Tim Mossholder / Unsplash
Botschafter sein
Gedanken zur Woche mit Cornelia Coenen-Marx
29.10.2021 06:35
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
Sendung zum Nachlesen:

Das war schon ein beeindruckender Aufmarsch letzten Samstag in Istanbul. Zehn schwarze Limousinen fahren vor, am Spiegel kleine Wimpel. Ich sehe die Landesfarben Deutschlands, Frankreichs, der USA und sieben anderer Länder. Türen klappen, die Botschafter steigen aus.  In einer Eingabe an den türkischen Präsidenten fordern sie Gerechtigkeit für den seit vier Jahren inhaftierten Osman Kavala. Dem türkischen Kulturmanager und Mäzen wird vorgeworfen, er habe die Gezi-Park-Proteste 2013 organisiert und am Putsch-Versuch von 2016 teilgenommen. Ein Urteil hat es bis heute nicht gegeben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte forderte deshalb 2019 einstimmig seine Freilassung. Der Europarat schloss sich an.

Der Protest der Botschafter war kaum eine Nachricht wert. Wohl aber die Reaktion darauf: Der türkische Staatschef Erdogan wies das Außenministerium an, die Diplomaten zu unerwünschten Personen zu erklären. Der nächste Schritt wäre die Ausweisung gewesen.

Wie das ist, Persona non grata zu sein, das habe ich einmal selbst erlebt. Damals hatten alle etwas ganz Wichtiges zu besprechen, wenn ich den Raum betrat. Manche schauten minutenlang interessiert in ein Schaufenster, wenn ich vorbeiging. Und Freunde fragten, ob ich mir das denn unbedingt antun müsste – jetzt hier zu sein. Dabei bin ich gar keine Botschafterin. Aber man kann auch als Vertreterin der Kirche oder einer anderen Organisation provozieren oder stören.

Der Apostel Paulus meint allerdings, dass alle Christen Botschafterinnen und Botschafter wären. Im zweiten Brief nach Korinth schreibt er:

„So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott vermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“ (2. Kor 5,20)

Im Konflikt um die Botschafter in der Türkei ist mir noch einmal klar geworden, was das heißt. Für Paulus repräsentieren Christinnen und Christen Gottes Reich mitten in der Welt. „Mit ihrer Botschaft und mit ihrer Ordnung“ soll die Kirche „an Gottes Reich und an seine Gerechtigkeit erinnern“, heißt es in der Theologischen Erklärung von Barmen aus dem Jahr 1934. Im nationalsozialistischen Deutschland brauchte es Mut, sich dazu zu bekennen. Und heute manchmal auch.

Wer einmal längere Zeit im Ausland gelebt hat weiß, wie erleichternd es sein kann, eine deutsche Botschaft zu betreten. Das ist wie nach Hause kommen - ein Stück Heimat in der Fremde. Da kann man den Mund ohne Furcht aufmachen. Und wenn man in Schwierigkeiten steckt, wird einem geholfen. Ich habe das erlebt, als mein Mann auf einer Nahostreise ohne Grund festgehalten wurde. Und denke: das wäre doch etwas, wenn Christinnen und Christen für andere so eine Art Halt sein könnten. Und wenn die, die mit Kirche nichts am Hut haben, erkennen, wofür sie einsteht.

Aber: darf ich mich einmischen? Ich finde, manchmal ist es einfach nötig, klarzumachen, wo Grenzen überschritten sind. So wie die Botschafter in Istanbul das getan haben. Da ging es nicht um die Kirche, sondern um Europa und die Nato, um Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit für Osman Kavala. Um die Werte, die Menschen zusammenhalten. Die haben allerdings in Europa durchaus mit der Bibel zu tun.

Inzwischen sind die Diplomaten zurückgerudert. Sie wollen sich weiter an das Wiener Übereinkommen halten, das eine Einmischung in innere Angelegenheiten ausschließt.  Erdogan bucht das als Erfolg. Kavala sitzt nun weiter in Einzelhaft, seit vier Jahren ohne Urteil. Dabei tritt der Kulturmäzen konsequent für Versöhnung ein. Mit seiner Stiftung „Anadolu Kultür“ förderte Kavala Projekte zur Zusammenarbeit zwischen Türken und Kurden, zwischen Türken und Armeniern. Kavala handelt ganz im Sinne europäischer Werte – er steht dafür ein, dass auch die Türkei die Vielfalt schätzt und den Zusammenhalt fördert.

Die Türkei ist Mitglied im Europarat. Ich hoffe, dass der im November Kavalas Freilassung durchsetzt. Und ich finde: Vielfalt und Gerechtigkeit brauchen viele und mutige Botschafter. Damit der Prozess der Versöhnung weiter geht.

Diskutieren Sie mit, auf Facebook unter „Evangelisch im Deutschlandradio“.

 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.