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Worte zum Leben
die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz
15.04.2022 07:05
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Letzte Worte sind ein Vermächtnis, eine Gabe, ein Erbe. Die letzten Worte Jesu empfinde ich als ein Geschenk. Sie sind Worte am Übergang. Worte auf der Schwelle. Quintessenz eines Lebens.

Es sind Worte zum Leben.
Sie verweisen auf Wesentliches.
Die letzten Worte Jesu am Kreuz handeln nicht vom Sterben, sondern vom Leben, vom Leben in seiner ganzen Fülle.
 

 "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." (Lk 23,34)
 

Hab nur ich das Gefühl oder brauchen wir tatsächlich alle mehr Vergebung als sonst? Für das, was wir taten und nicht taten, für Entscheidungen, die wir getroffen, nicht getroffen, falsch getroffen oder mehr oder weniger gut umgesetzt haben. Für die Worte, die trafen, verletzten, kaputt machten, statt aufzubauen. "Wir fahren auf Sicht." Sagen wir seit Beginn der Pandemie. Und geben uns mit dieser Einsicht in die eigene Kurzsichtigkeit der Illusion hin, sonst aber Weitblick, den perfekten Überblick zu haben. "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."

Wie bei kaum einem anderen Bibelvers ist bei diesem darauf zu achten, dass es ein Zitat ist. Der Satz ist von Jesus überliefert. Er sagt ihn mit Blick auf seine Peiniger, aber auch im Blick auf die Menschheit. Sie wissen nicht, was sie tun. Sie kennen den Sohn Gottes nicht. Kreuzigen ihn zwischen zwei Schwerverbrechern. Sie wissen nicht, was sie tun. Sie treten fest und bestimmt auf und haben doch keine Ahnung, von welcher größeren Geschichte sie gerade ein Teil sind. Ich höre hier einen Jesus, der um Vergebung bittet, für die ganze Familie Mensch, für uns, für mich, für die Momente, in denen ich im Vollgefühl das Richtige zu tun, genau das Falsche tue, weil mir nicht klar ist, welche Geschichte sich hier gerade wirklich abspielt. "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Dieses Wort ist ein Wort zum Leben, denn wir können mit ihm unser Leben in einem klaren und zugleich barmherzigen Licht sehen. Jesus betet für uns. Uns soll vergeben werden. Selbst das, was wir für eine gute Tat hielten. Selbst die Sünden, die uns nicht bewusst sind, werden uns dann vergeben. Im Licht dieses Wortes können wir leben. Und selbst vergeben lernen. Und wo uns das zu schwer ist, können wir den Vater darum bitten: 
"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."


"Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein." (Lk 23,43)
 


Ein Wort gegen die vorschnelle und allzu endgültige Selbstverurteilung. Was bin ich denn schon wert? Es mag sein, dass so manchen nicht bewusst war, was sie taten. Die beiden Schwerverbrecher aber, die links und rechts von Jesus gekreuzigt wurden, wussten es. Einer der beiden glaubt sogar, die Kreuzigung verdient zu haben. Seine Bitte an Jesus wirkt im Vergleich zu dem, was Jesus ihm antwortet; klein. Er bittet nur: "Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!" Mehr nicht. Vielleicht, wenn du Zeit hast, alles Wichtige erledigt ist, denk an mich, hol mich dann vielleicht nach an den Ort, zu dem du gehst. Aber Jesus sagt: Heute. Du und ich. Im Paradies. Das Wort ist hier einem Sterbenden gesagt. Aber es ist auch ein Wort für die Lebenden. Bittet nicht so klein. Bittet und es wird euch gegeben. Denn wer bittet, empfängt. Und manchmal etwas ganz Großes.

