Anfänge und Anfang

Anfänge und Anfang
mit Pfarrer Benedikt Welter aus Trier
15.01.2022 - 23:50
26.11.2021
Benedikt Welter

Einen guten späten Abend, verehrte Damen und Herren.

Meine Umzugskartons sind schon ziemlich gepackt. Seit Neujahr pendele ich zwischen der alten und der neuen Arbeits-Stätte, zwischen der Pfarrei in Saarbrücken und dem Caritasverband in Trier. Ein Neuanfang. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“? Ja schon – aber es gilt auch: „Aller Anfang ist schwer.“ Anfang – das ist etwas, das irgendwie zum Leben dazugehört. Wobei: manchen Anfang wähle ich selbst. Es gibt aber auch aufgezwungene Anfänge, die ganz und gar ungewollt auf Menschen zukommen.

Im Ahrtal zum Beispiel. Da stehen nach der Flut im letzten Sommer viele vor einem dramatisch aufgezwungenen Anfang. Dort war ich in der ersten Januarwoche unterwegs. Wir wollten zuhören. Wissen, welche Erfahrungen die Kolleginnen und Kollegen der Caritas vor Ort gemacht haben und machen; die sind mit Betroffenen unterwegs und begleiten sie bei ihrem aufgezwungenen Anfang. Sie unterstützen sie, wenn es um die Anträge für Hilfszahlungen geht.

Und sie haben mir erzählt, was sie selbst in dieser unfassbar schrecklichen Nacht vom 14. auf den 15. Juli erlebt haben. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialstation haben sich durch Schlamm und Geröll den Weg gebahnt zu ihren Patientinnen und Patienten - in der großen Ungewissheit: leben sie noch; sind sie evakuiert oder müssen noch evakuiert werden. Einer hat einen Tag lang draußen an der Haustür ausgehalten: drinnen lag ein alter Mensch lebendig, aber bewegungsunfähig hinter der Haustür, ohne sie öffnen zu können.

Diesem Neu-Anfang wohnt gar kein Zauber inne. Mehr noch: Solche durch die Katastrophe aufgezwungenen Anfänge scheinen schon zugleich das Ende zu sein. Da kann ein zerstörtes Haus nicht mehr aufgebaut werden; da gibt es keine Straße mehr – oder ein Kirchengebäude muss endgültig abgerissen werden.

Und kein Anfang, nur Ende, wo geliebte Menschen buchstäblich aus dem Leben weggerissen worden sind. Gibt es in unserem Leben also nur das entweder - oder: entweder Anfang oder Ende?

Im Deutschen haben wir nur dieses eine Wort: „Anfang“.  Das Lateinische hat zwei Wörter für Anfang: „Initium“ und „Principium“.

Initium ist ein Anfang, der auch ein Ende findet. Principium jedoch ist ein anderer Anfang. Einer ohne Ende. Ein Anfang, der bleibt.

Mit diesem Anfang, dem Principium, lässt der Evangelist Johannes sein Evangelium beginnen: „Im Anfang war das Wort … und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Johannes versucht da, Jesus Christus als den bleibenden Anfang darzustellen; dieser Anfang wohnt in der ganzen verwundeten Schöpfung – und auch in meinem und jedem verwundeten menschlichen Leben: dieser Anfang will bleibendes Leben schenken!

Dieser Anfang hilft meinen Caritas-Kolleginnen und -Kollegen im Ahrtal, zuzuhören und mitzufühlen ohne zu verzweifeln. Dieser Anfang gibt Kraft, die Menschen zu unterstützen, wo es nur geht. Dieser Anfang hilft denen, die selbst schwer betroffen sind, und macht sie zu Mutbringerinnen und Mutbringern für Mitbetroffene.

Solche Anfänge kosten oft ganz viel Kraft; sie tun manchmal weh und verunsichern. Da wünschte ich Ihnen, dass das Prinzip Anfang Sie trägt und womöglich dafür sorgt, dass Sie doch einen Zauber entdecken können.

Einen gesegneten Wochenanfang im Sonntag wünsche ich Ihnen.

26.11.2021
Benedikt Welter