Sendung zum Nachlesen
"In der Nacht zum Montag sind im Mittelmeer 85 Flüchtlinge gerettet worden… ertrunken… an Bord eines Seenotretters aufgenommen worden…"
Nachrichtenmüde schalte ich ab oder um. Man stumpft ab. Seit Jahren die gleichen Nachrichten.
Und was sind das für Worte, mit denen von den Menschen unterwegs zwischen Afrika und Europa berichtet wird? Von einer Flut von Flüchtlingen ist die Rede. Von Verteilung von Flüchtlingsströmen. Ansturm. Krise. Frontex. Das klingt nicht nach einer Agentur zum Schutz von Grenzen. Es klingt nach einem Schädlingsbekämpfungsmittel oder einem Kampfmittel. Von den Menschen, die sich an der iybyschen Küste in ein seeuntaugliches Schlauchboot setzen, wird nur noch als Masse gesprochen. Eine Masse, die man zurückführen, wegdrängen muss, nicht haben und auf keinen Fall aufnehmen will. Der einzelne Mensch geht in den Zahlen unter. Nur selten taucht ein Name auf.
Einer sagt über Kapitänin Carola Rackete, sie sei gar keine Seenotretterin, die Menschen an der afrikanischen Küste würden sich absichtlich in Seenot bringen, um dann ins "Schlaraffenland" transportiert zu werden. Als würden die Menschen mit dem Boot zu einer Bushaltestelle fahren, um sich dort abholen zu lassen. Die Seenotretter würden die Menschen erst in die Schlauch- und Holzboote treiben, um so ins gelobte Land, Europa, zu kommen. Pull-Effekt wird das genannt: Seenotrettung lockt die Leute an. Ernsthaft?
Man muss kein Nautik – Experte sein, um zu erkennen, dass diese Boote hochseeuntauglich sind. Es ist unwahrscheinlich, damit bis Europa zu gelangen. Und allein das Wissen um die Seenotretter ist noch lange keine Versicherung, dass man auch selbst gerettet wird. Was, wenn die Hilfe zu spät kommt? Was, wenn gerade kein Seenotretter im Mittelmeer kreuzt? Was, wenn ein Sturm das Boot vorher umwirft?
Wer würde sich selbst oder gar seine Kinder ohne Not einer solchen Gefahr aussetzen?
Jeder einzelne Mensch auf der Flucht macht sich nicht aus Spaß oder Abenteuerlust auf den Weg. Sondern um irgendwo etwas Besseres als den Tod zu finden. Jeder und jede einzelne aus der Masse der Flüchtlinge hat einen Namen. Und eine Mutter, die das Beste für ihr Kind hofft:
River, oh river
Flow gently for me
Such precious cargo you bear
Do you know somewhere
He can be free
River, deliver him there
Oh, großes Wasser, sei ruhig, sei still.
Den größten Schatz trägst du fort.
Kennst du den Ort der Freiheit für ihn.
Wasser, dann bring ihn nach dort. (Übersetzung ANI)
Das könnte das Gebet der Mutter des Mose gewesen sein. Damals, als sie ihr Kind in einem Binsenkorb auf dem Nil aussetzt, in der Hoffnung, dass es irgendwo, an irgendeinem Ufer – für ihn etwas Besseres als den Tod gibt. Ihr Name war Jochebed. Hätte Jochebed ihren Säugling in einer Nußschale auf dem riesigen Fluss Nil ausgesetzt, wenn es für ihn zu Hause auch nur den Hauch einer Chance auf Leben gegeben hätte?
Später, als Erwachsener, führt Mose das Volk der Hebräer aus der Sklaverei, durch Wasser und Wüsten, empfängt die zehn Gebote von Gott und bringt sein Volk bis an die Grenze des Gelobten Landes. Es ist ein großer Mann aus ihm geworden. Eine Führungsperson. Einer, an dem sich andere orientierten, der gekämpft hat für den Glauben und die Freiheit seines Volkes.
Jochebed, seine Mutter, hat ihn aber nicht auf dem Nil ausgesetzt wie an einer Bushaltestelle. Sie konnte nicht wissen, dass die Tochter des Pharao – der ja befohlen hatte, die hebräischen Jungen zu töten – das Kind finden würde; und sich dann auch noch seiner erbarmt und ihn bei sich aufnimmt, ihn versorgt und aufzieht.
Jedes Kind, jeder Jugendliche, jeder junge Erwachsene auf einem Boot ins Ungewisse hat einen Namen, eine Mutter, die auf ein Lebenszeichen wartet. Und die Hoffnung auf ein Ufer, an dem etwas Besseres wartet als der Tod.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik:
Deliver us, Ofra Haza, Eden Riegel, The Prince of Egypt