Sendung zum Nachlesen
Morgen ist Europawahl. Hier in Brandenburg und Sachsen, wo ich lebe, sind gleichzeitig Kommunalwahlen. Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen zur Wahl gehen und so unsere Gesellschaft mit ihrer Stimme und ihrem Engagement mitgestalten und zeigen, wie wichtig Europa für sie ist.
Hier, in Südbrandenburg und Ostsachsen, hingen schon früh die Plakate der NPD. Sie haben sich die Laternenpfähle gesichert. Wenig später folgte die Flut der blauen Plakate mit ähnlich einfachen Parolen und Antworten.
„Wenn die wüssten, was wir gesehen und erlebt haben, würden die nicht solche Plakate aufhängen.“ Die alte Dame, die von allen „Oma Walli“ genannt wird, feiert in diesen Tagen ihren 96sten Geburtstag. 1923 geboren, war sie 22 Jahre alt, als der Krieg vorbei war. Ihr Verlobter war vermisst; und auch wenn sie später einen anderen Mann geheiratet hat und mit ihm Kinder bekam, hat ihr Herz viele Jahre gehofft, ihn wiederzusehen. Was sie beim Einmarsch der Russen erlebt hat, darüber hat sie nie geredet, immer nur Andeutungen gemacht. „Geholfen hat mir mein Glaube“, sagt sie, die jeden Abend für all ihre Lieben betet, für die Kinder und Enkel und Urenkel. „So konnte ich vergeben, auch mir selbst.“ Dass Gott uns vergibt und uns immer wieder neu den Weg öffnet, das habe ihr das Leben leichter gemacht. Und so habe sie auch denen vergeben können, die ihr Leid zugefügt haben.
„Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt (…) die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“, heißt es in der sechsten These der Barmer Theologischen Erklärung 1934.
Wenn wir Hochbetagten wie „Oma Walli“ zuhören, können wir erfahren, wie zerstörerisch Nationalismus und Rassismus sind und welches Unrecht und Elend aus Hass und Ausgrenzung hervorgehen.
Gott vergibt uns Menschen. Darauf vertraue ich. Befreit von Schuld gehen wir in die Zukunft. Frei sind wir, das Leben zu gestalten. Und diese Botschaft gilt allen Menschen. Gottes Gnade und die Freiheit des Miteinanders gelten unabhängig von Nationalität, Hautfarbe, Sprache, Religion. Sie schenken mir einen neuen Blick auf meinen Mitmenschen: Er ist ein Kind Gottes wie ich, mit Wünschen und Hoffnungen, mit Gelingen und Scheitern. Und wir alle zusammen gestalten die Zukunft, vor Ort in unseren Dörfern, hier im Haus Europa, miteinander auf der Welt.
Und wir Christinnen und Christen erinnern uns dabei an das, was Jesus Christus versprochen hat:
Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Matthäus 28,20)
Es gilt das gesprochene Wort.