Gemeinfrei via pixabay/ geralt
Mit Gott tanzen
Körper spirituell bewegen
17.09.2023 08:35
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„Kann man mit Gott tanzen?“, frage ich mich. Denn ich sehne mich nach spirituellen Tanzmöglichkeiten und stoße bei meiner Suche auf einen Workshop. Einen Bibeltext im Tanz erleben – das geht offenbar und ich gehe hin zu dem Workshop mit dem Titel „Bibliotanz: Alles hat seine Zeit - jetzt“, passend zum Motto des Kirchentags in Nürnberg. Die Idee ist, dem biblischen Text zu begegnen, ihn mit eigenen Lebenserfahrungen zu verbinden und im freien Tanzen auszulegen. Ich bin neugierig und ein bisschen skeptisch, vor anderen zu tanzen. Ich nehme mir vor, erstmal zuzuschauen. Aber dann haben schon alle ihre Schuhe ausgezogen und ich schließe mich einfach an.

Zu Beginn: Aufwärmen. Wir schütteln uns. Unsere Finger, unsere Arme, unsere Beine, Oberkörper und Po. Wir schütteln den Kopf und selbst die Zehen. Haarsträhnen fliegen durch die Luft, nackte Fußsohlen schlagen schnalzend auf dem Holzparkett auf. Das muss ein sonderbares Bild sein, wie so viele Menschen barfuß in einem Gemeinderaum alles lockern, was sie bewegen können. Jedes Gelenk drehen, strecken, schütteln wir. Pulsierende Bläserbeats treiben uns an.

Die Theologin, Spiel- und Theaterpädagogin Astrid Thiele-Petersen leitet den Bibliotanz an. Sie hat diesen Bibelzugang in den 1990er Jahren aus dem Bibliodrama entwickelt, bei dem Teilnehmende in Rollen schlüpfen und einen Bibeltext spielen. Thiele-Petersen ließ das Spiel immer mehr zu Körperbewegungen werden, zum Ausdruck von Körpern im Tanz. Über die Jahre hat sie mehrere Bibliotanzanleitende ausgebildet. Ein ganzes Netzwerk von Tanzenden ist dabei entstanden. Sie erzählt:

 

Teilnehmende entdecken etwas über sich und vor allem über den Bibeltext, indem sie sich identifizieren mit biblischen Figuren aber auch mit Motiven mit Themen, mit Verben, mit Motiven, die im Bibeltext stehen und sie durch Körperausdruck zunächst mal ausdrücken und auslegen und machen dabei manchmal erstaunliche Entdeckungen über einen Text, die ihnen vielleicht nicht gekommen wären, wenn sie nur drüber nachgedacht hätten.“

In Nürnberg tanzen wir gemeinsam und gleichzeitig für uns selbst. Unsere Bewegungen sind nicht choreografiert und doch fügen sie sich in ein Gesamtbild. Alle geben aufeinander acht. Der nächste Schritt nach dem Aufwärmen: Bewegungen ausprobieren. Wir arbeiten uns mit verschiedenen Qualitäten durch den Raum. Wir hüpfen und kriechen und schleichen. Mal mit langen Gesten, mal mit kurzen. Dann sollen wir alles so rund wie möglich bewegen, danach so eckig wir können. Wir probieren aus, uns in Zeitlupe voranzutasten. Schließlich zappeln wir so schnell wie es mit so vielen Teilnehmenden im Raum geht. Wir erproben verschiedene Weisen, unseren Körper einzusetzen. Wir lernen unsere Bewegungen kennen und was sie in uns regen oder in anderen. Weil Tanz so viele Formen einnehmen kann.

Auch in der Bibel tanzen die Menschen - zu unterschiedlichen Anlässen: bei Ritualen und bei sakralen Feiern oder wenn sie ihre Emotionen kanalisieren müssen.

Zum Reigen, einem Rundtanz mit Vortänzer, bitten gleich mehrere Psalmen: „Sie sollen loben Gottes Namen im Reigen, mit Pauken und Harfen sollen sie ihm spielen.“ (Ps 149,3) Psalmgebete, die in heutigen Gottesdiensten meist im Wechsel gesprochen werden, wurden auch gedichtet, um musikalisch zu erklingen. Und manch lyrischer Psalmvers gibt eine Ahnung davon, wie Gott nicht nur mit der Stimme, sondern dem ganzen Körper gelobt werden kann: „Gott, du stellst meine Füße auf weiten Raum“, heißt es in Psalm 31 und weckt Ideen, dass dieser Raum auch rhythmisch beschritten werden könnte.

