Bewegliche Heimat

Wort zum Tage
Bewegliche Heimat
20.05.2020 - 06:20
15.05.2020
Sabrina Greifenhofer
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Manche Wörter sind wie Kleidungsstücke. Sie nutzen sich ab, werden unmodern. Dann ist es nicht mehr dasselbe sie zu tragen.

Es war so ein abgenutztes Wort, das mir einen Neuerwerb total vermieste. Ich hatte mir eine soulbottle gekauft, eine Flasche für die Seele. Soulbottles sind Trinklaschen aus Glas, ganz ohne Plastik produziert, nachhaltig und vegan. Für jede verkaufte Flasche spendet die Firma einen Euro an ein Hilfsprojekt – also ein echtes Wohlfühlprodukt. Eine Flasche für die Seele eben. Und für die Augen. Jede soulbottle ist mit einem ansehnlichen Motiv gestaltet. Ich entschied mich für ein kleines Boot auf hoher See.

Erst als die Flasche vor mit auf dem Tisch stand, fiel mir der Name des Bootes auf: „Heimat“. „Heimat“ – diesen Begriff wollte ich eigentlich nicht auf meiner Trinkflasche haben. Manche haben eine Flasche von ihrem Lieblings-Sportverein. Solche Flaschen haben etwas von einem Namensschild, das man vor sich aufstellt. Aber ich wollte nicht, dass irgendjemand denkt, „Heimat“ bedeute mir viel.

Dieses Wort hat eine Veränderung durchgemacht. Es ist zum Kampfbegriff geworden. Unter Heimat fassen einige Leute, was an einen Ort gehört, um anderes und andere auszuschließen. Heimat ist zum umstrittenen Begriff geworden. Ich kann ihn nicht mehr unbefangen benutzen. Er passt nicht zu mir.

Bis sich einer dieses Begriffs annahm und ihn neu kombinierte und ihn für mich plötzlich wieder ausgehfertig machte.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Heinrich Bedford-Strohm sprach vergangenes Jahr in einer Rede vor Politikern und Medienvertretern über Heimat. Dabei verwendete er einen „offenen Heimatbegriff“: Heimat als etwas Flexibles und nicht Abgeschlossenes. Er bezog das in seiner Rede auf das Ende des Psalms 23: „Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

Das kann überall sein. Christen fühlen sich bei Gott zuhause. So gedacht, ist Heimat etwas ganz anderes als ein fester Ort auf der Landkarte. Ein Heimatgefühl, das „immerdar“ sagen kann, setzt sich nicht fest in engen Grenzen.

Wenn Heimat geknüpft ist an ein großes Gefühl, für Menschen, für eine Einstellung, für etwas, das beweglich ist, dann ist Heimat ganz weit geöffnet.

Jetzt wird das Bild auf meiner Flasche zu einem Symbol für Heimat, die beweglich ist: wie ein Schiff, das in vielen Häfen anlegen kann. Damit bin ich flexibel und bleibe auf dem Weg. Sozusagen „Im Schiff des Herrn immerdar.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

15.05.2020
Sabrina Greifenhofer