 

Warum soll ich mich zufrieden geben mit einem Vorgarten voll Überzeugungspflänzchen und einem Zaun aus Traditionen, wenn ich genauso gut auch heute noch mit Jesus Gemeinschaft haben kann, beten kann. Im Paradies sein, wenn auch nur für wenige Minuten am Tag. An dem Ort, wo Frieden ist und Liebe und Heil, wo Schmerzen, Scham und Streit vergehen bleiben. Das Wort Gottes, die Stille, das Gebet und ja, auch die christliche Gemeinschaft sind Vorgeschmack, sozusagen Aperitif auf das Paradies. Ich will mich nicht mit weniger zufrieden geben als heute noch die heilsame Gegenwart von Jesus zu suchen. Er ist kein göttlicher Buchhalter. Was immer ich getan habe, hat nicht die Kraft, einen Abstand zwischen mir und Jesus aufrecht zu erhalten. Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein. Ein Wort zum Leben. Gegen jedes: Jetzt lohnt es sich auch nicht mehr. Ich kann mit leeren Händen zu Jesus kommen. Jederzeit. Ich muss mich nicht als würdig erweisen. Ohne Aufschub will Jesus mit uns zusammen sein. Immer heute.


Frau, siehe, dein Sohn! – Siehe, deine Mutter!" Joh 19,26

Ein Wort gegen das Alleinsein. Das Johannesevangelium erzählt, Jesus sieht seine Mutter und seinen Lieblingsjünger unter dem Kreuz und fügt sie zu einer neuen Verwandtschaft im Glauben zusammen. Ein Anfang von Gemeinde. Von Menschen, die einander trösten, im Glauben stärken und sich von dem erzählen, was nur sie so mit Jesus erlebt haben. Von Johannes, diesem Lieblingsjünger, heißt es, dass er Maria "in das Seine" aufnimmt. Das kann sowohl sein Haus, als auch sein Herz meinen. Die Wahlverwandten sind aufeinander angewiesen. Verbunden durch ein Wort der Liebe, das die Gegensätze umarmt. Die eigene Geschichte macht den einen zum Trost und zur Glaubenshilfe für den anderen. Johannes hat gehört, wovon Maria nichts weiß, nämlich: Was Jesus versprochen hat für die Zeit nach seinem Abschied: "Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden" (Joh 16,7). Johannes weiß vom Heiligen Geist, der versprochen ist und auf den es sich zu warten lohnt.


Und auch Maria trägt einen Glaubensschatz fest in ihrem Herzen, von dem Johannes nichts weiß. Was hatte ihr der Engel am Anfang gesagt: "Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden… und sein Reich wird kein Ende haben." (Lk 1,31.32)
Wenn die Wahlverwandten ihre Glaubenserfahrungen teilen, dann haben sie mehr Grund, über den Tag hinaus zu hoffen. Gemeinsam können sie die Ankunft des Trösters erwarten und den Horizont der Zeit gemeinsam absuchen nach dem Reich, das mit Jesus in die Welt gekommen ist und am Kreuz nicht zu Ende sein kann. So erlebe ich Kirche auch: Wahlverwandte. Einander zugedacht. Einander aufnehmend in Herz und Haus. Um glauben zu stärken, mitten in einer Katastrophe. 


"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mt 27,46)

Ist es möglich oder denkbar, dass Jesus von Gott verlassen wurde?
Nein, es ist nicht möglich oder denkbar. Denn Jesus und der Vater sind eins. Das gilt gelten. Und doch: Der sterbende Jesus erlebt, wie Gott ihn verlässt. Wer das bestreiten möchte, muss sich klar machen, dass Jesus nicht in einem gut geheizten Seminarraum über das philosophische Problem der Gottverlassenheit spricht, sondern dass er an ein Kreuz genagelt dabei ist, zu verdursten und zu ersticken. Und es geschieht ihm das Unmögliche und das Undenkbare. Die größte anzunehmende Katastrophe. So, wie es nicht denkbar ist, dass ein Kind das Haus verlässt und nicht zurückkehrt. So wie es nicht möglich ist, dass ein Partner ins Krankenhaus kommt und dann nicht mehr besucht werden kann und einsam stirbt. So wie es nicht möglich ist, dass eine große Liebe erkaltet. So wie ein europäischer Landkrieg nicht denkbar ist. Doch all das geschieht.


