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Sendung zum Nachlesen
Warum haben sie ihn nicht erkannt, als er direkt vor ihnen stand? Nachdem Jesus gekreuzigt worden war, müssen die Jünger ihn doch vermisst haben. Haben sie sich nicht jeden Tag sein Gesicht ins Gedächtnis gerufen, um ja kein Detail zu vergessen? Sie mussten von den Frauen, die am Grab gewesen waren, schon gehört haben, dass diese das Grab leer vorgefunden hatten. Und selbst wenn sie den Frauen nicht geglaubt hatten, war doch Petrus hingelaufen, um es mit eigenen Augen zu sehen. Mussten sie also nicht mit etwas Außergewöhnlichem rechnen?
Warum also haben die beiden Jünger Jesus nicht erkannt, als er auf dem Weg nach Emmaus mit ihnen ging? Der Evangelist Lukas beschreibt die beiden Jünger mit einem einzigen Satz: „ Ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.“ (Lk 24,16)
Festgehaltene Augen, fixierte Blicke – die kenne ich auch, ging mir auf, als ich einen Klassenkameraden zehn Jahre nach unserem Abschluss wiedersah. Wir tauschten alte Erinnerungen aus und ziemlich schnell wurde klar, dass wir auf dieselben Ereignisse ganz unterschiedlich blickten.
Ich sah ihn als einen, der seine Wutausbrüche aus den ersten Schuljahren kanalisieren lernte und ruhiger wurde. Ihm kam ich in unserer Klasse ziemlich einsam vor. Unsere beiden Blicke aufeinander wurden gehalten – von Vorannahmen, Wünschen und Projektionen.
Er sei damals gar nicht ruhiger geworden, erklärt er mir beim Wiedersehen. Er habe sich in sich zurückgezogen und lange Zeit so lautlos wie möglich darauf gewartet, dass jeder Schultag endlich vorbei war. Erst als unsere Klassen zusammengelegt wurden, habe er Menschen kennengelernt, mit denen er sich wohl gefühlt habe. Da hatte ich in meinen Blick auf ihn vorschnelle Harmoniesehnsucht reingelegt.
Ich zähle ihm die Mitschüler*innen auf, mit denen ich mich nach der Schule traf. Welche Beziehungen er bei mir während unserer Schulzeit nicht gesehen hat, überrascht wiederrum ihn.
Die beiden sogenannten Emmausjünger müssen mit ähnlich vorgelenkten Blicken auf den Mann geschaut haben, der sich ihnen da plötzlich anschloss. Jesus war raus aus ihrer Welt, sozusagen im toten Winkel. Ein Wiedersehen hielten sie für ausgeschlossen. Erst als er am Abend mit ihnen am Tisch saß und das Brot teilte, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen. Das war der Wink, den die beiden brauchten, um Jesus zu erkennen.
Unsere Blicke sind oft gehalten von Annahmen, Wünschen und Gefühlen. Und um zu sehen, was uns entgeht, brauchen wir dann einen Wink. Einen Wink, der uns einen anderen Blickwinkel zeigt.
Es gilt das gesprochene Wort.