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Sendung zum Nachlesen:
Er putzt: die Spüle, das Abflusssieb, die Unterseite des Abflusssiebes und den Abflusssiphon ("Betonung auf Siff" (1)) und entfernt dort Schleimbatzen und Haarknäule. Konstantin - so heißt der Putzende - reinigt auch den Spalt zwischen Geschirrspüler und Herd, dieses "Tal des Ekels" oder "el grotto". Er putzt auch die "Innenkanten und Rückseiten der Spülbeckenschlitze." Mit einer besonderen Methode. Er knickt die Stiele von Wattestäbchen in der Mitte, "um auch die schwer erreichbaren Stellen zu erschließen, wie ein verlängerter Finger, spitzwinklig gekrümmt." Was dann passiert? "Die Enden der Wattestäbchen färben sich grau." Von wegen! Ich hab´s ausprobiert. Sie verfärben sich schwarz! Bei uns jedenfalls.
Erfunden hat den putzenden Konstantin Valeria Gordeev. Gordeev hat mit "Er putzt" vergangenen Sonntag den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Konstantin putzt sogar die Fernbedienung!
"Er reinigt sie mit Interdentalbürsten, Wattestäbchen und Isopropanol und legt sie hinterher noch für eine Nacht in die Tiefkühltruhe." Valeria Gordeev macht sich über Konstantins Putzfimmel nicht lustig. Sie erzählt in einem heiteren Ton und nimmt den jungen Mann dennoch ernst.
…
Der Putzende schafft Sauberkeit. Und Ordnung! Geordnet werden die Flaschen mit den Reinigungsmitteln: Glasreiniger, Möbelpolitur, Kraftgel-Backofenreiniger oder DanKlorix, eine widerlich stinkende Chlorbombe. All diese Flaschen ordnet er - "wie eine Raute beim Kegeln."
Das ist womöglich einer der Schlüssel, Konstantin zu verstehen. Der Putzende schafft sich eine "freundliche, ineinander greifende, funktionierende Gesellschaft, […], keine permanente, strukturelle Überforderung." Denn die täglichen Nachrichten, wenn ich sie denn nicht vorbeirauschen lasse, sind eine permanente Überforderung. Nein: nicht die Nachrichten, das, was tagein tagaus geschieht, ist nicht zu verarbeiten, in keine gedankliche Ordnung zu bringen. Allein die drei großen Themen:
- Gerechtigkeit hier bei uns und weltweit,
- "Bewahrung der Schöpfung",
- Frieden, der diesen himmlischen Namen verdient,
allein diese drei großen Themen, die der Ökumenische Rat der Kirchen vor genau 40 Jahren mal in einem Atemzug zu nennen wagte, sind so komplex, so riesig, dass ich sie nicht mehr fassen kann, geschweige denn ordnen.
Die Flaschen mit den Putzmitteln kann man ordnen. Kurzfristig scheint das zu helfen. Deshalb muss es zum Fimmel werden, muss ständig wiederholt werden und gesteigert. Ein Putzfimmel ist ein Symptom, keine Therapie.
Und ohne Putzfimmel? Kann man die Probleme verdrängen. Motto: die menschengemachte Erderwärmung gibt´s gar nicht. Oder: der Krieg in der Ukraine ist nicht unser Krieg! Oder man entwickelt eine Verschwörungstheorie und sucht irgendwelche Schuldigen, die leicht zu benennen sind.
Auch darüber könnte man Texte schreiben in der Art von "Er putzt" und zeigen, wie sich jemand hineinsteigert ins Nichtwahrhabenwollen oder in eine Verschwörungsdenke. Was dann? Ich schlage vor, die Probleme, die mich zu erschlagen drohen, Gott vor die Füße zu schmeißen. Da hast du sie!
In den Kirchen singen wir davon, ein Lied von Paul Gerhardt (EG 319): Nicht ich bin der, "der alles führen soll, Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl." Wirklich? Manchmal zweifele ich. Und doch: "Abend und Morgen sind seine Sorgen, segnen und mehren, Unglück verwehren, sind seine Werke und Taten allein."
Wenn ich es so versuche, lasse ich meinen Größenwahn los, als könnte ich die Weltprobleme lösen. "ER wird dein Herze lösen von der so schweren Last…" "Mach End, o Herr, mach Ende, mit aller unsrer Not; stärk unser Füß und Hände…" Er wird mein Herze lösen… - so dass ich an einer einzigen Stelle nur anpacke, wo ich es in der Hand habe, zu putzen und zu ordnen. "Und mein "Tun ist lauter Segen", mein "Gang ist lauter Licht".
Es gilt das gesprochene Wort.
Literaturangaben zur Sendung:
- https://files.orf.at/vietnam2/files/bachmannpreis/202326/983755_fh_valeria_gordeev_er_putzt_1_983755.pdf