Jesus geht auf Grund. Ist mit uns am Boden katastrophaler Tatsachen, die einfach geschehen, obwohl sie nicht möglich oder denkbar sind. Mein Gott, mein Gott. Er bleibt dabei. Immer noch ein Gegenüber, immer noch sein Gott. Mit Gott, gegen Gott, hält Jesus an dem Gott fest, der ihn verlässt. Die Warum-Frage wird nicht beantwortet, aber gehört; und drei Tage später sogar erhört. Doch es ist nicht möglich, den Moment der Katastrophe zu überspringen. Er muss da hinein. "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" ist der Anfang des Psalms 22. Im zweiten Teil des Psalms heißt es: "Und da er zu ihm schrie, hörte er‘s." (25) und "Euer Herz soll ewiglich leben" (27). Im Anfang dieses Psalms klingt sein Ende mit. Nicht als schneller Ausweg, sondern als eine langsam aufgehende Hoffnungsmelodie. "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" ist dann auch ein Wort zum Leben. Eine Einladung, sich auch im Angesicht der Katastrophe in abgrundtiefes Vertrauen hineinzubeten. Mit Gott gegen Gott an Gott festhalten.

 

 "Mich dürstet." (Joh 19,28)
 

Wir sind Wasser. Wir sind Menschen und haben Durst, jeden Tag. Wir werden geboren und schreien, weil wir Durst haben, bis man uns zu trinken gibt. Ein Kind stillen ist eine große und schöne Aufgabe, nicht nur, damit das Kind still ist, sondern damit es leben kann. Und wachsen. Und wir sind Staub und werden zu Staub. Und wer einem Sterbenden etwas Gutes tun möchte, der benetzt ihm die Lippen mit ein wenig Wasser. Der Schwamm, der Jesus in seiner Todesstunde an den Mund gedrückt wird, ist nicht mit Wasser gefüllt, sondern mit Essig. Viel spricht dafür, dass dies nicht als Linderung gedacht war, sondern ihm zusätzliche Qual bereiten sollte. Im 69. Psalm wird das so beschrieben: "Die Schmach bricht mir mein Herz und macht mich krank. Ich warte, ob jemand Mitleid habe, aber da ist niemand, und auf Tröster, aber ich finde keine. Sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken für meinen Durst."


Der Wasser zu Wein gemacht hat. – Hat Durst.
Der sagt, "Wer an mich glaubt, wird nimmermehr dürsten." – Hat Durst.
Der sagt, "Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke." – Hat Durst.
Der Sagt, "Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers ausgehen." – Hat Durst.
Der sagt, "wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt." – Hat Durst, leidet Durst. Und vor seinem Ende fragt er: "Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir der Vater gegeben hat?" (Joh 18,11) Jesus hat Durst. Und trinkt den bitteren Kelch. Damit wir einen anderen Geschmack auf der Zunge haben können als Bitterkeit. Den süßen Geschmack des Glaubens, der in uns zu einer sprudelnden Quelle wird.

Es ist vollbracht! (Joh 19,30)

Ein gutes Sterben. Was ist das? Sein Leben hat sich gerundet. Er ist am Ziel und kann nun schauen, was er geglaubt hat. Er ist in Frieden gegangen. So reden wir, wenn ein 85-jähriger im Kreis seiner Lieben alt und lebenssatt in Frieden Abschied nimmt von der Welt, noch einmal tief ausatmet und heimgeht. Aber das Leben von Jesus rundet sich nicht. Es wird abgebrochen, gewaltsam beendet noch bevor er 35 ist. Er wird Opfer eines gewalttätigen Systems. Was an den Kreuzen passiert. Geschieht jetzt ihm.

