Ent-Feindung

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Ent-Feindung
Gedanken zur Woche mit Pfarrer Peter Oldenbruch
13.05.2022 - 06:35
06.01.2022
Peter Oldenbruch
Über die Sendung

Der französische Präsident Emmanuel Macron wurde widergewählt - das ist ein starkes Zeichen für Europa und für Deutschland, sagt Pfarrer i.R. Peter Oldenbruch. In den "Gedanken zur Woche" spricht er über die Beziehung von Deutschland und Frankreich - und seine Zukunftsvisionen für die Ukraine.

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Morgen beginnt offiziell die zweite Amtszeit des französischen Präsidenten Emanuel Macron. Zum Glück! Für ihn, für Europa und für Deutschland. Macrons erste Auslandsreise nach seiner Wahl ging am Montag nach Berlin. Ein deutliches Zeichen!

Die unterlegene Kandidatin Marine Le Pen versprach im Wahlkampf eine „Scheidung“. Eine Scheidung von Deutschland! Bestehende Verträge wollte sie kündigen und die Zusammenarbeit mit Deutschland massiv reduzieren. Bei einem Wahlsieg hätte Le Pen auf Regierungsebene die Scheidung beantragen und vielleicht sogar durchführen können. Die Mehrzahl der Menschen in Frankreich und Deutschland jedoch würden nicht von Freundschaft auf Feindschaft umschwenken. Aus vielen Gründen. Vor allem wegen der vielen Städte- und Gemeindepartnerschaften, denke ich. Dabei gibt es offizielle Anteile: Bei Jubiläen werden schon mal die Nationalhymnen gesungen. Und es gibt ökumenische Gottesdienste, sogar am Sonntagmorgen.

Wichtiger als die offiziellen Termine der vielen Partnerschaften scheinen mir die privaten Abende bei den Gastgebenden hier wie da zu sein. Man redet, isst und trinkt miteinander - manchmal bis spät in die Nacht. Und erzählt von Kindern, Arbeit oder Urlaub. Und stellt dabei fest, dass die anderen tatsächlich anders ticken, bei ganz alltäglichen Dingen: was das Essen angeht, die Kindererziehung oder die Art, wie über Berufsarbeit geredet wird. Mit Nähe und Distanz wird in beiden Ländern anders umgegangen. Doch trotz der Unterschiede kann man miteinander feiern und diskutieren. Manche dieser Städtepartnerschaften existieren mittlerweile seit mehr als einem halben Jahrhundert. Aus den Partnerschaften sind deutsch-französische Ehen entstanden und jahrzehntelange Freundschaften.

Dabei galten Deutsche und Franzosen im 19. und 20. Jahrhundert als „Erbfeinde“. Der nationalistische Begriff suggeriert, machtpolitische Rivalität sei naturgegeben, sei vererbt, sozusagen genetisch bedingt. Solche Feindschaften lassen die Waffen sprechen. Nachdem diese im zweiten Weltkrieg dann mehr als deutlich gesprochen hatten und Europa in Schutt und Asche lag, begann ein Umdenken. Die so genannte Montanunion, eine Art Vergemeinschaftung der Kohle- und Stahlproduktion, war Vorläuferin der Europäischen Union. Und bereits in den 50er, vor allem aber in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, entstanden viele deutsch-französische Partnerschaften.

Mittlerweile sind es mehr als 2.200. Ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich ist heute undenkbar. Und selbst wenn eines der beiden Länder auf Regierungsebene die Scheidung beantragte, diese Entwicklung ließe sich nicht zurückdrehen. Trotz vieler nach wie vor bestehender Rivalitäten schätzen Deutsche und Franzosen vieles am anderen Land. Die einen das herzhafte dunkle Brot und die andern das luftige Baguette. Die deutschen Autos sind angeblich stabiler, der TGV jedoch fährt schneller. Und so weiter.

Irgendwann - kaum vorstellbar in diesen Tagen - irgendwann wird der verbrecherische Krieg in der Ukraine zu Ende gehen. Spätestens am Tag der totalen Erschöpfung, wenn das ganze Land in Trümmern liegt und niemand mehr glaubt, mit militärischen Erfolgen die Verhandlungsbasis verbessern zu können. Spätestens dann wird es um Ent-Feindung gehen müssen. Kein Krieg schafft menschliches Glück oder gar Seligkeit. Selig sind Menschen, die an Ent-Feindung arbeiten.

Die Ukraine wird wohl Teil der EU werden. Und schon jetzt, mit den Geflüchteten, sitzen viele abends zusammen, essen, trinken und reden miteinander, so gut es geht. Manchmal bis spät in die Nacht. Und mit Russland wird es - phantasiere ich - so viele Städtepartnerschaften wie mit Frankreich geben - also über 2000 statt zurzeit 90, darunter Moskau und Berlin. So dass man sich in - sagen wir - 60 Jahren an den Kopf fasst, sollte jemand von einem Krieg in Europa auch nur reden. Was meinen Sie?

Es gilt das gesprochene Wort.

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06.01.2022
Peter Oldenbruch