König David tut genau das als er König in Jerusalem wird und die Bundeslade in seine neue Hauptstadt überführt. Dieser heilige knapp ein mal ein Meter breite und hohe Kasten, an dem sich die Präsenz Gottes besonders konzentrieren soll, ist in die Hände anderer gefallen. Und für Jerusalem und Israel hat die Lade herausragende Bedeutung. In ihr sollen biblische Schriften, darunter auch die Zehn Gebote, aufbewahrt worden sein. Und als David und seine Mannschaft die Lade nach Jerusalem transportieren, tanzen sie.

Und David und ganz Israel tanzten vor dem Herrn her mit aller Macht im Reigen, mit Liedern, mit Harfen und Psaltern und Pauken und Schellen und Zimbeln.“ (2.Sam6)

Ob es sich bei diesem Tanz um ein kultisches Ritual ausschließlich für die Lade handelt, ob sie tanzen, wie sie häufiger zum Gotteslob tanzen oder ob es pure Freude ist, wegen der die Menschen ihre Beine nicht mehr stillhalten können, bleibt in dieser Erzählung offen.

Auch andere Bibelcharaktere verarbeiten ihre Gefühle im Tanz.

Das zweite Buch Mose erzählt: Die Todesangst steckt ihnen noch in den Gliedern. Nur langsam weicht sie der Erleichterung. Und immer noch sind sie so angespannt, wie die Wassermassen, die zu ihrer Linken und zu ihrer Rechten aufgerichtet wurden. So konnten sie, das ganze Volk Israel, nämlich vor dem Pharao durch das Rote Meer fliehen. Nun fällt die Anspannung ab und bricht sich Bahn in Freudengeschrei. Miriam, die Schwester des Moses, weiß dieser Energie Raum zu geben. Sie greift zur Pauke und tanzt mit den anderen Frauen. Sie lassen Erleichterung, Freude und Lob in ihre Bewegungen fließen. Die Gefühle durchlaufen ihre Gliedmaßen, der Körper fühlt mit. Miriam gilt als die tanzende Prophetin. Prophetische Sprüche von ihr suchen wir in der Bibel vergebens. Aber ihre Reaktion auf die Rettung weist auf die Form ihrer Prophetie hin: in Tanz und Gesang erweist sie Gott Dienst und bringt die Menschen mit Gott zusammen.

 

Auch Jesus erzählt vom Tanz als Ausdruck von Freude und Erleichterung in dem Gleichnis vom verloren geglaubten und wieder zurückgekehrten Sohn. Dieser Sohn wollte sein Leben selbst bestreiten. Fernab von dem Hof seiner Familie. Aber nichts klappte, wie er es sich ausgemalt hatte. Also kehrte er zu seiner Familie zurück. Der Vater, der seinen Sohn schon verloren geglaubt hatte, freute sich so sehr, dass er auf die Rückkehr mit Musik und Tanz reagierte.

Gott ist Adressat dieser Botschaften, die Lob- und Freudentänze senden. Weil Körper Gottes Geschöpfe sind, kann Gott jede körperliche Regung verstehen. Und Gott deutet, wie sie sich bewegen und was sie bewegt. Gott liest jede Regung.

Ich selbst fühle mich beim Tanzen in Nürnberg sehr beobachtet – nicht von den anderen, sondern von Gott. Dass Gott meine Bewegungen deutet, gibt mir Sicherheit. Aber Gott im Bibliotanz zu begegnen ist kein Rezept, und schon gar kein Automatismus meint Astrid Thiele-Petersen:

 „Ja, ich bin da, glaube ich, ein bisschen vorsichtig. Also ich kündige nie an, in diesem Seminar wirst du Gott begegnen oder so etwas. Weil ich finde, das ist etwas Glauben, das kann man nicht inszenieren oder initiieren, beides nicht. Wenn sich das ereignet im Prozess im Bibliotanz ist das wunderschön, aber ich würde niemals sagen „Hier kannst du jetzt Gott begegnen.“

Bei unserem Bibliotanz in Nürnberg tanzen wir zu Worten aus dem Alten Testament: „Alles hat seine Zeit“, steht im Predigerbuch. Und wir finden Bewegungen zu jedem der Begriffspaare dieses Textes. Geboren werden und sterben, pflanzen und ausreißen, weinen und lachen. Wir stellen manches konkret dar, anderes abstrakt. Und für meinen Körper ist keiner dieser Begriffe ein Fremdwort: töten und heilen, herzen und aufhören zu herzen – zu allem hat er eine Idee. Dann wählen wir einen Begriff und unsere Bewegung dazu und tanzen sie auf vielfältige Arten, wie wir es eingeübt haben. Mal langsam, mal eckig, mal kurz. Meine Bewegungsabfolge zu „herzen“ ist überraschend weitläufig. Ich strecke Arme und Oberkörper nach hinten und schließe mit einem kleinen Sprung ab. In Worten hätte ich „herzen“ als kleine liebevolle Geste der Zuneigung beschrieben. Aber mit meinem Körper entsteht eine ausladende Suche. Nach oben, damit mein Herz sich mit etwas Höheren verbindet und in einem flüchtigen Hüpfer herzen kann.

