"was rufst du um hilfe, törichter?
Ich helfe dir nicht. du hast dir selbst geholfen.
erwählt, geprüft, verbündet mit der allmacht wie du sie verstehst,
hast du aus deiner winzigen weltecke die erde erobert.
du hast die zeichen deines sieges und die zeichen der vernichtung
in die flanken der berge, in den schoß der Erde, auf die linien des Wassers geschrieben.
und nun, da du mit deiner siegerfahne auf den leichen stehst, da du dich einsam fühlst und von der zukunft verlassen, willst du von Mir die alten verheißungen einfordern."
So redet der "Abwesende Gott" in Carl Amerys Buch "Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums", erschienen 1972. Gestern wäre Carl Amery 100 Jahre alt geworden. Der törichte Mensch, der um Hilfe ruft, wolle die alten Verheißungen einfordern, behauptet der Abwesende Gott. Die uralten Verheißungen aus der Genesis: Nicht aufhören solle Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Und mehr als das.
"Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde.
Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren und über allen Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über allen Fischen im Meer;
in eure Hände seien sie gegeben.
Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise." (Genesis 9,1-3)
Dieser Herrschaftsauftrag ist auch kein Problem, wenn eine Religion sich darauf beruft, bei der´s sich um ein paar Millionen Menschen handelt. Wenn aber Milliarden Menschen rücksichtslos herrschen, stirbt - nehmen wir nur ein einziges Beispiel - das Leben im Meer, weil das Wasser versaut ist unter anderem durch Mikro-Plastik. Dabei ist das Wort "versaut" nicht korrekt.
Keine Sau würde ihre eigene Lebenswelt zerstören.
"du bist kein untertan mehr, aber den deinen bist du ein pfähler und röster,
brauchst ihre qualen um dich deiner herrschaft zu freuen.
solange du gefressen wurdest, hast du die welt des fressens
und gefressenwerdens unerträglich gefunden.
Nun frisst du selbst, frisst und frisst, und schreist darüber,
dass du nun vielleicht doch gefressen wirst.
du schreist; ich allein bin nach Deinem bild und gleichnis gemacht!
Ich aber sage dir: an dir allein ist es, bild und gleichnis zu werden.
du schreist: der himmel ist nicht für die vögel da, die weltgeschichte nicht für die abkömmlinge von schimpansen.
Ich aber sage dir: kein Himmel, der nicht für die vögel da ist, war und ist je für dich da;
und ferner: was du dem geringsten Meiner schimpansen, deiner Brüder, antust, das hast du dir selbst getan;
und abermals: wenn du nicht wirst wie der geringste dieser schimpansen,
wirst du nicht in das Reich eingehen."
Der Himmel ist für die Vögel da - wie für die Menschen. Und die Schimpansen sind Gottes Schimpansen. Das Gleiche hätte Amerys abwesender Gott auch von Meeren und Walen sagen können. Oder vom Spitzmaulnashorn, das vom Aussterben bedroht ist wie viele andere Arten auch.
Die Schimpansen sind Gottes Schimpansen - damit billigt Amerys Gott der nichtmenschlichen Natur einen Eigenwert zu. Und das ist ungewöhnlich in christlicher Tradition. Die außermenschliche Natur - so verstehen manche den Herrschaftsauftrag - steht dem Menschen zur totalen Verfügung.
Amerys abwesender Gott redet anders: Selbst das Himmelreich ist nicht allein für die Menschen vorgesehen, auch für Vögel und Schimpansen. Und für mein Spitzmaulnashorn. Und für Lumpi, den Hund meiner Cousine. Sie war sich sicher, damals, dass auch ihr Lumpi in den Himmel kommt. Darüber hab ich als junger Mann gelacht. Wenn man Amery zu Ende denkt, geht es jedoch in diese Richtung: die außermenschliche Kreatur hat einen Eigenwert, ganz unabhängig vom Nutzen für die Menschen. Für Menschen, die so unbarmherzig über diese Erde herrschen, sind "die Fische im Meer, die Vögel unter dem Himmel, das Vieh und alles Getier, das auf Erden kriecht", bloß Material. Was sich als Material nicht verwerten lässt, ist unnütz.
