Morgenandacht
Wie sieht Gott aus?
04.08.2021 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Gott gibt es nicht. Manche sagen das. Die einen meinen damit – ein bisschen platt – „ich habe ihn noch nie gesehen“. Andere scheinen frustriert: „So wie es zugeht in der Welt, wo sollte da Gott sein? Und wenn es ihn gäbe, einen Gott, der das alles zulässt: den braucht niemand.“ Die ersteren klingen ein bisschen schadenfroh, andere scheinen Gott zu vermissen.

Neulich habe ich eine Geschichte gehört, die hat mich auf eine Idee gebracht. „Gott gibt es nicht“. Vielleicht heißt das ja: Es gibt nicht den Gott, den ich mir vorstelle?

Die Geschichte ist von Susanne Niemeyer und sie geht so:
Als Herr M. letztens Gott traf, trug er rote Schuhe. Gott, nicht Herr M. Herrn M. war das peinlich. Es passte nicht in sein Bild. Gott war ein ernsthafter Gott. Kein Clown. Also bemühte sich Herr M. angestrengt, woanders hinzusehen. Und die Schuhe zu ignorieren. Beim nächsten Mal trug Gott Ohrringe mit grünen Steinen. Herr M. versuchte, auch die Ohrringe zu ignorieren. Ohrringe passten ebenfalls nicht in sein Bild.

Als er schließlich wieder auf Gott traf, hatte er außerdem eine gelbe Krawatte umgebunden. Da wusste Herr M. nicht mehr, wohin er gucken sollte und schaute weg. Sein Blick ging ins Leere, und er kam nicht umhin, festzustellen, dass Gott nicht existiert.

Soweit die Geschichte. Natürlich könnte man jetzt sagen: So ein Quatsch. Natürlich hat Gott keine roten Schuhe. Und er trägt auch keine Krawatte, weder eine gelbe noch eine grüne.

Aber haben Sie noch nie gedacht: Nun gut, jetzt im Sommer bei schönem Wetter unterwegs in der Natur – da glaube ich an einen Schöpfer, der das alles gemacht hat und es gut mit mir meint. Manchmal jedenfalls. Und wenn ich von Menschen höre, die sich für gute Ideen einsetzen und anderen helfen und der Natur, dann vielleicht auch. Aber in der Kirche? Wo ich mich fremd fühle unter den älteren Leuten und die Musik mir nicht gefällt? Wo sie Moral predigen und Missbrauch betreiben? Da ist Gott doch längst ausgewandert. Da finde ich ihn bestimmt nicht.

Haben Sie noch nie gedacht: Na ja, in einer ordentlichen Predigt, seriös und sorgfältig formuliert, da kommt Gott vielleicht zur Sprache. Aber in dem Durcheinander in einem Familiengottesdienst, wo es manchmal drunter und drüber geht? Wer soll da Gott begegnen? Gott ist ein ernsthafter Gott.

Und in den Suppenküchen, wo nicht mal gebetet wird? In Radioandachten, wo das Wort Gott gar nicht vorkommt? Am Sonntagnachmittag mit den Enkeln, wenn sie quietschen vor Freude beim Hoppereiter spielen und „Oma, nochmal!“ rufen? Das ist schön, sicher. Aber hat das mit Gott zu tun?

Mir sind da neulich die Augen aufgegangen. Ich glaube, ja, Gott begegnet einem ganz oft, in ganz verschiedenen Situationen. Und meistens anders, als ich mir das vorstelle.

Im Grunde war das doch schon immer so. In biblischen Zeiten haben die Leute Jesus gehört und empört gefragt: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ So alltäglich und lebensnah, so ganz ohne Orgelklang und Weihrauch konnten sie sich Gott nicht vorstellen. Einer, der mit Nutten und Betrügern Umgang hatte, sich mit Frauen über Gott und die Welt unterhielt und sogar eine Ehebrecherin in Schutz nahm: der sollte Gott repräsentieren? Das konnte doch nicht sein! Da hatten die Leute auch damals ganz andere Vorstellungen!

Jede Zeit, jede Kultur und Religion, wahrscheinlich jeder Mensch haben ihre ganz eigenen Vorstellungen von Gott. Und etwas anderes scheint ganz unmöglich. Das gibt es doch nicht – sagen wir ja oft genug.

Gott aber. der hat jeden Menschen zu seinem Bild geschaffen. Man kann ihn finden. Er zeigt sich in verschiedenen Situationen. Gott hat verschiedene Gesichter. Und manchmal vielleicht auch einen Ohrring mit grünen Steinen und rote Schuhe. Warum eigentlich nicht?

 

Quelle: 

Susanne Niemeyer, 100 Experimente mit Gott, Verlag Herder, 20214

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.