Spurensuche
Gesucht: Solidarität weltweit
29.01.2022 09:00

Der 30. Januar ist Welt-Lepra-Tag. Als ich das vor Kurzem las, habe ich gleich zwei Mal gestaunt. Den gibt es also wirklich noch, dachte ich zuerst. Und andererseits, leicht empört über mich selbst: Warum sollte es ihn nicht mehr geben?

Die Lepra, weithin auch unter dem Namen „Aussatz“ bekannt, treibt weiterhin in vielen Ländern weltweit ihr Unheil. Kaum hatte ich mir das erneut vor Augen gestellt, schon kamen persönliche Erinnerungen hoch. Vor wenigen Jahren besuchte ich die Lepraabteilung eines Krankenhauses in Nordghana. Im Gespräch mit den Patienten konnte ich ansatzweise verstehen, was ein Leben mit dieser Krankheit für sie bedeutete. Ein anderes Mal fuhr ich auf die kleine griechische Insel Spinalonga, nordöstlich von Kreta. Die inzwischen unbewohnte Insel war bis 1957 eine Leprakolonie. Etwa 300 Patienten lebten dort, erfuhr ich. Mein touristischer Trip wurde zusehends zu einem Gang durch die Geschichte einer tückischen Krankheit. Schließlich erinnerte ich mich noch an einen Ausflug in meiner Kindheit. Ich besuchte damals ein eindrucksvolles Fest in einem Lepradorf in Südkamerun. Der Chor der Kranken berührte mich zutiefst. Mit einem Gesangsbeitrag ehrte er Raoul Follereau. Der französische Schriftsteller und Journalist hatte 1954 den Welt-Lepra-Tag ins Leben gerufen. Bei so tiefgreifenden Eindrücken: Wie hat dieser Denk- und Aktionstag aus meinem Bewusstsein fallen können?


In den „Welten der Anderen“?

Die Lepra ist eine von vielen Krankheiten, die in Welten toben, die meist jenseits unseres mitteleuropäischen Horizonts liegen. Sozusagen in den „Welten der Anderen“. Die Malaria ist mit über 200 Millionen Erkrankten jährlich die häufigste Infektionskrankheit der Welt. Etwa 90% der Erkrankten leben auf dem afrikanischen Kontinent. In der Corona-Pandemie ist es dramatisch schwieriger geworden, die Malaria zu bekämpfen. Die Zahl der Todesfälle steigt. Das gilt ebenso für HIV-Infektionen und für die Tuberkulose. Zunehmend gehen beide Erkrankungen eine tödliche Allianz ein. Im Fluss dieser Informationen tauchen in mir altbekannte Fragen auf: Welche Behandlungsmöglichkeiten für die genannten Krankheiten gibt es in den schwer betroffenen Ländern? Für wen sind sie erreichbar? Und grundsätzlich stellt sich die Frage, ob und wie eine globale Solidarität in der einen Welt spürbar ausgebaut werden kann.
Auch die Lepra tobt in Teilen der Welt, die aus europäischer Perspektive weit weg sind. Indien, gefolgt von Brasilien und Indonesien sind am meisten betroffen. Zahlreiche afrikanische Länder kommen hinzu. Eben die „Welten der Anderen“. In Europa gilt die tückische Krankheit als nahezu ausgerottet. Dafür sorgte die gut aufgestellte medizinische Infrastruktur.

Gegen eine Geschichte der Isolation
Was die besondere Schwere der Erkrankung ausmacht, lässt sich durch ihren deutschen Begriff „Aussatz“ erfassen. Wer Lepra hatte, sollte ausgesetzt, von der Gemeinschaft isoliert werden. Kranke mussten vielerorts eine sogenannte Warnklapper haben, um die Gesunden von sich fern zu halten. Die lange Geschichte der Isolation hat wenig mit dem Grad der Infektionsgefahr zu tun. Lepra ist nur schwach ansteckend. Vielmehr kann sie das Gesicht und den Körper der Erkrankten dauerhaft entstellen und zerstören. Diese zu isolieren, erscheint in der Geschichte der Krankheit als das tiefsitzende Reaktionsmuster Abwehr und Ausgrenzung.
Diese Geschichte ist aber auch durch den harten Kampf durchzogen, den Menschen gegen die Lepra geführt haben. Ein prominenter ist Raoul Follereau (1903- 1977). Er war der Krankheit 1942 in Côte d’Ivoire begegnet. Ab da galt sein Leben deren Bekämpfung, manchmal mit ungewöhnlichen Methoden. Zu seinen populärsten Aktionen zählen zwei Briefe, die er 1955 an den US-Präsidenten Eisenhower und den sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow schrieb. Er bat sie darum, für die Heilung von Leprakranken den gleichen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, den sie jeweils für einen Bomber ausgaben.
Ich bin froh über den von ihm initiierten Gedenktag und Aktionstag gegen die Lepra.
Er hebt die Krankheit und die von ihr geplagten Menschen ins kollektive Bewusstsein und Gedächtnis – und damit auch in meins. Darin findet sich auch die Erinnerung an eine Jesusgeschichte, die von der „Heilung eines Aussätzigen“ berichtet. Was Jesu Verhalten dort ausmacht, bleibt als Haltung bedeutsam: Nicht auf Distanz bleiben, sondern hinschauen, hingehen, helfen, heilen. Zunehmend wichtig auf dem Weg zur Solidarität in der einen gemeinsamen Welt.

 

Sendungen von Pfarrer Jean-Félix Belinga Belinga