Morgenandacht
Reformen
19.08.2020 06:35
Sendung zum Nachlesen

Im August 1520 sollte Demokratie in die Kirche einziehen. Vor genau 500 Jahren. Da erschien die Schrift: „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“. Innerhalb weniger Monate kamen 70.000 Exemplare davon in Umlauf. Für die damalige Zeit war das eine ungeheure Zahl.

 

Verfasser der Schrift war der noch relativ junge Theologieprofessor Martin Luther. Er hatte erlebt, dass vieles in der Kirche die Menschen klein hielt und unmündig. Mit Drohungen hatte man versucht, die Menschen einzuschüchtern. Wer nicht glaubt und tut, was wir sagen, der ist ewig verloren, hat man den damals noch ungebildeten Menschen vermittelt. Und ihnen in ihrer Angst Gehorsam und ihr Erspartes abgepresst.

 

Zunächst hatte Luther versucht, eine Reform der Kirche von innen zu erreichen. Aber das schien aussichtlos und so wandte er sich an die Fürsten, den „christlichen Adel“. Sie sollten die Kirche reformieren, so dass die Menschen nicht in Angst und Schrecken versetzt, sondern ermutigt und für ihren Alltag gestärkt würden.

 

Grundlage war für Luther die Einsicht, dass alle Christen gleichen Standes seien. Alle Getauften sind gleich. Alle könnten Priester, Bischof, ja sogar Papst sein. Zwar gibt es verschiedene Ämter, zu denen die Amtsinhaber hoffentlich begabt sind und ausgebildet werden. Aber es gibt keine besseren und schlechteren Christenmenschen. Luther hatte diese revolutionäre Idee aus der Bibel. Im 1. Petrusbrief hatte er gelesen: „Ihr seid die königliche Priesterschaft… das heilige Volk. Ihr sollt die Wohltaten Gottes verkündigen.“ (1. Petr 2,9) Das war in der Zeit der ersten Christen zu allen Glaubenden gesagt. Und Luther fand: Das gilt heute noch! Alle Glaubenden sollten an der Gestaltung der Kirche beteiligt werden.

 

Deshalb hat sich Luther für eine elementare Bildung aller Menschen eingesetzt. Nicht nur Priester und Mönche sollten lesen und schreiben können. Wissen sollte nicht Herrschaftswissen für einige wenige sein. Alle sollten sich selbst ein Bild machen können, was in der Bibel steht und was zu glauben ist. Deshalb hat Luther unter anderem seinen Katechismus formuliert. Eine Zusammenfassung des Basiswissens, das in jeder Familie gelernt werden sollte. Und auch rechnen sollten alle Kinder lernen, damit sie später als Bürgermeister und Verwaltungsbeamte ihr Land gestalten könnten.

 

Alle Getauften waren in gleicher Weise befugt, Leitungsämter in Kirche und Gesellschaft auszufüllen. Unterschiede zwischen Kirchenleuten und Bauern oder Kaufleuten sollte es nicht mehr geben, wenn doch alle die gleiche Bildung haben konnten. Für Luther hatte das tiefgreifende Konsequenzen. In seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ hat er sie in 27 Sätzen dargelegt. Ein paar davon will ich nennen:

Klöster sollten wieder das sein, was sie einmal waren: Schulen, in denen die Leute gebildet wurden, damit sie regieren und predigen könnten. Das Pflichtzölibat sollte aufgehoben werden. Auch Priester sollten eine Familie haben, wenn sie das denn wollten, denn Familienleben war nicht weniger wert als geistliches Leben in zölibatärer Einsamkeit. Die Einhaltung der Fastenzeiten sollte freiwillig sein. Mit dem ewigen Heil hat das Fasten nichts zu tun, hat Luther gefunden. Ablassbriefe sollte es nicht mehr geben, mit denen die Kirche das Heil verkauft. Zinsgeschäfte sollten unterbunden werden. Und last not least: Bordelle sollten geschlossen werden.

 

Das waren Reformen nicht nur in der Kirche, sondern auch Reformen der Gesellschaft, die Luther vorschlug. Über manches davon wird bis heute diskutiert, anderes ist längst passiert. Luther hat sich damals vorgestellt, dass die weltlichen Fürsten das alles durchsetzen könnten.

 

Zugegeben: Mit Demokratie im heutigen Sinn hat das noch nicht viel zu tun. Eigentlich hätten ja alle Menschen gemeinsam beraten müssen, wie und welche Änderungen man einführt. Das war Luther aber noch zu unsicher, die meisten Menschen damals konnten ja wirklich weder schreiben noch lesen. Gut aber, wenn seine Reformideen nicht in Vergessenheit geraten. Für Kirche und Gesellschaft bleiben sie eine dauernde Aufgabe, von der niemand ausgeschlossen ist.