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Sendung zum Nachlesen
Lotta aus der Krachmacherstraße ist eine von Astrid Lindgrens kleinen Alltags-Heldinnen, 5 Jahre alt. Und sie ist weise auf eine Art, wie man nur in diesem Alter sein kann.
Einmal übernachtet sie bei der Großmutter zusammen mit ihrem noch jüngeren Cousin. Und der kann nicht einschlafen. Es ist ihm zu dunkel. Dabei hat er zu Hause nie Angst, wenn er allein im Dunkeln schläft. Die Erwachsenen wundern sich darüber. Lotta nicht. Für sie ist klar: „Zu Hause, das ist doch sein eigenes Dunkel… (…) Aber an Großmutters Dunkel ist er nicht gewöhnt.“
Mich beindruckt diese Erklärung. Sie leuchtet mir sofort ein.
Sich ans Dunkel gewöhnen. Das gehört zum Leben.
Das Dunkel kennenlernen, mich mit ihm vertraut machen. So wie meine Augen das tun. Wenn ich ins Dunkle trete, sehe ich erst einmal nichts. Dann gewöhnen sich meine Augen nach und nach daran. Ich erkenne vereinzelt Umrisse, Formen, Wege, Schattierungen, leises Licht. Nach einer Weile finde ich mich zurecht.
Sich ans Dunkel gewöhnen. Auch im übertragenden Sinn. Das Dunkle oder Finstere in mir selbst. Die dunkle Nacht der Seele etwa.
Das heißt für mich, hinschauen, zulassen, auch drüber reden.
Es ist gut, „wenn der Mensch keine Angst vor der Nacht hat und die Schwärze nicht auslagert, sondern mit ihr lebt“ (S. 186). Das schreibt Marica Bodrozic in ihrem jüngsten Roman, Die Arbeit der Vögel. Seelenstenogramme.
Die Autorin erkrankt an Krebs. Es geht ihr schlecht. Ein Arzt rät ihr, keine schwarze Kleidung mehr zu tragen. Auch nicht Strümpfe oder Unterwäsche in Schwarz. Die dunkle Kleidung sei zu destruktiv. Hellere Farben würden ihr Gemüt erhellen. Marica folgt seinem Rat. Sie sortiert ihre Garderobe aus. Es fällt ihr schwer. Alles, was sie hat, ist dunkel, schwarz. Das meiste hat sie in Paris gekauft, edel, chic und teuer - sie gibt alles weg. Und trägt nur noch helle Sachen.
Sie meint, sie hätte sich auf diese Weise „in großen Teilen der Dunkelheit entledigt“ (S. 185). Doch die Dunkelheit ist geblieben. Das eigene Dunkel. Mit dem sie leben muss. Jahre später erkennt sie: Das Dunkle, der Schmerz - sie gehören zu mir, ich will nicht so tun, als gäbe es sie nicht.
Sie kauft sich einen schwarzen Mantel. Und trägt ihn, und es ist gut.
Die Schwärze nicht verbannen sondern mit ihr leben. Sich mit ihr vertraut machen.
Das eigene Dunkel kennen.
Es gilt das gesprochene Wort.