Der Tanz zum Bibeltext öffnet Körper und Seele, weiß Astrid Thiele-Petersen:

 „Also in dem Moment, wo ich mich Gott öffne, ist er für mich vielleicht präsenter und das passiert bei vielen Menschen, wenn sie in eine Kirche gehen, wenn sie in einem Gottesdienst sind, oder eben auch in einem Bibliotanz, wenn sie sich mit einem Bibeltext bewusst jetzt beschäftigen, da öffnet sich ja in der Seele etwas. Wenn ich meinen Körper öffne, dann öffnet sich auch meine Seele und ich werde offener.“

Im Tanz lässt sich ausdrücken, wofür Sprache und bildende Kunst keine Formen kennen. Aus dieser Überzeugung wurde Anfang des 19. Jahrhunderts der Ausdruckstanz entwickelt. Befreit von Balletttraditionen soll der Körper ausdrücken, wofür es keine Worte gibt. Der Bibliotanz orientiert sich darum nicht nur an einem Tanzstil. Teilnehmende können ihre eigenen Bewegungen improvisieren. Ihre Körper kommunizieren. Sie stellen Gefühle und Gedanken in Regungen dar. Und regen dabei auch etwas in sich selbst:

Wenn wir mit Körperarbeit oder Bewegung, Tanz arbeiten, löst das etwas in uns aus und berührt uns mit unseren eigenen Themen, nochmal ganz anders, als wenn wir jetzt in einer Bibelgesprächsgruppe wären.“

Manches erfahre ich im Bibliotanz über Zeit aus dem Predigerbuch ganz neu: Als nächstes stellen wir uns auf eine Seite des Raums und beginnen mit den Bewegungen zu unserem Begriff. Ich werfe meine Arme wieder zurück und hüpfe durch den Raum. Auf der imaginierten Mittellinie schwenken wir alle ins Gegenteil. Unser Begriff wird zum Gegenbegriff, unsere Handlung zur Gegenhandlung. Mein „herzen“ wandelt sich:

Meine Schritte werden ganz klein, geradezu schüchtern. An allen Gelenken meiner Arme und Hände bilde ich Winkel. Jede Bewegung bleibt eng bei mir. Ich ziehe mich an eine Säule zurück und kauere mich hin. Aufhören zu herzen.

Anschließend schütteln wir die Bewegungen aus, lockern unseren Körper von dem, was er erlebt hat, was wir in ihm erlebt haben, wozu uns das biblische Wort inspiriert hat. Und zum Abschluss tanzen wir frei. Manche von uns fühlen sich auf ein paar Quadratzentimetern Bühne vor Gott.

Astrid Thiele-Petersen:

 „Ich freue mich so, dass es in der Bibel nicht nur die Stellen gibt, wo Tanz als kultisches Element oder als Ausdruck von Freude nach einem Sieg z.B. – vielleicht sind das dann die bekanntesten Stellen – aber wir haben eben auch in den Psalmen und beim Prediger diese Texte „Alles hat seine Zeit“ Klagen und Tanzen als Gegenüberstellung oder aus Psalm 30 „Du hast meine Klage verwandelt in einen Tanz“, aus denen deutlich wird, dass Tanz als Gefühlsausdruck da ist und selbstverständlich ist und auch vor Gott gebracht werden kann und das finde ich ganz wunderbar.“

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

1. Meute, Panda: 0:50-1:10, Label-Nr.: TUMULTC17 / EAN 0194491713058

2. Rene Aubry Traversee, 0:10-0:44; Label-Nr.: HM3024002 / EAN 3483901240022

3. Rene Aubry, Signes: 2:40-2:57, Label-Nr.: HM3024002 / EAN 3483901240022

4. Rene Aubry, Signes: 2:57-3:23, Label-Nr.: HM3024002 / EAN 3483901240022

5. René Aubry, Déferlante, 0:00-0:20, Label-Nr.: 80402, EAN 3770000267006

6. René Aubry, Déferlante, 0:40-1:25, Label-Nr.: 80402, EAN 3770000267006