Es ist vollbracht! Hält dagegen. "Niemand nimmt mir mein Leben, sondern ich lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu empfangen." (Joh 10,18) Was hier geschieht, passiert mir nicht, sondern etwas vollbracht. Ich bin nicht am Ende, sondern am Ziel. Der Wille meines Vaters erfüllt sich, wird wirksam, wird verwirklicht. Und was ist der Wille dieses Vaters? Die Welt zu Ende lieben. "Da er die Seinen liebte, liebte er sie bis zur Vollendung." (Joh 13,1) Am Kreuz kommt die Liebe an ihr Ziel. Eine Liebe, die im Lassen an ihr Ziel kommt. Jesus lässt sich, wehrt sich nicht und ist mächtig in seiner Schwäche. Der Apostel Paulus sagt: "Meine Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung." Da ist nicht einerseits die Kraft und andererseits die Schwachheit, sondern da ist Kraft in der Schwachheit, ja da ist die Schwachheit selbst die Kraft Gottes. Es ist vollbracht. Jesus ist mit seiner Liebe am Ziel. In diesem Wort ist alles aufgehoben und zusammengefügt, was in unserem Leben unvollständig bleibt, fragmentarisch, unvollkommen, nicht zu Ende gedacht oder gelebt. Aufgehoben und gehalten, weil Jesus uns bis zur Vollendung liebt.


"Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist." (Luk 23,46)

Nichts mehr tun, nichts mehr sagen, nichts mehr fragen, nichts mehr wollen, nichts mehr regeln, nichts mehr klären, nichts mehr ansagen, nichts mehr verbinden, nichts mehr fragen, nichts mehr verlangen, nichts mehr behaupten, nichts mehr dagegenhalten. Nur noch vertrauen, Gott vertrauen. Alles aus der Hand legen. Mit allem abschließen. So kann ich schlafen gehen. So kann ich gut sterben. So kann ich aber auch aufstehen, in den Tag gehen und leben. Wieder klingt ein Psalmwort an: "In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott." (Psalm 31,6)

Jesus legt nicht etwas, nicht einen Teil von sich in die Hände des Vaters, sondern sich, sein Leben, sein ganzes Leben. Jesus überlässt seine Lebendigkeit der guten und geliebten Hand seines Vaters. So wie fromme Juden es in ihren Abendgebeten sagen. Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.  Es ist das Abendgebet des Lebens von Jesus. Er lässt sich fallen, in dem Vertrauen, von der zärtlichen, mütterlich-väterlichen Hand Gottes aufgefangen zu werden. Mit diesem Wort können wir leben und sterben. Darauf vertraue ich. Wir fallen, wenn wir fallen, nicht in dunkles, unbekanntes Grauen, wir fallen in Gottes gute und barmherzige Arme. "In deine Hände befehle ich meinen Geist". Mache ich dieses Gebet zu meinem Abendgebet, kann es auch das Abendgebet meines Lebens werden. Das Fallen wird unendlich sanft gehalten, von einer Hand die mich herauszieht aus dem Tod, wie ein Vater sein Kind über die Straße zieht, damit es nicht überfahren wird; wie eine Mutter ihr Kind aus dem Wasser zieht, damit es nicht ertrinkt. Die Hand, die mich hält, zieht mich auch heraus, zu neuem Leben. Bis dahin kann ich den Weg des Gebets gehen und mich hineinmurmeln und hineinüben und immer mehr hineingehen in ein kindliches Vertrauen in den Gott des Lebens.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

 

  1. Helmfried Günther, Du mir vor Augen (Be though my vision)
  2. Helmfried Günther, Christe, du Lamm Gottes
  3. Helmfried Günther, Abide with me
  4. Helmfried Günther, Jesus, unser Trost und Leben
  5. Helmfried Günther, Oh Haupt voll Blut und Wunden
  6. Helmfried Günther, Du mir vor Augen
  7. Helmfried Günther, Abide with me
     

Alle Musiken instrumental, nur Klavier.