…und hat es doch erhellt

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Anne Nygård

…und hat es doch erhellt
von Julia Rittner-Kopp
12.12.2022 - 06:20
01.08.2022
Julia Rittner-Kopp
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Gestern Abend haben mehr Kerzen gebrannt als an allen den anderen Adventssonntagen. Und zwar weltweit. Denn gestern war „world wide candle lighting“. Jedes Jahr am 2. Sonntag im Dezember zünden Menschen auf der ganzen Welt Lichter an, Kerzen, und stellen sie ins Fenster. Wenn die Kerzen in der einen Zeitzone erlöschen, beginnen die in der nächsten zu leuchten. 24 Stunden lang geht so das Licht um den Erdkreis. Jedes einzelne Licht erinnert an ein gestorbenes Kind. An das eigene. Oder ein Enkelkind. Das der Freundin oder des Bruders. Ich weiß von so vielen, die ihr Kind verloren haben. Schon bevor es auf diese Welt kommen konnte. Oder bei der Geburt. Oder später. Oder auch als erwachsenen Sohn, als erwachsene Tochter.

Lauter Kinder, die Licht in ihre Familie und woandershin gebracht haben – oder bringen sollten. Und dann hat sich das Leben verfinstert.

Bei mir zu Hause hat sie auch gebrannt, die eine besondere Kerze. Sie hat das Wohnzimmerfenster erleuchtet. Von der Straße aus konnte man sie sehen. Innen und Außen verbunden. Mein Mann und ich drinnen. Im Warmen. Drinnen in den Erinnerungen. Drinnen in unseren Gedanken. Draußen ging das sogenannte normale Leben weiter. Doch drinnen haben wir an unseren Sohn gedacht. Die Kerze brannte für ihn. Er ist gegangen. Für immer. Und er wird bleiben. Für immer. Wir sind todtraurig. Und wir leben weiter. Das ist schwer. Ein Licht anzünden hilft. Manchmal. Und sehen: Auch andere zünden Lichter an, haben eine ähnliche Geschichte.

Menschen treffen und darüber reden, hilft. „Verwaiste Eltern“ heißt ein deutschlandweiter Verein, bei dem trauernde Mütter und Väter und auch Geschwister genau das tun: Drüber reden und Kerzen anzünden. Und es gibt viele andere, kleinere. Zum Beispiel in München. Vor einem Jahr haben ein Handvoll Leute hier Vivas. e.V. gegründet. Vivas, lateinisch: Du sollst leben. Mögest du leben. Also, wir als Hinterbliebene sollen leben. Das Schwere überleben und weiterleben. Und das Leben sogar wieder lieben lernen. Wir treffen uns lose. Unternehmen was. Brot backen. Tischtennis spielen. Tanzen. Wandern. Und auch - Kerzen beschriften. In schönen Buchstaben, langsam und liebevoll den Namen des Kindes auf die Kerze schreiben. Wenn sie leuchten, gehören alle zusammen. Die Gestorbenen. Und wir.

In einem meiner liebsten Adventslieder heißt es: Gott will im Finstern wohnen und hat es doch erhellt.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

01.08.2022
Julia Rittner-Kopp