Kein Mensch braucht das Spitzmaulnashorn. Gott braucht es, selbst dann, wenn seine Ausrottung keinem Menschen schadet.
Jede Art Leben hat einen Wert bei Gott.
"Du fragst: wo ist dieses reich, das Du mir versprochen hast?
Ich aber sage dir: das Reich, das paradies ist in dir und um dich,
und du hältst deine augen, dass du es nicht sehen musst.
du fragst: ist nicht alles auf meine freiheit,
mein glück, meine befriedigung allein angelegt?
und Ich sage dir: glück für einen allein gibt es nicht."
Glück für den Menschen allein gibt´s nicht, kann es nicht geben.
Gott sah an während der Schöpfung "alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut." Gut waren nicht allein die Menschen, gut sind alle Geschöpfe.
Das ganze Universum nimmt teil an Gottes Gutsein.
Das wilde oder sanfte, "in jedem Fall unwiderstehliche Wirken" der Schöpfung binde den Menschen ein: "in die Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit alles Werdenden und Gewordenen." (1) Dimensionen der Ewigkeit werden darin sichtbar. So Carl Amery.
Er vermutete bereits vor einem halben Jahrhundert, dass es mit "dem ganz in Jesus subsumierten Gott nicht mehr getan ist." (2) Der Katholik Amery dachte wohl an eine Art Schöpfungsmystik. Und empfahl, sich an Franz von Assisi zu orientieren. Am Sonnengesang zum Beispiel, in dem Franz von Bruder Sonne dichtete und Schwester Mond. "Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken und heiteren Himmel und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst."
Franziskus nannte sich Jorge Mario Bergoglio, als er 2013 Papst wurde. Bereits 2015 gab er die Enzyklika "Laudato Si" heraus - in Erinnerung an Franzens Sonnengesang. Und diese Enzyklika reagiert auf den suizidalen Kurs der Menschheit. Weg von der unbarmherzigen Herrschaft des Menschen über alle Kreatur, hin zu einer universalen Geschwisterlichkeit mit allen Geschöpfen.
In "Laudato si" vertritt Franziskus eine ganzheitliche Ökologie. Mit dem Ziel, "die verschiedenen Ebenen des ökologischen Gleichgewichts zurückzugewinnen: das innere Gleichgewicht mit sich selbst, das solidarische mit den anderen und das natürliche mit allen Lebewesen." (3)
"Du fragst: hast Du mir nicht den Sohn geschickt mit der verheißung einer zukunft, die alle meine zurüstungen übersteigt?
Ich aber sage dir: Er hat dir ein beispiel gegeben, dass du tust, wie Er getan hat. geh hin, gib deine untertanen frei und diene, wie Er gedient hat:
diene deinen brüdern und schwestern sonne, mond, ochs, esel, schimpansen, ameisen, bäumen, regen und tau.
wen habe Ich je erwählt, den anderes erwartet hat als dienen?
gedenk, dass du staub bist und zum staub zurückkehrst.
dann - kannst du Mein Sohn sein."
Jesus, denk´ ich, hätte dem zugestimmt und einvernehmlich genickt: Ja, den Mitmenschen und der Schöpfung dienen!
Für Amery heißt das: planetarische Verantwortung übernehmen. Der Herrschaftsauftrag besteht dann aus nichts anderem als aus Verantwortung, aus Verantwortung für die Schöpfung. Anders als noch vor 50 Jahren können es jetzt alle wissen: der heutige Umgang mit unserem Planeten ist selbstmörderisch. Und wie immer ist er weit, der Weg vom Wissen zum Tun.
Carl Amery gab vor 50 Jahren nun weniger praktische Tipps, wie - sagen wir - das Artensterben verhindert oder die Verschmutzung der Meere gestoppt werden könnte. Amery ging es um die menschliche Grundhaltung. Und die ist bei ihm - so radikal er daherkommt - eine religiös grundierte Haltung. Und das heißt: Die modernen Menschen müssten sich eingestehen, dass ihnen nichts gehört. Brot für die Welt zum Beispiel kämpft dafür, dass das Wasser nicht zu einer Ware wird, so sehr Konzerne sich darum reißen. Das Wasser darf niemandem gehören, es ist keine Ware, sondern seit 2010 ein Grundrecht. Aber wieso eigentlich bloß das Wasser? Wem gehören das Öl, das Gas in der Erde? Und wem die Kohle? Wenn ich Amery weiterdenke, dann müssten heute nicht nur kleinere Reservate zum Weltnaturerbe erklärt werden, sondern der ganze Schatz der Erde: Wasser, Öl, Gas und alle Rohstoffe.
Der Mensch müsste sich eingestehen, "dass er kein Eigentum besitzt, das er nicht teilen muss - und zwar nicht nur mit seinen menschlichen Gefährten, sondern mit allem, was lebt, ist, sich verändert und schwinde." (4)
Das Einzige, was Menschen können, ist: mit den vermeintlichen "Besitztümern" verantwortlich, also nachhaltig umzugehen. Das ist das ökologische Grundgesetz. Und damit hängt ganz eng zusammen, was Christenmenschen jetzt in der Passionszeit bedenken. Gedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst.
Das Staubsein eint Menschen mit allem, was lebt. Wir sind nur Gast auf Erden und haben hier keine bleibende Stadt. Auch das ist eine zentrale religiöse Dimension, nicht allein an Palmsonntag. Wir sind Gäste auf diesem erwählten Planeten. Wie das Spitzmaulnashorn, wie alles, was lebt. Wenn Menschen diese Grundtatsache ernstnehmen, können sie keine Raubtiere mehr sein. Sie entwickeln vielmehr eine Partnerschaft mit allem Lebenden. Das ist eine religiös grundierte Haltung. Aus ihr heraus wird etwas möglich sein, was notwendig ist, aber auch in der gegenwärtigen Diskussion gern verschwiegen wird: Askese.
"Der Ausdruck lässt alle zusammenzucken. Nicht zuletzt die Kirchen." (5) Wusste Amery bereits 1972. Das Ziel dieser neuen Askese sei klar: "Sie wird Existenzformen einzuüben haben, die dem gemeinsamen Überleben von Menschheit und Biosphäre nicht widersprechen." (6)
Und ich bin mir ziemlich sicher: Wenn die Menschheit Artenvielfalt und Arktis, Ozonschicht und saubere Meere erhalten will, wird so etwas wie Askese nötig sein. Ich glaube, das hat Amery bereits vor 50 Jahren richtig gesehen. Es wird um Weniger gehen. Um weniger Fliegen und Autofahren, weniger Fleisch und überhaupt weniger Konsum. Das aber wird auf "äußerste Ablehnung" stoßen, ahnte Amery bereits 1972.
Zu dieser neuen Askese entschließen sich die wenigsten aus schlechtem Gewissen oder aus rationaler Einsicht, vermute ich. Die Einsicht ist da und schlechtes Gewissen gibts zuhauf. Für die notwendige Askese braucht es wohl eine innere Haltung, eine Schöpfungs-Spiritualität. Amery hat sie in seinem Buch angemahnt, aber nicht wirklich ausgeführt. Außer in dem kurzen "Wort des Abwesenden Gottes" am Schluss. Und genau deshalb ist mir jedenfalls dieses poetische Wort am Schluss des Buches ein halbes Jahrhundert lang in Erinnerung geblieben:
Kein Himmel, der nicht für die Vögel da ist, war und ist je für mich da.
Und poetisch lasse ich mir von Carl Amery an seinem 100. Geburtstag gesagt sein:
"Gib deine Untertanen frei und diene, wie Er gedient hat: diene deinen Brüdern und Schwestern Sonne, Mond, Ochs, Esel, Schimpansen, Ameisen, Bäumen,
Regen und Tau.
Wen habe ich je erwählt, den anderes erwartet hat als dienen?
Gedenk, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst!"
Es gilt das gesprochene Wort.