Wort zum Tage
Resonanz
05.05.2021 06:20
Sendung zum Nachlesen

„Resonanz“ ist eines der Zauberwörter in meiner Ausbildung zur Pfarrerin gewesen. Es wurde mir als Inbegriff für einen gelungenen Gottesdienst vermittelt. Sollten meine Worte es schaf-fen, die Gedanken und Gefühle der Zuhörenden in Schwingungen zu bringen, dann geht der Gottesdienst eben nicht spurlos an einem vorüber. Auch nicht an mir selbst. Dieser Zauber der Resonanz birgt also die Kraft, den vorbereiteten Gottesdienst im Feiern zu verändern, zu be-leben.
Nun halte ich seit bald einem Jahr Gottesdienste vor Menschen, die mit viel Abstand zu mir und zueinander sitzen und deren Gesichter weitgehend hinter Masken verborgen sind.  Das verändert natürlich die Resonanz, die ich während des Gottesdienstes erlebe. So fühlt sich der Gottesdienstraum zurzeit etwas leerer an als sonst. Ich kann weder sehen, ob jemand schmunzelt noch, ob jemand Tränen in den Augen hat. Dabei möchte ich und hoffe ich, dass ein Gottesdienst Gefühle wach ruft. Gefühle, zugegeben, die mir selbst zu Studienzeiten un-angenehm waren, wenn ich sie einmal in einer Kirche hatte und von unbekannten Menschen umgeben war. Nicht leicht also, aber wo ich mit dem Herzen dabei bin, bin ich auch emotio-nal dabei.

Es wächst auch mein Bedürfnis, dass mir dann an der Kirchentür jemand mitteilt, wie sie o-der er den Gottesdienst erlebt hat. Geknickt gehe ich nach Hause, wenn das Feedback aus-bleibt. Ich ermahne mich, weil es doch im Gottesdienst nicht um mich gehen soll. Klar.
Trotzdem feile ich beim nächsten Mal noch mehr an der Wortwahl und suche nach stärkeren Fragen. So habe ich im Ostergottesdienst in die Gemeinde hinein direkt gefragt: „Haben Sie einen Angehörigen verloren?“ Da hat sogleich ein kleines Mädchen genickt, ganz ernst. Sie war vielleicht fünf Jahre alt. Ich stutzte in der Predigt. Die Worte 'Angehörige' und 'verloren' hatte ich eher für die Erwachsenen gewählt. Unwillkürlich fragte ich mich, was das Kind er-lebt haben mochte. Ihr Nicken hat spürbar einiges verändert: meine Stimme, meine Gedan-ken, meine Emotion.

Noch am selben Tag im Altenheim habe ich die Gemeinde begrüßt mit der Formel: „Der Herr ist auferstanden.“ Prompt fing eine Dame an zu weinen. Ihre Tränen veränderten den weite-ren Verlauf: der Ton, der ganze Gottesdienst wurde sanfter, behutsamer, langsamer.

So habe ich den Zauber von Resonanz gespürt. Worte haben Kraft. Selbst, wenn sie für jemand anderen gedacht waren oder einer Überlieferung entstammen. Sie bauen einen Resonanzraum. Schaffen Platz für Gedanken und Gefühle, die im Alltag oft keinen Platz haben. So klingt das Leben in diesem Moment; und so fühlt es sich gerade an. Für mich bedeutet das, dass wir uns tatsächlich begegnet sind. Darin sehe ich Gottes Kraft; und auch einen wunderbaren Auftrag im Gottesdienst.
 

Es gilt das gesprochene Wort.