit ist kein Tauschobjekt. Wie das der Spruch „Zeit ist Geld“ meint. Zeit ist ein Synonym für Leben. Unser Leben, unsere Zeit. Darum ist Zeit nicht Geld, sonst wäre ja „Leben Geld.“

 

Aber wie kommt so ein „Sonntagsgedanke“ wirklich in den Montag? Der ist nun mal ökonomisch rational und geldorientiert durchgetaktet. Arbeitszeit ist bezahlt, untrennbar verbunden mit Geld. Ist das nicht gerade ihr Sinn, dass Arbeitszeit in Geld verrechnet wird?

Da treibt die meisten Arbeitnehmer eher die Sorge: Ist sie auch fair und wertschätzend genug bezahlt? Bevor man daran denken könnte, dass sie eigentlich „unbezahlbar“ ist.

 

Ich finde, es gibt eine gute Nagelprobe dafür, ob das ökonomisch rationale „Zeit ist Geld“ bei der Arbeit noch zusammenkommt mit dem Gedanken „Zeit ist unbezahlbar“. Und die Nagelprobe sind die Pausen. Bezahlte. Pausen, die nicht nur jede und jeder einzeln für sich nimmt, sondern gerade Pausen, die Kollegen und KollegInnen gemeinsam erleben. In denen man miteinander reden kann – auch über die Rechte als ArbeitnehmerInnen und -nehmer.

 

Das Recht auf Pausen ist der Testfall, ob Zeit nur Geld – oder eben auch Leben ist. Wenn Arbeit immer mehr verdichtet wird, Zeit immer knapper, und für Pausen keine Luft mehr ist: Das ist dann untrügliches Zeichen dafür, dass die Geldlogik sich immer tiefer in die Arbeit frisst.

 

In Pausen erlebt man: Arbeit ist viel mehr als Geld verdienen. Arbeit ist schöpferisch. Mitarbeit an der Gesellschaft, Mitarbeit an der Baustelle Welt. Das merkt man in Pausen deshalb, weil man da sehen kann, was man arbeitet. Gemeinsame Pausen bewahren davor, dass das Leben sinnlos pausenlos wird und damit auch pausenlos sinnlos.

 

Da geht es uns Menschen wie Gott am siebten Tag bei der Schöpfung.

Wie es die Bibel am Anfang erzählt:      
Sechs Tage hat Gott intensiv an der Schöpfung gearbeitet. Aber erst am siebten Tag vollendet sich das Ganze. Der siebte Tag, der Tag der großen Pause.

 

Humorvoll dargestellt wird das in einer großen Kirche in der Nähe von Palermo:
Gott macht Pause von der Arbeit. Man sieht es ihm an, Gott ist geschafft vom vielen Schaffen. Jetzt, in der Pause, kann er erst einmal durchatmen.

Und dann kommt etwas zweites, vielleicht noch wichtigeres dazu: Als Gott ein bisschen erholt ist, da erst sieht er, was in seinem Schaffen alles entstanden ist.

 

Es stimmt ja – solange man mitten drin steckt in der Arbeit, sieht man den Ertrag nicht. Dafür braucht man den Abstand in einer Pause. Erst dann hat man die Augen dafür. Eigentlich kann man daraus nur den Schluss ziehen: Mensch, mach es wie Gott.

 

Ich finde, Pausen sind etwas göttlich Menschliches. Gerade mitten in der Arbeit. Und am besten mit Kolleginnen und Kollegen, damit man zusammen sitzen kann und miteinander reden. Anschauen, was man geschaffen hat oder gearbeitet. Vielleicht sogar Freude daran haben und stolz darauf sein. Hoffentlich.

 

Solche Pausen sind ein Zeichen, dass meine Zeit „unbezahlbar“ ist.      
Gerade auch am Montag. Zeit ist eben nicht „Geld“. Geld kann dafür sorgen, dass ich mir etwas leisten kann.
Ist nötig für Güterwohlstand. Aber Güterwohlstand ist nicht genug Wohlstand. Als Mensch brauche ich auch so etwas wie Zeitwohlstand. Genügend Zeit, in der ich erleben kann: Zeit ist Leben, unbezahlbar und sie gehört mir. Und den Menschen, für die ich wichtig bin.

27.12.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann